Schattenblick →INFOPOOL →REPRESSION → FAKTEN

INTERNATIONAL/116: Myanmar - Grenze nach Bangladesch für Rohingya-Flüchtlinge dicht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. November 2012

Myanmar: Ausgesperrt - Grenze nach Bangladesch für Rohingya-Flüchtlinge dicht

von Naimul Haq


Flüchtlinge aus Myanmar nehmen gefährliche Reise auf sich - Bild: © Anurup Titu/IPS

Flüchtlinge aus Myanmar nehmen gefährliche Reise auf sich
Bild: © Anurup Titu/IPS

Cox's Bazar, Bangladesch, 21. November (IPS) - Mohammed Saifuddin floh Ende August mit seiner Frau und seinen vier Kindern vor der Gewalt im Westen Myanmars in Richtung Bangladesch. Aufgrund der strikten Einwanderungspolitik der Regierung in Dhaka verwehrten Grenzpatrouillen der Familie jedoch die Einreise. Viele andere staatenlose Muslime aus Südostasien teilen ihr Schicksal.

Aus Angst vor weiteren Angriffen der buddhistischen Bevölkerungsmehrheit auf Rohingya-Muslime in der Provinz Rakhine begaben sich die Saifuddins auf eine Flucht, die fünf Tage dauerte und zum Albtraum wurde. Ziel war die 200 Kilometer entfernte Grenzstadt Teknaf im Bezirk Cox's Bazar im Südosten von Bangladesch.

Mit den Saifuddins machten sich sechs weitere Familien auf den gefährlichen Marsch durch Wälder und überquerten den Mayu-Fluss. "Wir bewegten uns nachts voran, um nicht entdeckt zu werden", sagt Ejaz Ahmed, der Frau und Kinder über die Grenze bringen wollte. "Wir waren endlos lange unterwegs, und die Kinder konnten nicht mehr laufen. Zwischendurch hatten wir weder Essen noch Wasser und fühlten uns völlig verloren." Er und die anderen ahnten nicht, dass sie niemals nach Bangladesch hineinkommen würden.

Die Gewalt gegen die Rohingya in Myanmar war im Mai ausgebrochen, nachdem Medien berichtet hatten, muslimische Männer hätten eine Buddhistin vergewaltigt. Tausende Rohingya-Familien, die von Ackerbau und Fischfang lebten, wurden aus ihren Dörfern vertrieben. Sie hatten weder ein Dach über dem Kopf noch Zugang zu Nahrung, Wasser und Medikamenten.


Brutale Gewalt gegen Zivilisten

Binnen eines Monats flohen etwa 83.000 der insgesamt mehr als 800.000 Rohingya aus Rakhine. Bis Juni wurden 95 Menschen bei Auseinandersetzungen getötet. Einige Überlebende konnten sich bis nach Bangladesch durchschlagen, wo sie in Lagern unterkamen. "Ich sah, wie meine Nachbarn aus ihren Häusern gezerrt und erschlagen wurden", berichtet Rehana Begum. "Wir flohen, um nicht selbst getötet zu werden."

Mujibor Rahman, der in dem Dorf Kyauktaw in Myanmar einen Gemüseladen besaß, berichtete, dass im Juni ein Dutzend Männer den Markt des Ortes überfielen und mit Degen auf junge Muslime losgingen. Viele seien auf der Stelle gestorben.

Die Regierung von Bangladesch ließ sich durch Berichte über solche völkermordähnlichen Gewalttaten offensichtlich aber nicht erweichen. Stattdessen wurden die Grenzpatrouillen (BGB) verstärkt. Sie erhielten strikte Order, keine "Eindringlinge" aus Myanmar durchzulassen. Zahlreiche Menschen campieren seitdem auf der anderen Seite entlang der 270 Kilometer langen Grenze in behelfsmäßigen Unterkünften.

Nach Angaben von BGB-Kommandeur für Cox's Bazar, Oberstleutnant Mohammad Khalequzzaman, wurden seit August mehr als 1.300 Rohingya an den Grenzübergängen Tumbru und Ghundum abgewiesen. Insgesamt wurden seit der ersten Flüchtlingswelle vor vier Monaten etwa 2.600 Muslime zurückgeschickt. Das Innenministerium in Dhaka schätzt, dass die Zahl bis Anfang nächsten Jahres auf rund 10.000 steigen könnte.

"Wir haben unsere Patrouillen im Umkreis des Naf-Flusses verstärkt", sagt der Offizier Badrudduza. Der Fluss, der eine natürliche Grenze zwischen den beiden Staaten bildet, wird von bewaffneten BGB-Mitgliedern und der mit Schnellbooten ausgerüsteten Küstenwache kontrolliert. Der große Golf von Bengalen im Süden von Bangladesch und im Südwesten Myanmars bietet jedoch noch mehrere Schlupflöcher für Flüchtlinge, die meist nachts in morschen Holzbooten an der Küste landen.

"Die Küstenroute ist sehr gefährlich", warnt Mohammad Kalam Hossaim, der vor kurzem zusammen mit einer Gruppe von 26 Männern, Frauen und Kinder aus dem Süden von Rakhine nach Teknaf kam. "Küstenwachen aus beiden Ländern haben auf uns geschossen."

Ein anderer Fischer aus Myanmar erzählt von einer neuen Fluchtwelle in den vergangenen Wochen. "Die Menschen haben Angst vor neuen Angriffen. Nur in Bangladesch sind wir in Sicherheit." Diejenigen, die es über die Grenze geschafft haben, sind in ständiger Furcht, von der Polizei entdeckt zu werden. Da aber viele von ihnen den lokalen Dialekt sprechen und den Bangladeschern ähnlich sehen, können sie unerkannt in den Ortschaften leben.

Wer den Behörden auffällt, kann jedoch nicht mit Gnade rechnen. "Man wird gezwungen, die Aufenthaltsorte der anderen zu verraten, und alle werden dann zurückgeschickt", sagt ein weiterer Flüchtling. Deshalb hielten sie sich tagsüber versteckt.


Rohingya bereits seit Jahrzehnten verfolgt

Auch wenn die Not der Rohingya erst jetzt in aller Welt für Schlagzeilen sorgt, wird die muslimische Minderheit bereits seit Jahrzehnten in Myanmar verfolgt. Die ehemalige Militärjunta hatte ihnen bei der Machtübernahme ihre Bürgerrechte aberkannt. Während der so genannten 'Operation Königsdrachen' trieben die Militärs 1978 etwa 200.000 Rohingya aus Rakhine über die Grenze nach Bangladesch, wo sie lange Zeit in trostlosen Flüchtlingslagern ausharrten.

Bei einer ähnlichen Verfolgungsaktion in den Jahren 1991 und 1992 wurden weitere 250.000 Rohingya vertrieben. Für die ehemals in ihrem Land verfolgte Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi sind diese Menschen keine Bürger Myanmars, sondern "illegale Einwanderer aus Bangladesch". Das Außenministerium in Dhaka weist diese Sichtweise kategorisch zurück.

Einem Sprecher des Ministeriums zufolge hat Bangladesch bereits die Grenzen seiner Aufnahmefähigkeit erreicht. In den beiden Flüchtlingslagern Ukhiya und Kutupalong leben demnach mehr als 30.000 vertriebene Rohingya. Weitere 200.000 Mitglieder der Volksgruppe sollen sich als illegale Einwanderer im Land versteckt halten. Da die Rohingya staatenlos sind, haben sie in Myanmar kaum Zugang zu Arbeit, Bildung und Gesundheitsversorgung.

Der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte in Myanmar, Tomás Ojea Quintana, bezeichnete die Situation als "sehr kritisch" und mahnte unverzüglich humanitäre Hilfe an. Er appellierte an Bangladesch, internationale Gesetze zu beachten und die Menschenrechte innerhalb der eigenen Grenzen zu schützen. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.ohchr.org/en/countries/asiaregion/pages/mmindex.aspx
http://www.ipsnews.net/2012/11/first-burning-homes-now-border-patrols/

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 21. November 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. November 2012