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INTERNATIONAL/151: "Sie wollen unser Land und unsere Häuser" - Palästinenser von Siedlern bedroht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. Mai 2013

Nahost: 'Sie wollen unser Land und unsere Häuser' - Palästinenser von israelischen Außenposten bedroht

von Jillian Kestler-D'Amours


Bild: © Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Ibrahim Makhlouf steht auf dem Dach seines Hauses im Westjordanland, von wo aus er die die israelische Außenpostenfarm Shalhevet sehen kann
Bild: © Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Asira Al-Qibliya, Westjordanland, 17. Mai (IPS) - Ibrahim Makhlouf greift sich in seinem Flur zwei Balken und verbarrikadiert damit seine Haustür. "Öffnen Sie mal", sagt er, wohlwissend, dass das nicht möglich ist. "Solche Schutzvorkehrungen treffen wir jeden Abend", sagt er. "Wegen der Siedler".

Makhlouf lebt in Asira Al-Qibliya, einem Dorf am Außenrand des Westjordanlands. Nur 500 Meter von seinem Grundstück entfernt befindet sich die Shalhevet-Farm, ein sogenannter Außenposten und Ableger der israelischen Siedlung Yitzhar.

Wie Makhlouf berichtet, wird sein Haus mindestens zwei Mal die Woche von israelischen Siedlern attackiert. 100 Mal wurde es dem sechsfachen Familienvater zufolge schon verwüstet. Die Fenster des zweistöckigen Gebäudes sind von außen vergittert, um zu verhindern, dass die Scheiben von heranfliegenden Steinen zertrümmert werden. "Sobald wir die Siedler kommen sehen, schicken wir unsere Kinder zu unseren Nachbarn. Etwas anderes bleibt uns nicht übrig."

Makhlouf und die Seinen leben nach eigenen Angaben seit 1999, seit der Ankunft der Siedler, in ständiger Angst vor Gewalt. Der Zutritt zu dem 1,6 Hektar großen Familienbesitz und zu den dort wachsenden Feigen, Oliven und Weintrauben ist ihnen verwehrt.


"Regierung und Siedler sind eins"

"Das ist das Land meines Vaters und Großvaters. Doch nun wird es von den Siedlern bewirtschaftet. Und ich darf es noch nicht einmal betreten", klagt Makhlouf. "Sie wollen unser Land und unsere Häuser und die Kontrolle über das gesamte Gebiet, um ihre Siedlungen auszubauen", sagt er. Die Siedler würden der israelischen Regierung finanziell unterstützt und von den israelischen Soldaten geschützt. "Die Regierung und die Siedler sind eins."

In letzter Zeit haben internationale Kräfte einschließlich der USA versucht, Israel zu einer Einstellung des Siedlungsbaus im Westjordanland zu bewegen, um die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme der Friedensgespräche zwischen Israelis und Palästinensern zu schaffen. Am 30. April erklärte die Arabische Liga, in Verhandlungen über die künftigen Grenzen zwischen Israel und einem künftigen palästinensischen Staat einem Landtausch längs der grünen Linie von 1967 zuzustimmen.

Doch die Ausweitung der israelischen Außenposten im Westjordanland wie die Shalhevet-Farm ist kein Thema der Nahost-Verhandlungen. Solche Außenposten sind häufig die ersten Vorboten einer Entwicklung, die auf den Ausbau der israelischen Siedlungen abzielt. Nach dem internationalen Völkerrecht sind israelische Siedlungen auf dem Land der Palästinenser verboten.

Für Palästinenser wirken sich auch die Außenposten verheerend auf ihr Leben aus. Im Allgemeinen sind sie kleine Wohnwagenkolonien, die sich einer grundlegenden Infrastruktur erfreuen und von der israelischen Armee geschützt werden. Erstmals entstanden sind solche Außenposten Mitte der 1990er Jahre. Damals hatte der israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin für einen Siedlungsstopp gesorgt. Einige Jahre später forderte der israelische Führer Ariel Sharon die israelischen Siedler dazu auf, jeden Hügel zu besetzen. "Alles was ihr kriegen könnt, gehört uns. Was ihr nicht kriegen könnt, gehört uns nicht", sagte er.

2005 erklärte die Anwältin Talia Sasson im Auftrag der israelischen Regierung die Außenposten nach israelischem Recht für illegal, solange sie nicht eigens von der israelischen Regierung genehmigt wurden. Sie dürften zudem nur auf "Staatsland" gebaut werden. Darüber hinaus müssten Bebauungspläne und klar abgesteckte Territorialgrenzen vorhanden sein.

Die Außenposten können diese Kriterien nicht erfüllen. Doch inzwischen hat die israelische Regierung kürzlich Pläne bekannt gegeben, sie rückwirkend zu legalisieren. Derzeit gibt es rund 100 israelische Außenposten im Westjordanland. Sie gehen als kleine Einheiten an den Start, entwickeln sich dann aber in Windeseile zu größeren Gebilden. Viele Außenposten verfügen inzwischen über Steinhäuser, asphaltierte Straßen, Kinderspielplätze und Kindertagesstätten.

Was die Shalhevet-Farm angeht, so hat die israelische Anti-Siedlungsorganisation 'Peace Now' herausgefunden, dass das israelische Ministerium für Wohnungsbau 1,1 Millionen israelische Schekel (mehr als 300.000 US-Dollar) in den Anschluss des Außenpostens an Strom- und Wasserleitungen investiert hat.


Vorhut für systematische Besiedlung

Die Außenposten verfolgen häufig geopolitische Ziele. Nach Erkenntnissen der Menschenrechtsgruppe 'Yesh Din' dienen einige dazu, die auseinanderliegenden Siedlungen miteinander zu verbinden. Auch wenn die Außenposten aus nur wenigen Dutzend Familien bestehen, verfügen sie über die Kapazität, Land und die umliegenden Straßen zu kontrollieren.

Übergriffe auf Palästinenser und deren Besitztümer durch die Außenposten sind hinreichend belegt. Nachdem in diesem Monat ein Palästinenser in Nablus einen israelischen Siedler getötet hatte, zählten palästinensische Menschenrechtsgruppen in der gleichen Region 13 Anschläge von Siedlern auf Palästinenser.

Der 38-jährige Munir Jibreel Qaddous, ein Bauer aus dem Dorf Burin, fühlt sich von dem Außenposten Bracha B, einer Verlängerung der gleichnamigen Siedlung, bedroht. Bracha B besteht aus weißen Wohnmobilen, die den Blick auf Burins Felder freigeben. Die dort lebenden Siedler verwüsten regelmäßig das Eigentum ihrer palästinensischen Nachbarn, ohne eine Strafe befürchten zu müssen, wie Qaddous berichtet. 2011 war er tätlich angegriffen worden, während israelische Soldaten und Polizisten tatenlos dabeistanden.

Von Yesh Din zusammengetragenes Datenmaterial zeigt, dass zwischen 2005 und 2012 mehr als 91 Prozent der von Palästinensern eingereichten Klagen gegen die Gewalt israelischer Siedler keine Verurteilung nach sich gezogen haben. In 84 Prozent der Fälle wurden die Verfahren eingestellt, weil die Polizei in den Fällen nicht anständig ermittelt hatte.

"Sie ziehen an einem Strang", sagt Qaddous und meint die Bewohner der israelischen Siedlungen und Außenposten. Man könne förmlich zusehen, wie sich Bracha B allmählich vergrößere. "1999 wurde ein Wachturm gebaut, dann folgten die Wohnwagen. Später kamen 15 Häuser aus Zement hinzu", so der Bauer. "Vor der Ankunft seien eine Straße geteert und Strom- und Wasserrohre verlegt worden. In fünf oder zehn Jahren dürften sie auf allen Hügeln der Region anzutreffen sein." (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.yesh-din.org/userfiles/file/%D7%9E%D7%A1%D7%9C%D7%95%D7%9C%20%D7%94%D7%A0%D7%99%D7%A9%D7%95%D7%9C-%D7%A2%D7%93%D7%99%20%D7%A2%D7%93/MaslulHanishul_Eng_LR.pdf
http://www.yesh-din.org/userfiles/file/datasheets/LawEnforcement_datsheet_Eng_March_2012_Final.pdf
http://www.ipsnews.net/2013/05/against-push-for-peace-talks-outposts-continue-israeli-land-grab/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 17. Mai 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2013