Schattenblick → INFOPOOL → SCHACH UND SPIELE → SCHACH


ES GESCHAH.../001: Der Anekdotenkammer erste Tür (SB)


Artikellogo



Ja, die Schachwelt hatte ihre liebe Not mit dem "Schachrevolutionär" und großen Bahnbrecher der modernen Schachtheorie Aaron Nimzowitsch, und der Journalist und letzte Redakteur der 1938 eingestellten "Wiener Schachzeitung", Dr. Jacques Hannak, prägte denn auch zu Recht das berühmte Wort: "Die Geschichten über Nimzowitschs Schrullen und Absonderlichkeiten sind Legion."

Und Nimzowitsch hat wahrlich mit seinem exaltiertem Benehmen so manches arge Mal die Nerven seiner Umwelt über Gebühr strapaziert, wiewohl ihm nicht unbedingt eine böse Absicht unterstellt werden darf. Vielmehr stand er auf einem seltsamen Kriegsfuß mit der Welt, die er sich nicht anders vom Leib zu halten wußte als eben mit überzogenen Allüren.

Während eines Turniers beispielsweise zog er den gesammelten Unmut aller Teilnehmer auf sich, als er sich inmitten einer schwierigen Partie vom Stuhl erhob, um zur Lockerung seiner vom Tiefgang der Gedanken angespannten Muskulatur Freiübungen und Kniebeugen auszuführen. So manchem Schachmeister wird wohl das Monokel vom Auge gerutscht sein, als Nimzowitsch der vor Unglauben kopfschüttelnden Meistergilde schließlich auch noch einen lausbubenhaften Kopfstand präsentierte.

Unsere Anekdote indes soll eine andere Begebenheit aus dem Leben dieser schillernden Persönlichkeit umrahmen. Es war bekannt, daß Nimzowitsch eine regelrechte Aversion gegen Zigarrettenrauch empfang. Nun ereignete es sich, daß er seinem Erzrivalen Alexander Aljechin in einem Turnier gegenübersaß. Die Stellung auf dem Brett behagte Aljechin gar nicht. Er hatte mit seiner Eröffnungsbehandlung keine gute Hand bewiesen und war im Mittelspiel schlechterdings ins Hintertreffen geraten.

Da es insonderheit zwischen den beiden Schachlöwen stets um Ruhm und Ehre ging, besann sich Aljechin auf Nimzowitschs Schwäche und klügelte eine List aus, wie er ihn aus der Fassung bringen und zu Unüberlegtheiten verleiten könnte. Wie nebenher und ganz gemütlich griff Aljechin in seine Jackettasche und holte ein Mordsding von einer Zigarre hervor, die er dann ostentativ neben das Schachbrett legte, um sich sogleich wieder voll und ganz ins Grübeln zu vertiefen.

Nimzowitsch, der diesen Affront durchaus zu deuten wußte, reagierte in der zu erwartenden Weise. Innerlich vor Wut kochend, sprang er auf und eilte erbost zum Turnierleiter. Dieser mußte zuerst beruhigend auf ihn einreden, ehe Nimzowitsch den Grund seiner Aufgebrachtheit schilderte, nämlich daß Aljechin eine Zigarre mit der unverhohlenen Absicht neben sich gelegt hatte, ihn zu irritieren.

Als der Turnierleiter voller Verwunderung einwandte, daß Aljechin ja gar nicht beabsichtigte, die Zigarre anzuzünden und zu rauchen, entgegnete Nimzowitsch im todernsten Tonfall: "Ja wissen Sie denn nicht, daß die Drohung stärker ist als die Ausführung!"


Erstveröffentlichung am 24. April 1995

27. Februar 2007


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang