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SCHACH-SPHINX/04523: Rußlands erschlichene Ehre (SB)


Im sowjetischen Vielvölkerbund schlug das Schachspiel die wohl solidesten Wurzeln. Und es war insbesondere die bürgerliche Intelligenz in diesem Riesenreich, die das Schachspiel zur Reflexion ihrer Ansprüche in Besitz nahm. Doch viel ältere Kulturvölker als die Russen, ein in der Geschichte junges Volk, waren es, die die Kronenhäupter stellten. So stammte Alexander Aljechin zwar aus altem russischen Adelsblut, doch seine Flucht aus dem sowjetischen Staat ließ ihn als Gallionsfigur nicht unbedingt schicklich erscheinen. Michail Botwinnik, Wassilij Smyslow und Michail Tal waren dagegen jüdischer Abstammung, während Tigran Petrosjan ein Vollblut-Armenier war. Mit Boris Spasski trat ein Russe in die königlichen Fußstapfen, doch nach seiner Niederlage gegen den Amerikaner Bobby Fischer und nachdem er 1976 mit seiner französischen Frau nach Paris auswanderte, wurde er mehr oder weniger zur Unperson erklärt. Erst mit Anatoli Karpow tauchte am russischen Schachhimmel ein Vorzeige-Weltmeister ohne Makel auf. Bei den Moskauer Schachfunktionären stand er hoch im Ansehen. Als KP-Mitglied brachte er zudem alle Voraussetzungen mit, auf denen sich der Anspruch, die Russen seien die führende Schachnation, wundervoll tragen ließ. Garry Kasparow schlug wiederum aus der Bahn. Als Sohn eines früh verstorbenen Juden und einer Armenierin paßte er nicht so recht ins glorifizierende Bild der Staaträson. Erst der Fall der kommunistischen Elite sorgte für einen Wandel im Werteempfinden der russischen Funktionärswelt. Zwei Russen, die ihr Heimatland verließen und sich andere Staatbürgerschaften zulegten, waren Aljechin und Efim Bogoljubow. Im heutigen Rätsel der Sphinx trafen beide aufeinander. Aljechin mit Weiß gewann nicht nur die Partie, sondern auch den Wettkampf. Aljechin machte sich nun die Macht der Bauern, ideologisches Kernstück im Sozialismus, zunutze, wenn auch nur auf dem Brett. Genug der Vorrede, Wanderer, auf ins Getümmel!



SCHACH-SPHINX/04523: Rußlands erschlichene Ehre (SB)

Aljechin - Bogoljubow
Wettkampf 1934

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
1...De7-e6? war ein würdeloser Fehler, der nach 2.Kg3xg4 De6xf5+ 3.Kg4xf5 Lg8-d5 4.b2-b4 a7-a6 5.Kf5-g4 Ld5-c4 6.f4-f5 in eine glatte Verluststellung mündete. Bedauerlich, denn mit 1...Lg8-f7! hätte Lasker das Remis sicherstellen können. Capablanca hätte kaum etwas Besseres zur Hand gehabt, als mit 2.Df5-c8 De7-e6 3.Dc8-b7 De6-c4 in die Punkteteilung einzuwilligen, weil 2.b2-b4 an 2...De7-e6 3.Kg3xg4? Lf7-h5+ scheiterte.


Erstveröffentlichung am 22. Dezember 2000

04. Oktober 2012





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