Schattenblick →INFOPOOL →SCHACH UND SPIELE → SCHACH

SCHACH-SPHINX/04838: Mister Übergenau (SB)


Von großen Schachmeistern wird gemeinhin gesagt, sie besäßen eine überschäumende Phantasie, wären voll berstender Einfälle und gesegnet mit einem kühnen Auge fürs Außergewöhnliches. Bei einigen Meistern trifft diese Vorstellung sicherlich zu. Es ist schon eine seltene Gabe, die Kräfte zwischen den Figuren auf dem Brett zu einem entscheidenden Vorteil hinzulenken, auch wenn diese noch so versteckt wirken. Phantasie ist der eine Flügel, der zur Meisterschaft führt, der andere ist kaltes logisches Verständnis, eine Art Pedanterie, die jeder Verwicklung aus dem Wege geht und nicht den Ehrgeiz kennt, unbedingt in den schillernden Farben einer halsbrecherischen Kombination siegen zu müssen. José Capablanca, Weltmeister von 1921 bis 1927, war alles andere als phantasievoll. Sein Stil war eher rustikal, robust durch ein festes Gerüst aus einfachen, soliden Zügen. Auf Seilakte ließ er sich nicht ein. Der Erfolg der kleinen Schritte war sein Metier, und daran hielt er fest bis an sein Lebensende. Sein Vorgänger auf dem Thron, Emanuel Lasker, schrieb einmal über das Eigentümliche von Capablancas Siegespartien: "Capablancas Phantasie ist gezügelt. Er will begreifen. Der Gegner mag tasten; er selbst will sehen, wohin er tritt. Wir sind gewohnt, die großen Genies uns als Tastende vorzustellen, die hellseherisch schauen, was den anderen verborgen. Möglich, daß Capablanca das Hellseherische bei sich unterdrückt hat - ist doch die Gefahr der Fehlschläge dabei übermäßig groß. Möglich auch, daß sein Genie gerade auf das Praktische und Logische gerichtet ist, daß er nur in diesem Betracht ein Hellseher zu sein verlangte. Aber bei allem scheint es mir, daß Capablancas Phantasie nicht den großen und freien Flug hat." Im heutigen Rätsel der Sphinx wollte ihn der amerikanische Großmeister Marshall mit einem gewagten Gambit in die Verwirrung stürzen, aber Capablanca behielt seine Sachlichkeit und verwertete nach 1...Te8-e3 seinen Vorteil mit exaktem Spiel. Also, Wanderer, kühl und nüchtern wie Capablanca!



SCHACH-SPHINX/04838: Mister Übergenau (SB)

Capablanca - Marshall
New York 1918

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
In Endspielen wie diesen ist es immer ratsam, möglichst viel Material abzutauschen, um dann den Mehrbauern problemlos zu verwerten. Nona Gaprindaschwili spielte also 1.Te4-c4! Tc5xc4 2.Dd3xc4+ Kc7-b6 3.Dc4- b3+ Kb6-c7 4.Db3-c4+ Kc7-b6 - Zeitnotgeplänkel - 5.Dc4-d5 Df6-g6 6.Dd5- d3 Dg6-f6 7.Dd3-e3+ Kb6-c7 8.De3-a7+ Kc7-c6 9.Da7-a6+ Kc6-d5 10.Da6- b5+ und Schwarz gab auf, weil der Bauer h5 fällt.


Erstveröffentlichung am 03. April 2001

16. August 2013





Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang