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SCHACH-SPHINX/05040: Spelunken-Moral (SB)


In der Mitte des 19. Jahrhunderts, als das Schach anfing, sich von der Zweikampfform in eine besser und systematischer organisierte Wettkampfform zu verwandeln, stand man der Frage eines Berufsspielertums im großen und ganzen doch recht ablehnend gegenüber. Zu sehr stand das Schach in den Augen biedermännischer Gesinnung im Ruch spelunkenhafter Moral. Bis dahin wurde das Schach in den einschlägigen Cafés in der Hauptsache um Wettgelder gespielt. Kein Wunder also, daß der englische Shakespeare-Forscher und Organisator des ersten internationalen Turniers in London 1851, Howard Staunton, die vorherrschende Meinung wiedergebend, schrieb: "Das Schach bezweckt die Erholung geistvoller und tüchtiger Menschen, die ganz der Obliegenheit ihrer gesellschaftlichen Stellung leben. Darauf beruht seine gesellschaftliche Bedeutung und Trefflichkeit. Unter diesem Gesichtspunkte verdient es unsere Achtung. Das Schach war nie ein Beruf und kann nie einer werden; es kann in hohem Maße den Geist eines Geschäftsmannes in Anspruch nehmen, es kann aber nie seine Lebensaufgabe sein. Wenn es unter dem Gesichtspunkte übereifriger oder lohnsüchtiger Leute seinen Charakter verliert, dann wird der Sieg um jeden Preis, dann wird lediglich der Gewinn des Spiels und nicht der Fortschritt der Kunst als Hauptzweck betrachtet." Leicht ist daraus zu entnehmen, daß der künstlerische Wert einer Partie höher im Kurs stand als ein prestigegefälliger Sieg. Viel hat sich seitdem verändert. Die Biedermanns-Sittsamkeit von damals würde heutzutage die Barrikaden stürmen und strikt die Gegenpartei ergreifen gegen das turniermäßige Profischach. Die Ambivalenz zwischen Kunst und Kommerz ist in der Tat nicht ohne Widersprüchlichkeiten, und nicht wenige Schachspieler sehen auch heute von einer Turnierlaufbahn ab, um sich nicht an die "lohnsüchtige" Schachklientel verkaufen zu müssen. Daß die Kunst nicht immer zu kurz kam, beweist hingegen die Partie zwischen Bernstein und Seidmann aus dem Jahre 1959, wo Ersterer dank einer prachtvollen, allen Ansprüchen der Kunst Rechnung tragenden Kombination in vier Zügen Matt setzte. Also, Wanderer, das heutige Rätsel der Sphinx huldigt der Kunst!



SCHACH-SPHINX/05040: Spelunken-Moral (SB)

Bernstein - Seidmann
New York 1959

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Nach dem allzu gierig verschlungenen Bauernraub 1...Te8xe5? war die Partie dem Untergang geweiht, denn Meister Samaganowa stellte mit 2.Tc7xf7! sofort die Mattdrohung 3.Tf7xh7# auf. Indes, der Turm war wegen 3.Tg4-g8# nicht zu schlagen. Die Reue über den überstürzten Bauernraub kam also einen Zug zu später. Meister Strutschkow streckte daher die Waffen.


Erstveröffentlichung am 07. Juni 2001

06. März 2014





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