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SCHACH-SPHINX/05041: Balance of Position (SB)


Einen großen Fortschritt im Konzipieren einer Schachpartie leistete Wilhelm Steinitz mit seiner Theorie von der 'Balance of position'. Anders als seine zeitgenössischen Kollegen widmete sich Steinitz bei reiferer Betrachtung aller grundlegenden Stellungsprobleme nicht mehr dem unbedingten, zuweilen fast schon blindwütigen Angriff auf den gegnerischen König auf Kosten jeglicher Vorsicht. Nicht selten endeten solche Partien durch eine zufällige Wendung nach einer Anzahl grober Fehler und Ungenauigkeiten. Das lag daran, daß auch die verteidigende Seite vom Vorsatz des Angreifens nicht ablassen wollte. Wo man konnte, bedrohte man eine Figur oder suchte ein Matt zu erzwingen. Mit seiner Balance of position ging Steinitz davon aus, daß der Angriff auf keinen Fall voreilig inszeniert werden durfte und vorrangig sein müsse, eine Zusammenhäufung subtilerer Vorteile anzustreben, als nur auf einen großen Durchbruch zu hoffen. Kein anderer als sein Nachfolger auf dem Weltmeisterthron, Emanuel Lasker, hatte diesen Wert im Umdenken vom klassischen zum modernen positionellen Schach im Werke von Steinitz verstanden und beschrieben: "Gewiß hat Steinitz das Herz geklopft, als ihn eines Tages zuerst der Gedanke durchzuckte, man dürfe nicht Gewinnkombinationen suchen, wenn man aus der Stellung sich selber nicht glaubhaft machen kann, daß man einen Vorteil habe; beispielsweise nicht zu Beginn der Partie. Und gewiß wird dieser Gedanke sich wieder schüchtern versteckt haben, da Steinitz doch in einer Umwelt lebte, in der es Ehrensache war, von vornherein und kritiklos Gewinnkombinationen zu suchen. Aber der Gedanke hatte ihn gewiß gepackt. Wenn er nun die gewinnenden Kombinationen seiner berühmten Vorbilder analysierte, sah er, daß sie sich immer auf ein Übergewicht stützten, mindestens eines Übergewichts an Beweglichkeit und an Wirkung der Figuren." In den folgenden Jahrzehnten wurde die Lehre von Steinitz von verständigen Köpfen aufgegriffen und weiterentwickelt; und das war nötig, weil Steinitz ungeachtet aller Genialität selbst einen großen Fehler beging, dem alle Reformer und Erneuer beharrlich verfallen: Sie versteifen sich in eine Dogmatik hinein. Der russische Großmeister Ossip Bernstein hatte diesen Hang zur Dogmentreue nicht. Kaltblütigkeit zeichnete seinen Stil aus, und hätte ihm das Leben nicht so arg mitgespielt durch die Kriegswirren, er wäre wohl weiter hinauf gestiegen auf der Leiter des Erfolg. In Groningen 1946, dem ersten internationalen Turnier nach Kriegsende, gelang ihm mit den weißen Steinen ein hervorragender Sieg gegen Kotow. Schaffe Balance, Wanderer, und bringe Ordnung ins heutige Rätsel der Sphinx!



SCHACH-SPHINX/05041: Balance of Position (SB)

Bernstein - Kotow
Groningen 1946

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Die einzelnen Faktoren zusammengezählt, labile Lage des schwarzen Königs, unsichere Position der schwarzen Dame und die aktive Rolle der weißen Schwerfiguren, und schon entstand im Kopfe Bernsteins ein überzeugender Mattplan. Er zog also 1.Sf3-e5! und lenkte die schwarze Dame von der h-Linie ab. Nach 1...Dh5xe2 folgte die eigentliche Schreckpointe mit 2.Dc2xh7+!! und forciertem Matt: 2...Kh8xh7 3.Ta4- h4+ Kh7-g8 4.Sc6-e7#


Erstveröffentlichung am 08. Juni 2001

07. März 2014





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