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SCHACH-SPHINX/05430: Gefangen im Gefühl (SB)


Liebe macht blind, so ein altbekanntes Sprichwort, und wer's mit dem Herzen hat, der ist eben in seinen Kopfangelegenheiten alles andere als wertfrei und nüchtern. Stets fliehen die Gedanken zur Geliebten zurück, stets taucht ihr Gesicht und zarter Mund vor dem inneren Auge auf und verhindert wie eine Umarmung die Beschäftigung mit dem akut Aktuellen. Davor sind auch Schachspieler nicht gefeit. Wenn das Blut rauscht und wallt und in stürmischen Ovationen für die Angebetete pulsiert, hilft kein Sichablenken und keine Selbstdisziplin. Gefangen im Gefühl, trübt sich der Blick für die Wirklichkeit. Wer kann da schon ans Mattsetzen denken, wer will da schon kombinieren müssen, wenn das Herz auf Reisen geht? Von diesem schwärmerischen Wahn sind beiderlei Geschlechter betroffen. Bei dem traditionellen Weihnachtsturnier in Hastings 1961 war die amerikanische Meisterin Lisa Lane mit ihren Gedanken stets "woanders". Frisch verliebt, wie sie war, dachte sie immer nur an den Adonis ihres Herzens, und verlor infolge von verliebter Zerstreutheit Partie um Partie. Bis zur fünften Runde hatte sie gerade einmal ein Remis erzielen können, der Rest waren Niederlagen. Zur sechsten Partie mochte die von Amors Pfeil Durchbohrte gar nicht mehr antreten. Flugs gab sie das Turnier auf und flog zurück in die Arme ihres Liebsten. Als sie nach dem Grund ihres Turnierrücktritts befragt wurde, und wie hätte es anders sein können, antwortete sie darauf, die Liebe habe sie um jeden klaren Gedanken gebracht. Wer weiß, wäre der indische Großmeister Viswanathan Anand im heutigen Rätsel der Sphinx bis über beide Ohren verliebt gewesen, so hätte er vielleicht im kopflosen Amoroso 1.Da4xc6? gezogen und nach 1...Dg4-d1+ 2.Ld3-f1 Dd1xb3! die Partie verloren. Doch sein Herz war nicht vom Überschwang der Leidenschaft ergriffen, und so fand er die Siegeskombination mit klarem Kopf. Hast auch du deine Gedanken frei von zartbesaitetem Gefühl, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05430: Gefangen im Gefühl (SB)

Anand - Iwantschuk
Linares 1993

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Garry Kasparow kennt auf dem Brett nur Gegner, Sieg ist bei ihm das oberste Primat, auch gegen junge Schachdamen übt er kein Pardon, und so mußte die junge ungarische Großmeisterin Judit Polgar nach 1...Dc4- f4 2.Kh1-g1 e3-e2 3.De7-h4 Df4-e3+ halt in den sauren Apfel beißen.


Erstveröffentlichung am 21. April 2002

31. März 2015


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