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SCHACH-SPHINX/05476: Mit Gift schmeicheln (SB)


Das Prestige ist eine wacklige Bühne, und wer sie betritt, muß neben donnerndem Applaus auch mit Schmähungen rechnen, denn auf der anderen Seite sitzen, bedenkt man es recht, in dunklen Nischen verkrochene, mit Tinte und Feder armierte Scharen von giftdurchtränkten zweitklassigen Kritikern. Die wissen wohl, das jenes Rampenlicht, das golden von der Decke fällt, den Hintergrund verbirgt. Also schärft sich ihr Auge für die verborgenen Nuancen. Hervorziehen, mit Gift schmeicheln, lästern, lügen, lümmeln, so heißt ihre Bühne des Hinterhalts. Larvenmaskerade statt Gesicht, Mißgunst, die ins Mark sticht, statt echter Kunst und echtem Könnertum. Skeptiker, die sich das Maul zerreißen, Worte, die allen Schönsinn verdunkeln. So bieten sie ihrem Publikum nur Surrogate dar, auf Krücken gehend, klumpfüßigen Gemüts. Wofür sie sich hergeben? Aus Gesichtern Grimassen schneiden - das ist billigerweise ihr Ersatz für jahrelange Arbeit und Professionalität. Man nehme ein Samenkorn, schwer bricht sich der Keimling durch das dunkle, harte Erdreich, mühsam reift unter der Sonne Blatt für Blatt das zarte Grün, doch ist es dann vollbracht, siehe, da eilen auf klebriger Schleimspur heran Horden von Schneckengetier und Madenmiesling. Und damit zurück zum heutigen Rätsel der Sphinx. Robert Hübner ist bekanntlich ein tiefdenkender Charakter. Seinen Opfern fehlt selten der triftige Grund. In seiner Partie gegen Viktor Kortschnoj unterlief ihm jedoch ein echter Lapsus. In der Diagrammstellung hatte er gerade 1.Sf5xg7? gezogen. Sieht prächtig aus, auch gefährlich scheint es zu tun, doch Kortschnoj, schrecklich wie er ist, dachte einen kleinen Schritt weiter und erwies sich zuletzt als gescheiter. Erkennst du den Grund, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05476: Mit Gift schmeicheln (SB)

Hübner - Kortschnoj
San Francisco 1995

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Meister Duras zählte die Vorteile seiner Stellung zusammen. Halb und halb macht ein Ganzes, dachte er sich und zog 1...Dh5-d1! Die schwarze Dame war tabu, aber Meister Arnold hoffte, mit 2.Sd7xb6 entkommen zu können. Irrtum! Duras spielte im Stil der klassischen Zeit 2...Tc8-c1 und nahm den Sieg entgegen, denn 3.Dg3xe3 Dd1xe1+ 4.De3xe1 Tc1xe1+ 5.Kg1-f2 Te1-a1 wäre chancenlos geblieben. Nicht geholfen hätte auch 2.Sd7-e5, weil darauf 2...e3-e2+ 3.Kg1-h1 Dd1xe1+! 4.Dg3xe1 Lb6-f2 die weiße Grundreihe perforiert hätte.


Erstveröffentlichung am 06. Juni 2002

16. Mai 2015


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