Frank James Marshall, gebürtiger New Yorker, war vom Schachspiel fasziniert. "Er lebte das Spiel", so ein Freund, und lebenslang sollte er es auch praktizieren. Um auch andere an seiner Leidenschaft teilnehmen zu lassen, gründete er 1915 den Marshalls Chess Divan, ein Schachmekka auf amerikanischem Boden. Infolge der Weltwirtschaftskrise konnte er die Kosten für Miete und Strom jedoch kaum noch aufbringen. Doch Freunde, Gönner und Bewunderer des liebenswürdigen Meisters griffen ihm unter die Arme und kauften das Haus, darin er im Obergeschoß eine Wohnung für sich und seine Familie zugewiesen bekam. So brauchte er abends nur herunterzusteigen und war mittendrin im Schlaraffenland des New Yorker Schachlebens. Bis zu seinem Tode 1944 leitete er den traditionsreichen Klub, der dann bis 1971 von dessen Witwe Carrie weitergeführt wurde. Heute, nach dem Sichwegstehlen von Bobby Fischer aus den Arenen des Königlichen Spiels, führt der Schachklub kaum mehr als ein Schattendasein. Amerika, das ist ein Land mit unbegrenzten Möglichkeiten, aber nicht für das Schach. Ein Großteil der "amerikanischen" Meister stammt aus dem Ausland, es sind Exilanten und Green-Card-Inhaber. Einst als Begegnungsstätte gegründet, kommen heutzutage selten namhafte Vertreter der Kunst in den Marshall Chess Club. Staub rieselt auf die Bretter. Das Denken hat in diesen Räumen fast ausgehört. Schweigen im Schachentwicklungsland Amerika. Zu Marshalls Zeiten war das noch anders, wie das heutige Rätsel der Sphinx belegt, als der amerikanische Meister in Lüttich mit den weißen Steinen den Rigaer Meister Aaron Nimzowitsch an die Wand spielte. Auf den simplen Qualitätsgewinn 1.Sc7xa8 ließ sich Marshall natürlich nicht sein. Statt dessen zielte er planmäßig auf die Eliminierung der stärksten schwarzen Figur, um dann die schwarze Majestät selbst aufs Korn zu nehmen. Errätst du Marshalls Plan, Wanderer?
Marshall - Nimzowitsch
Lüttich 1930
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Durchaus unternehmerisch gespielt war 1.Sc3-d5!? e6xd5 2.e5-e6, doch
nach 2...0-0! 3.Td1-d3 h5-h4 4.Tf1-f3 Kg8-h7 5.Tf3-g3! h4xg3 6.Td3xg3
f7-f6! 7.Tg3-h3+ Kh7-g7 8.Th3-g3+ Kg7-h7 mußte Meister Schirow doch
ins Remis per ewiges Schach einwilligen.
Erstveröffentlichung am 01. August 2002
12. Juli 2015
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