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SCHACH-SPHINX/05560: Institutionalisierte Rache (SB)


In den alten Zeiten wußten die Menschen noch recht nach Herzenslust zu fluchen und zu schimpfen. Da wurde nicht lange herumphilosophiert oder nach elitären Phrasen Ausschau gehalten. Die Zunge selbst formte das scharfe Schwert. Gekünstelter Gedanken bedurfte es nicht. Wozu auch verwirrende Vergleiche heraufbeschwören? Das Wort bahnte sich selbst den Weg von der Galle hinauf, entlang gereizter Nervenstränge, vibrierte durch die Kehle und schoß heraus. Wie tragisch hatte sich bei den Arabern die Kultur in diesem Sinne entwickelt. Sie veranstalteten nämlich bei rivalisierenden Auseinandersetzungen öffentliche Sippentreffen, wobei jede Partei Schimpfredner einlud, die dann in Vorträgen auf die andere Gruppe rhetorische Kanonaden und mit Gift gefüllte Wortsalven abschossen. Dann kam der andere an die Reihe und setzte das Werk der Verbalinjurien fort, nur daß es diesmal die andere Sippe traf. Das hatte auch sein Gutes. Die Rache wurde so institutionalisiert und in zivile Bahnen gelenkt. Auch wir in Europa kennen dieses, wenn auch ein wenig abgewandelt in den Streitschriften. Beispielsweise war Heinrich VIII. (1491-1547), König von England und Gatte von sechs Königinnen, einmal über einen abtrünnigen Theologieprofessor hergezogen, den er als eine "giftige Schlange, eine elende Seuche, einen Höllenwolf, einem Zerberus ähnlich, eine infektiöse Seele, einen abscheulichen Trompeter der Eitelkeit" bezeichnete. Er fuhr in seiner Lästerung fort: "Er hat einen scheußlichen Geist, eine dreckige Zunge, ist mit Gift gefüllt, wenn dieses gräßliche Ungeheuer gefangen wird, so wird es betäubt sein und vor Gram vergehen ... Ach, der gefräßigste Wolf der Hölle hat ihn überrumpelt, verschlungen und ihn runtergeschluckt bis in die tiefsten Tiefen seines Bauches, wo er jetzt halb tot und halb lebendig liegt. Und während der fromme Hirte nach ihm ruft und seinen Verlust beklagt, rülpst er aus dem dreckigen Maul des Höllenwolfes diese unflätigen Beschimpfungen, welche die Ohren der ganzen Herde verabscheuen, geringschätzen und voller Ekel ablehnen." Auf dem Schachbrett geht es zwar vornehmlich um Raub und Beutemachen, zuweilen bekriegen sich die Akteure jedoch auch mit Worten. Wer in diesem narzißtischen Triumphzug an der Kette hängt und wer den Lorbeerkranz zuletzt entgegennimmt, nun, Wanderer, darüber entscheide du im heutigen Rätsel der Sphinx. Beide Könige standen gefährdet, nur daß Weiß am Zuge war.



SCHACH-SPHINX/05560: Institutionalisierte Rache (SB)

Lau - Hertneck
Bundesliga 1987

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Artur Jussupow erkannte die Schwäche des schwarzen Läufers auf c5 und zog darum 1.f3-f4! mit der simplen Drohung 2.f4xe5+ Also blieb Wegner nichts anderes übrig, als 1...e5xf4 zu erwidern. Umsonst indes war sein Befreiungsversuch, denn nach 2.e4-e5+! d6xe5 - 2...Kf6-e7 3.Tb3- b7+ nebst 4.e5xd6 mit einfachem Gewinnweg - 3.Kd5xc5 g6-g5 4.Kc5-d5 g5- g4 5.h3-h4 sah er ein, daß er das Rennen der Freibauern nicht gewinnen konnte und gab sich geschlagen.


Erstveröffentlichung am 28. August 2002

08. August 2015


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