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SCHACH-SPHINX/05675: Aktenordnerei des Lebens (SB)


Schachspieler sind Nachteulen und Pedanten mit fast schon exzessiven Auswüchsen. Wie ein Uhrwerk wird Sekunde auf Sekunde verplant. Kein störender Augenblick darf zwischen die Gedanken schießen. Am Brett siegt, wer sich selbst zur Disziplin zwingen kann. So dachte jedenfalls der russische Meister Michail Tschigorin, einer der größten Kombinationskünstler, der je die Turnierhallen betreten hat. Wie auf dem Schachbrett pflegte er auch im Leben einen strengen Ablauf einzuhalten. So frühstückte er stets um acht Uhr, nahm das Mittagessen genau um zwölf Uhr ein und verzehrte das Abendessen um sieben Uhr. Das war seine Pedanterie. Zum Kummer seiner Haushälterin war er jedoch auch noch eine Nachteule. So mußte das Frühstück natürlich um acht Uhr nachts auf dem Tisch stehen, und wenn er zu Mittag verlangte, schlug die St. Petersburger Turmuhr gerade Mitternacht. Selbstredend nahm er das Abendbrot um sieben Uhr in der Frühe ein. An diesem umgekehrten Zeitplan zur Wirklichkeit seiner Zeitgenossen hielt er fast sein ganzes Schachleben lang fest, und immerhin, es verhalf ihm dazu, daß er schon zu Lebzeiten geehrt wurde als der Gründer der russischen Schachschule. Dank dieser peniblen Genauigkeit war es Tschigorin ein leichtes, Partien auch ohne Ansicht des Brettes zu spielen, wie zum Beispiel in seiner Blindpartie gegen Meister Arnold. Tschigorin, mit Schwarz am Zuge, glänzte im heutigen Rätsel der Sphinx durch ein feinsäuberlich herbeigeführtes dreizügiges Matt, das du, Wanderer, wohl auch ohne große Aktenordnerei des Lebens wirst finden können.



SCHACH-SPHINX/05675: Aktenordnerei des Lebens (SB)

Arnold - Tschigorin
St. Petersburg 1885

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Im Handumdrehen, wie gesagt, fand Anand hier den Schlüssel zum Sieg, und zwar dank der kleinen Opferkombination 1.Sf6xd5! e6xd5 2.e5-e6 Kd8- e7 3.Tc1-c3 Db3-b5 4.Tc3-c7+ Ke7xe6 5.Dd4-e3+ Ke6-f6 6.De3-e7+ Kf6-f5 7.De7xf7+ und das Matt in fünf Zügen ließ sich Drejew nicht mehr zeigen. Niveau muß sein!


Erstveröffentlichung am 19. Dezember 2002

05. Dezember 2015


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