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SCHACH-SPHINX/05748: Der schlußendliche Stolperstein (SB)


Zwei Menschen, zwei Gehirne und dennoch ein gleiches Regelwerk. Wie aber kommt es, daß eine bestimmte Stellung so ungleich bewertet wird? Die Voraussetzungen zu ideenreichen Verknüpfungen dürften so weit nicht auseinanderliegen. Talent hin, Talent her, das kognitive Begreifen einer Position hinsichtlich ihrer Möglichkeiten und Einschränkungen läßt den grandiosen Einfall allenfalls als Schlußkomponente zu, verneint jedoch ein zielhaftes Streben darauf zu. Unterstellt man wiederum, daß beide Spieler mit einer angenähert gleichen Gemüts- und Gesundheitsverfassung ans Brett eilen, so wundert man sich nicht wenig, daß das letztendliche Resultat zweier Denkprozesse so verschieden ausfällt. Hören wir dazu unseren Dichterkönig Goethe, der felsenfest der Meinung war, daß es auf das Innere ankam: "Das Innere, Eigentliche einer Schrift, die uns besonders zusagt, zu erforschen, sei daher eines jeden Sache, und dabei vor allen Dingen zu erwägen, wie sie sich zu unserm eignen Inneren verhalte, und inwiefern durch jene Lebenskraft die unsrige erregt und befruchtet werde: alles Äußere hingegen, was auf uns unwirksam, oder einem Zweifel unterworfen sei, habe man der Kritik zu überlassen, welche, wenn sie auch imstande sein sollte, das Ganze zu zerstückeln und zu zersplittern, dennoch niemals dahin gelangen würde, uns den eigentlichen Grund, an dem wir festhalten, zu rauben, ja uns nicht einen Augenblick an der einmal gefaßten Zuversicht irre zu machen." Das Floskelhafte beiseite gelassen, erkennen wir also, daß das individuelle Vorteilsstreben, jene ominöse Lebenskraft, von der Goethe spricht, immer und ausschließlich etwas, was als Theorie allgemeingültig, vernünftig oder zielstrebig hochgehalten wird, verdirbt. Dieser allzu menschliche Faktor ist das eigentlich Dynamische einer jeden Partie und auch ihr schlußendlicher Stolperstein, wie zum Beispiel in der Begegnung zwischen Andruet und Spasski. Und damit kommen wir zum heutigen Rätsel der Sphinx, Wanderer. Andruet hatte zuletzt 1.Ld3-b5? gezogen in der Hoffnung, nach Abtausch der weißfeldrigen Läufer die Kraft seines Freibauern auf c5 erhöhen zu können. Ein satter Vorteil, wenn die Rechnung aufgegangen wäre.



SCHACH-SPHINX/05748: Der schlußendliche Stolperstein (SB)

Andruet - Spasski
Bundesliga 1988

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Die schwarze Stellung lag in Ruinen, und so konnte Boris Spasski dank einer würzigen Kombination Herr werden über das ungeteilte Brett: 1.Tf1xf6! e7xf6 2.Dh4-h7+ Kg8-f8 3.Sg5xf7! - das hatte Geller offenbar nicht gesehen - 3...Ta2xc2 4.Le3-h6 Tc2xc1+ 5.Se2xc1 Kf8xf7 6.Dh7xg7+ Kf7-e8 7.g4-g5 f6-f5 8.Dg7xg6+ Ke8-d7 9.Dg6-f7+ Kd7-c6 10.e4xf5+ und Schwarz gab auf. Nach der Partie wies Geller nach, daß auch 4...Da6xd3 5.Dh7xg7+ Kf8-e8 6.Tc1xc2 Sa3xc2 7.Se2-f4 verloren hätte.


Erstveröffentlichung am 02. März 2003

16. Februar 2016


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