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SCHACH-SPHINX/05772: Amme der Höflichkeit (SB)


Eine versteckte Verächtlichkeit ist häufig die Amme zur Schau gestellter Höflichkeit, beispielsweise wenn ein erfahrener Turnierspieler sich herabläßt, die Klingen zu kreuzen mit einem Nobody aus der schachlichen Provinz. Schnell sind die Figuren aufgestellt, denn dem Mann von Welt aus den Hallen des Königlichen Spiels läuft die Zeit davon. Er will sich nicht lange aufhalten lassen. Ohnehin wird ihm die Partie nicht viel Neues einbringen. Ein rascher Vorteil in der Eröffnung, dann ein Sturm-und-Drang-Gewüte im Mittelspiel, das Endspiel wird wohl nicht erreicht werden. Das Matt scheint vorprogrammiert zu sein, und so scharen sich die Kiebitze hinter dem turmhohen Favoriten, wollen ein wenig mitkriegen von der Art lässiger Selbstgfälligkeit. Doch die Provinz schläft nicht. Längst hat sie erkannt, daß der Elfenbeinturm stadtfeiner Herren nur aus der Ferne ehrfurchtsgebietend aussieht. Aus der Nähe betrachtet, ist an dem Siegerprofil des Lokalhelden bestenfalls die Schminke echt. Große Verwunderung zuletzt, der Riese aus den eigenen Reihen stürzt. Kein Bein bekam er auf das Brett, geschweige denn einen sinnvoll positionierten Kriegsfuß. Wisse, die Seele des Schachspiels heißt: Respekt vor dem Gegner. Schließlich geht auch ein grelles Schachlicht aus, wenn die Tür zur eigenen Überheblichkeit offensteht. Also, Wanderer, warum war der letzte Zug von Westerinen 1.Sf3-h4? im heutigen Rätsel der Sphinx wie für die Dresche von Kunsztowicz maßgeschneidert?



SCHACH-SPHINX/05772: Amme der Höflichkeit (SB)

Westerinen - Kunsztowicz
Dortmund 1973

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Typisch Rudolf Spielmann: Mit 1.Lc1-a3! entzündete er die Fackel, und als ihm Milan Vidmar mit 1...Sg5xf3+ 2.De2xf3 Tf8-f7 auch noch den Zunder hinhielt, war der Flächenbrand auf dem Brett unvermeidlich. Spielmann setzte mit 3.Ta1-e1 fort, eine Stellung ganz nach seinem Geschmack. Vidmar hatte wohl gehofft, mit 3...Lc8-e6 die Stellung konsolidieren zu können, erkannte jedoch zu spät, daß darauf 4.Df3-h5 g7-g6 5.Ld3xg6! h7xg6 6.Dh5xg6+ nebst 7.Dg6xe6 folgen würde. In seiner Not griff Vidmar weit aus und zog 3...g7-g5. Spielmann sagte Danke und gewann im Handumdrehen mit 4.e5-e6! Tf7-g7 5.Df3-h5 Sc6-e7 6.La3-c5 - mit der furchtbaren Drohung 7.Lc5-d4 - 6...Se7-g6 7.e6-e7! Sg6xe7 8.Lc5xe7 - Vidmar hatte an 8...Tg7xe7 9.Dh5xg5+ keinen Gefallen mehr.


Erstveröffentlichung am 26. März 2003

11. März 2016


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