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SCHACH-SPHINX/05949: Tyrannei der Zahlen (SB)


Seit 1970 gibt es im Turnierschach die Wertungszahl Elo. Eine nette Erfindung, mag man im ersten Moment denken, jetzt wüßte man genau, wie stark dieser oder jener Großmeister wirklich spiele. Das Ganze hat nur einen Teufelsfuß. Hinter Zahlen, Maßstäben und Vergleichen, im Grunde nur ein modernes Verwaltungssystem, verschwindet der Schachspieler, wird zu einem meßbaren Symbol. In der Presse, man wundert sich in der Tat ein wenig über die naive Deutung, tauchen denn auch Sensationsmeldungen auf wie: Meister Soundso hat den Großmeister Etcetera besiegt, und das trotz des immensen Elo-Unterschieds. Eine Farce, über deren Billigkeit sich die wenigsten klarwerden. Die Elozahl mißt ja "nur" das Abschneiden der Spieler auf Turnieren. Am Brett sitzen sich jedoch Menschen gegenüber, die Launen, Unbeständigkeiten oder privaten Zerwürfnissen ausgesetzt sind. Mehr oder weniger stark schwanken also auch ihre Leistungen. In früheren Tagen besaß jeder Meister ein bestimmtes Renommnee, das er sich verdient hatte durch sein Engagement, seinen Charakter und die Art, wie er sich in der Öffentlichkeit bewegte. In seinen Partien und Werken wurde gelesen wie in einem Buch. Die Zahl 2645 dagegen ist stumm, nichtssagend, inhaltsleer. Sie verrät nichts über die Eigenheiten, Tragödien und Werdegänge dieses Menschen. Es ist bedauerlich, daß infolge dieser Verarmung das schleichende Gift der Entfremdung tiefere Distanzen zwischen Mensch und Mensch geschaffen hat als jemals zuvor. Der wunde Punkt bleibt unberührt. Nicht das Individuum, sondern die gestiegene Austauschbarkeit dominieren das Feld. Ach, wie gut, daß niemand rät, das ein Nichts dahintersteht? Im heutigen Rätsel der Sphinx wurde der kapriziöse Nimzowitsch das Opfer seiner eigenen Schrullen. Er hatte die Partie gegen Alexander Aljechin etwas zu verschroben behandelt und sich nach und nach in eine fast schon tragikomische Situation hineinmanövriert. Aljechin, mit Weiß spielend, beendete die Agonie mit einer kleinen und durchschlagenden Wendung. Also, Wanderer, kurz und bündig ging es zu!



SCHACH-SPHINX/05949: Tyrannei der Zahlen (SB)

Aljechin - Nimzowitsch
San Remo 1930

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Und Tal trank Drachenblut, nachdem Larsen 1...Dc7-c4 gezogen hat. Der Rigaer Meister verblüffte den Dänen und das Publikum mit 2.Dd4-b6!! Die Drohungen ließen sich kaum aufzählen. Larsen, völlig überspielt, zog noch 2...Sd1-f2, doch nur, um sich nach 3.Lf3-c6+! Lc8-d7 4.Lc6xd7+ Ke8xd7 5.Db6-b7+ Kd7-d8 6.Db7xa8+ Dc4-c8 7.Da8-a7 geschlagen zu geben.


Erstveröffentlichung am 17. September 2003

05. September 2016


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