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SCHACH-SPHINX/05977: Schwelgen im Selbstgenuß (SB)


Lassen sich Moral und Schach zu einem Teppich knüpfen, und sind die Mittel in diesem Falle erhabener als der simple Zweck? Oder atmet daraus derselbe alte Vorwurf, der schon Goethe zu den Worten hat hinreißen lassen: "Neigung besiegen ist schwer; gesellet sich aber Gewohnheit, wurzelnd, allmählich zu ihr, unüberwindlich ist sie." Lag der Sinn der Aufklärung nicht darin, den Menschen moralisch zu bessern, ihm Konturen zu geben in der gestaltlosen Finsternis seiner selbstsüchtigen Absichten? Das Schach fördert den Wettkampfgeist, verhärtet also die Front der Gegenseitigkeit. Vielleicht ist aber nicht so sehr das Siegenwollen unmoralisch, als vielmehr die Unfähigkeit des Menschen, ein guter Verlierer zu sein? Die Haarigkeit der Aussage läßt jeden Willen sich sträuben. Nie und nimmer lern' ich, so der hitzige Trotzkopf, das Verlieren, lieber bin ich ein elender Schuft, als daß ich mich als Engel kleide! In der Tat ist es schwer, das Latein der Moralbegriffe auf sich selbst anzuwenden. Alle anderen, nun ja, die mögen vom Sieg Abstand nehmen und sich als Pessimisten glücklich fühlen. Eine Niederlage ist, bei allem Ernst, kein guter Ratgeber und geteilte Übel mag ich nicht, so seine Rede. Die Moral der Aufklärer hatte es sich auch sehr leicht gemacht, als sie den Egoismus verteufelte und statt dessen eine Ethik ersann, die tierischer, inakzeptabler war als jedes Schwelgen im Selbstgenuß. Der Mensch läßt sich wohl verschlimmbessern, aber nicht zu einem kompletten Narren machen! Im heutigen Rätsel der Sphinx trat die "böse" Seite von Meister Larsen ganz unverschämt zutage. Mit den weißen Steinen bewies er, daß sein Läufer auf c7 zwar von zwei Moralwächtern bedroht wurde, aber vom Siegen wollte er trotzdem nicht ablassen. Also, Wanderer, unter uns und im Vertrauen, schlägt unser Herz nicht stets für die bösen Buben?



SCHACH-SPHINX/05977: Schwelgen im Selbstgenuß (SB)

Larsen - Lombardy
Reykjavik 1957

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Der gute Speelman wäre, wenn er geahnt hätte, daß er nach 21...h7-h6 22.Sg5xf7! Kf8xf7 23.Te3-b3 Db4-a4 24.De2-e6+ Kf7-f8 25.Tb3-b7 Da4xc4 26.Lf4xd6 Sf6-g8 27.Te1-e3 Lg7-f6 28.Te3-f3 Kf8-g7 29.Ld6xe7 Te8xe7 30.Tb7xe7+ Sg8xe7 31.De6xf6+ Kg7-g8 32.Df6-f7+ Kg8-h8 33.Df7xe7 Dc4xd5 34.Tf3-f7 dem Remis so fern war wie nur irgend denkbar, beim 16. Zug durchaus bescheidener gewesen.


Erstveröffentlichung am 13. Oktober 2003

03. Oktober 2016


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