Schattenblick → INFOPOOL → SCHACH UND SPIELE → SCHACH


SCHACH-SPHINX/05985: Flegeljahre eines Meisters (SB)


Wer sich an das Turnier in Melbourne 1994 zurückerinnert, wird unweigerlich Sodbrennen bekommen, vielleicht auch Zorn auf seinen Wangen spüren, jedenfalls seine Laune einbüßen und die restlichen Tagesstunden mit üblen Gedanken an das äußerst unsportliche Verhalten des Turniersiegers Leonid Sandler verschwenden. Sandler war aus Lettland nach Australien emigriert und wollte mit einem Sieg in Melbourne seine erste IM-Norm erfüllen. Zu diesem Zweck hatte er sich ein Sortiment von unwürdigen Waffen zugelegt. Keine ausgefeilten Züge, kein besonderes Eröffnungskonzept. Vielmehr griff Sandler auf seine Flegeljahren zurück. So irritierte er einige Gegner, indem er beständig leisgemurmelte Obszönitäten von sich gab. Kam ein Schiedsrichter in seine Nähe, verstummte er, tat unschuldig und setzte seine Belästigungen wieder fort, sobald dieser außer Hörweite war. Tyson hatte seinem Boxgegner Holyfield das halbe Ohr abgebissen. Sandler machte es 1994 anders. Er küßte das Ohr seines Gegners, was sicherlich weniger schmerzhaft war, bei dessen Kontrahenten jedoch ebenso Unmut und Widerwillen wie der Tysonsche Biß bei Holyfield hervorrief. Zuletzt, in seiner Schlüsselpartie, tauchte Sandler mit Gartenhandschuhen auf, und jedes Mal, wenn er seinen Zug machen mußte, zog er sie behäbig aus und betulich wieder an. Kein Wunder, daß seine Gegner, die trotz Protestnoten weder Gehör noch Abhilfe fanden, in ihrer Verärgerung Fehler machten und verloren. Der bösartige Erfindungsreichtum Sandlers blühte bei diesem Turnier merklich auf. Nun würde es heißen, einem Halunken Recht zu geben, wenn er im heutigen Rätsel der Sphinx gewürdigt würde, was jedoch nicht passieren wird. Wer ein Verhalten an den Tag legt, das zwielichtig zu nennen, einer Absolution gleichkommt, darf sich hinterher nicht wundern, wenn er kaltgestellt wird. Meister Lukey hielt sich jedenfalls als Weißer an die Geflogenheiten des Fairplays, und mehr noch: Nach zuletzt 1.e4- e5 De7-f8 hatte er nun eine bühnenreife Überraschung für seinen Kontrahenten parat. Also, Wanderer, Höflichkeit ist das Mindeste!



SCHACH-SPHINX/05985: Flegeljahre eines Meisters (SB)

Lukey - Choong
Melbourne 1994

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Natürlich fiel die reizende Chinesin nicht auf den Dummerjungenstreich herein, sondern konterte auf 1.Sa5xb7 kraftvoll mit 1...Th8-g8 2.Dg5- h6+ Kf8-e8 3.Sb7-c5 g2-g1D+! 4.Kf2xg1. In der Eile des Gefechts übersah die damalige Weltmeisterin das leicht zum Matt führende 4...De4-e1+ und spielte etwas langmütiger 4...Tg8xg3+ 5.Kg1-f2 De4-g2+ 6.Kf2-e1 Dg2-g1+ 7.Ke1-d2 Dg1-h2+ 8.Sd4-e2 Tg3xh3 9.Dh6-f4 Dh2xf4 10.Se2xf4 Th3-h2+ 11.Kd2-c3 Tb8-d8 12.Sc5-b7 Td8xd6 13.Sb7xd6+ Ke8-f8 14.a3-a4 Th2-h4 und Weiß gab auf.


Erstveröffentlichung am 21. Oktober 2003

11. Oktober 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang