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SCHACH-SPHINX/06153: Pariser Versäumnis (SB)


Alexandre-Louis-Honoré Lebreton Deschapelles war ein Kind des frühen 19. Jahrhunderts. Als Kaffeehausspieler erwarb er sich in Paris großen Ruhm. Doch der Umgang mit ihm gestaltete sich schwer. Seine Arroganz wurde nur von seinem Geltungsbedürfnis noch überstrahlt. Bekam er nicht den gebührlichen Zuspruch, so verabschiedete er sich aus der Runde und ging seine eigenen Wege. Schach spielen, das besaß für ihn nur dann einen Reiz, wenn er Wettgewinne einstreichen konnte. Aus purer Lust und Leidenschaft die Figuren zu führen, das lag ihm nicht. Er war wohl auch in diesem Sinne einer der ersten merkantilen Meister. Als er sich mit dem Schachspiel gegen seine stärker werdende Konkurrenz nicht mehr durchsetzen konnte, wechselte er das Lager und widmete sich fortan dem Whistspiel, mit dem er sich ein einträgliches Einkommen sichern konnte. Eine Begebenheit hebt seine Charakterzüge deutlich hervor und soll an dieser Stelle erzählt werden. 1843 kam es zwischen Paris und Pest zu zwei Korrespondenzpartien, ein Ereignis, das für das Fernschach von großer initialzündender Bedeutung war. Anfangs gehörte Deschapelles zum beratenden Ausschuß. Als jedoch in der Schwarzpartie nach den Zügen 1.e2-e4 e7-e5 2.Sg1-f3 darüber diskutiert wurde, welche Verteidigung man wählen sollte, erhob Deschapells seine Stimme und plädierte lauthals für 2...f7-f5, ein riskantes Gambit, gewissermaßen ein Königsgambit im Nachzuge. Seine Mitstreiter machten Einwände geltend. Für eine Korrespondenzpartie war ihnen dieser Gambitzug einfach zu gewagt, fast hasardeurisch. Als Deschapelles in der überaus erregt geführten Runde mehr und mehr überstimmt wurde, nahm er seinen Hut, deutete ein Kopfnicken an und ließ sich nicht mehr sehen. Später sollte dieses Gambit von lettischen Meistern analysiert und zu einem gewissen Ansehen gebracht werden. Im heutigen Rätsel der Sphinx soll das seinerzeit Versäumte nachgeholt werden. Unser Schachfreund Farwing hatte in seiner Partie gegen Kugler Deschapelles Empfehlung befolgt und schließlich eine hervorragende Angriffsposition erhalten. Nun, Wanderer, wie knackte er die weiße Königsstellung?



SCHACH-SPHINX/06153: Pariser Versäumnis (SB)

Kugler - Farwing
Hamburg 1959

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Bewegung überwindet Statik, das wußte auch Meister Kunz, als er nach 1.Td1-d2? mit 1...Lf5xc2! seinen Vorteil sicherstellte. Nun wäre die Stellung des Weißen nach 2.Td2xc2? Sd4xc2 3.Dg3xg6 h7xg6 4.Kc1xc2 g6xh5 aufgabereif gewesen, deswegen er 2.Lh4-e7 probierte. Doch der Aufmarsch der schwarzen Figuren beseitigte auch diese allzu starre Bedrohung: 2...Ta8-c8! 3.Td2xd4 Lc2-a4+ 4.Kc1-d2 e5xd4 5.Le7xd6 Tc8- c2+ 6.Kd2-e1 Tc2-c1+ 7.Ke1-d2 Tc1xh1 8.Dg3xg6+ h7xg6. Hier hätte Weiß bereits die Waffen strecken können, aber der tiefverwurzelte Starrsinn ließ ihn noch die Züge 9.Sh5-f4 Th1-b1 10.Ld6-a3 La4-c6 11.Sf4xd5 Kg8- h7 12.Lf3-e4 Tb1-f1 13.f2-f4 f7-f5! machen. Erst jetzt, nachdem er sich überzeugt hatte, daß er nach 14.Le4-f3 Tf1xf3! oder 14.Le4-d3 Tf1- f2+ 15.Kd2-e1 Tf2xg2 auf verlorenem Posten stand, sah er die Hoffnungslosigkeit weiteren Widerstandes ein.


Erstveröffentlichung am 05. April 2004

28. März 2017


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