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SCHACH-SPHINX/06305: Ausbund an Bescheidenheit (SB)


Er hatte traurige Augen, aber ein heiteres Gemüt. Wie sein Spiel war auch Karl Schlechter in den Dingen des alltäglichen Umgang von unnachahmlicher Bescheidenheit. Kaum eine Partie ist bekannt, wo er das Maß des vorsichtig Abschätzenden verletzt hätte. Der gebürtige Wiener war fast ängstlich darauf bedacht, in keine Undurchsichtigkeit hineingeraten, die den geraden Wuchs seiner Spielführung ins Trügerische hätte krümmen können. Dieses klug Vortastende allerdings machte es ungemein schwer, Karl Schlechter zu besiegen. Er riskierte einfach nichts. Kaum entstand auf dem Brett ein schwaches Brändchen, so warf er Sand darüber, erstickte die Flamme und kehrte wieder zu seiner Beschaulichkeit zurück. Es wird wohl nicht mehr einen zweiten Meister seines Fachs geben, der in seinem Leben soviele Remispartien im Verhältnis zur Gesamtzahl seiner Turnierpartien gespielt hat. Wenn man seinerzeit von der Wiener Schachschule sprach, so meinte man damit die trippelnde Kunst von Karl Schlechter. Der Erste Weltkrieg, der Hunderttausende an den Fronten im Osten und Westen verschlang, schaufelte auch Schlechter ein Grab, wenngleich nicht durch einen Granatsplitter oder sonstiges Mordgerät. In Ermangelung von Schachturnieren fristete Schlechter ein Leben ohne Geld und Brot und brach bei einer Simultanvorstellung in Budapest, völlig ermattet, zusammen und starb drei Tage nach Weihnachten 1918 an körperlicher und wohl auch seelischer Entkräftung. Das heutige Rätsel der Sphinx zeigt eine Partie Schlechters gegen den Fabrikanten Georg Salwe. Wenn Schlechter eine bessere Stellung hatte, dann wußte er sie durchaus in genialer Weise zu nutzen. Also, Wanderer, mit welchem weißen Schlüsselzug knackte er die schwarze Stellung?



SCHACH-SPHINX/06305: Ausbund an Bescheidenheit (SB)

Schlechter - Salwe
St. Petersburg 1909

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
In Verkennung der Sachlage, was bei einem Doktor der Mathematik eigentlich nicht vorkommen sollte, zumindest nicht, wenn es sich um das Berechnen simpler Zugfolgen handelt, hatte der englische Großmeister John Nunn verfrüht 1...Lf5xc2 gezogen und damit seiner Niederlage nach 2.Ta1-c1 Lc2xb3 3.Se5xf7+ Tür und Tor geöffnet. Seltsam, daß Nunn, keinesfalls in Zeitnot, dies übersah. Nach 3...Sd6xf7 4.Lf4xc7+ Kd8-d7 5.Sd5-b6# wird er Matt und bei 3...Kd8-c8 4.Sf7xd6+ verliert er Haus und Hof. Er gab also sogleich auf.


Erstveröffentlichung am 02. September 2004

27. August 2017


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