Schattenblick → INFOPOOL → SCHACH UND SPIELE → SCHACH


SCHACH-SPHINX/06397: Suche nach dem Unumstößlichen (SB)


Spiegelt sich im Schach einer Epoche auch die Essenz ihrer Irrtümer? Ist der Meister wirklich frei von Beeinflußung, oder ist sein Denken, Konzipieren und Theoretisieren stets Ausfluß jener zeitgenössischen Ideen, die in Kultur, Kunst und Wissenschaft die Runde machen? In der Tat lassen sich diese Fragen nicht erschöpfend in dem Sinne klären, daß nur das eine oder das andere Gewicht hat. Daß ein Mensch die Fesseln seiner Zeit abstreifen kann steht außer Frage. Inwieweit ihm dies gelingt, steht auf einem anderen Blatt. Nehmen wir beispielsweise Wilhelm Steinitz, den Begründer und Vater der modernen Schachstrategie. Sein Denken über Schach strebte festen Regeln zu. Er war geradezu besessen von der Annahme, daß hinter allem eine universelle Wahrheit stehen müßte, so sehr, daß er im Schach Unumstößliches suchte. Wohl kaum ein anderer hat den Prozeß der Steinitzschen Theoriebildung so prägnant durchleuchtet und erfaßt wie der Schachhistoriker Narkewitsch: "Steinitz' Lehre erinnert in manchem an ideologische Strömungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts - Positivismus, mechanischer Materialismus und Rationalismus in der Philosophie sowie Naturalismus in der Literatur. Steinitz war ein echter Sohn seiner Zeit sowohl in seinen Leistungen und Entdeckungen als auch in der Beschränktheit seiner Doktrin. Die Einsicht in diese Beschränktheit war ihm fremd, er neigte dazu, diese für den Ausdruck der absoluten Wahrheit im Schach zu halten." Wenn Steinitz seine Lehre allzu pedantisch auf dies hohe Podest heben wollte, konnte es wie im heutigen Rätsel geschehen, daß ihm das Heft aus der Hand entglitt. Sein russischer Kontrahent Schiffers nutzte mit den schwarzen Steinen Steinitz' Beharrlichkeit recht überzeugend zu seinen Gunsten aus, Wanderer.



SCHACH-SPHINX/06397: Suche nach dem Unumstößlichen (SB)

Steinitz - Schiffers
Wien 1898

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Nach dieser Verlustpartie brach Zukertorts Siegeswille völlig zusammen. Schließlich verliert man nicht alle Tage in einem WM-Match durch 1.Lf4xh6 Sf5xh6 2.Th1xh6! g7xf6 3.Se4xf6+ Kg8-f7 4.Sf6xg4 die Dame.


Erstveröffentlichung am 2. Dezember 2004

27. November 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang