Was ist das Geheimnis eines Großmeisters, wie kann er auf dem Brett die zauberhaftesten Gewinnkombinationen finden, welchen Schlüssel verwendet er, um die ehernen Türen aufzuschließen, hinter denen sich das Feenreich der schöpferischen Gedanken befindet? Mit diesen oder ähnlichen Fragen werden Großmeister von Laien oft bestürmt. Nun soll er ihnen den Königsweg verraten, sagen, mit welcher Methode, welchem Denkansatz sie sich auf ihre Partien vorbereiten. Die Antwort ist so einfach und unattraktiv, daß Laien zumeist ein verdutztes Gesicht schneiden und sich sogar hintergangen fühlen, so, als würden die Meister des Fachs eine Art von Geheimniskrämerei betreiben. Die Wahrheit ist, daß sie nicht mehr anzubieten haben als eben ein Arbeitszimmer, wo sie angestrengt vor dem Brett sitzen und Hunderte, Tausende von Zügen auf ihren inneren Wert hin überprüfen. Der Schweiß diktiert auch hier den Erfolg. Arbeitstiere sind sie, denen nichts in den Schoß fällt. Talent ist gut, aber ohne die schweißtreibende Mühe am Analysebrett kommen auch sie nicht weiter. Wer glaubt, es gäbe eine geniale Methode, mit der man auf einen Blick in das Wesen einer Stellung hineinleuchten könnte, der irrt und macht es sich allzu leicht. Das Märchen vom Sternentalerkind ist eben nur ein Märchen für Müßiggänger und Bequeme. Im heutigen Rätsel der Sphinx hatte unser Schachfreund Bartmann sicherlich zig Stunden pro Tag ins Geschäft gesteckt, damit er nach dem fehlerhaften Zug seines Kontrahenten, der zuletzt 1.Te1-e7? gezogen hatte, die gewinnbringende Kombination finden konnte. Nicht wahr, Wanderer, man muß sich immer auf die eigenen Füße stellen!
Wedel - Bartmann
Bremen 1997
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
David Bronstein war im Auslegen der Schachregeln immer schon ein wenig
eigenwillig gewesen. Jedenfalls überzeugte er die Schachwelt ein
weiteres Mal von der Relativität aller Regeln. Mit 1.Ld3-e2! leitete
er einen Angriffs auf den scheinbar besser geschützten schwarzen König
ein, der nicht mehr abzuwehren war: 1...Dc3-f6+ 2.Kh4-h3 Tf8-f7 3.Le2-
h5 Ke8-e7 4.Lh5xf7 Df6xf7 5.Lf4-d6+ Ke7-f6 - 5...Ke7-e8 6.Dh7-h8+ Ke8-
d7 7.Th1-d1 - 6.Dh7-h6+ Df7-g6 7.Ld6-e7+ und Schwarz gab, vor die
Alternative gestellt, ob Damenverlust 7...Kf6-e5 oder Matt 7...Kf6-f7
8.Dh6-f8#, lieber gleich auf.
Erstveröffentlichung am 6. Juli 2005
3. Juli 2018
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