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BERICHT/037: USA/Mexiko - Maismutter und Erdfrau (Frauensolidarität)


Frauensolidarität - Nr. 98, 4/06

Maismutter und Erdfrau
Mythologische Streifzüge im Grenzgebiet USA/Mexiko

Von Evelyne Puchegger-Ebner


In Fadenbildern verwoben, auf Opfergaben gemalt, in Stein geritzt oder mit Glasperlen nachempfunden, scheint die göttliche Maismutter in vielen meso- und nordamerikanischen Zivilisationen omnipräsent. Als weibliche Personifikation der Kulturpflanze Mais war und ist sie eines der verbindenden Elemente dieser beiden Kulturräume. So spielte Mais bereits im Méxica-Schöpfungsmythos eine bedeutende Rolle, wurde der blaue Ritualmais für die Zeremonien der AztekInnen vermahlen und seit damals Chicomecóatl - die Göttin des reifen Maises - zur Erntezeit verehrt.


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Wie ein blauer (Leit-)Faden ziehen sich die göttlichen Kornmütter durch die Mythen des Südwestens der USA und (Nordwest)-Mexikos. Als Corn Maidens der Zuni, Maismutter Irriaku (Keres) oder als Salako-mana (Hopi) werden sie mit Fruchtbarkeit, weiblicher Schaffensmacht bzw. dem (Da-)Sein schlechthin assoziiert. So bilden bei den Huichol Tatei Niwetsika (Mutter Mais), die Regenmütter, Mutter Erde (Yurianaka) und Urgroßmutter Wachstum (Takutsi) eine machtvolle Allianz. Sie sind zwar wie z.B. Hard Beings Woman (Hopi) von dieser Welt, leben aber in den übergeordneten Welten. Die weibliche Mythengestalt Blue Corn Woman der Tewa Pueblos erinnert wiederum an die blauhäutige Tarahumara- Maismutter (Chíchí) in den fruchtbarkeitsspendenden yumari-Riten. Das Wort Chíchí bedeutet 'Brüste' und wird in der Verwandtschaftsterminologie zur Bezeichnung von Mutter verwendet. Ähnlich füttert in einer Kiva-Zeremonie Hahai-wuhti, die Verkörperung von 'Erdmutter', die mythischen Wasserschlangen mit Maismehl, das als ihre Milch gilt, oder säugt sie an ihrer Brust. Sie ist die Ernährerin sowohl der Lebenden als auch der Toten. Die starke Präsenz weiblicher Fruchtbarkeit(smotive) in Ritual und Mythologie festigt die Stellung der Frau auch im Alltag, denn das sozio-ökonomische Unterstützungssystem für die Zeremonien kommt von ihnen. In den jeweiligen Gesellschaften und Epochen scheint also die Mutter(gottheit) als Allegorie, als Symbolfigur und Metapher auf - als mythische und religiöse Gestalt ebenso wie als politische und meta/physische (Mutter-)Materie: Wie eine Kultur das Imaginäre des Weiblichen anlegt und welche Wert-Vorstellungen und Einschätzungen des Femininen darüber transportiert werden, ändert sich in Raum und Zeit. In Abhängigkeit davon werden Einblicke in das soziale Frau-Sein möglich.

Weiblicher Schöpfergeist als Ursprung

Schwangerschaft und Geburt waren in den präkolumbischen Vorstellungen ein mächtiger, ritueller Prozess der Vitalisierung. Der kreative Aspekt des Geburtsvorganges ging im westlichen Denken durch die Gleichsetzung von Frau mit Natur und die Reduzierung von Natur auf Materie verloren. Gemäß dieser Auffassung können Frauen weder schöpferisch handeln noch kreativ tätig sein. Im Gegensatz zu biblischen Fertilitätsvorstellungen beschreibt die Keres-Theologie die weibliche Schöpfergottheit als Sus'sistinako oder 'Denkende Frau' (und nicht als 'Gebärerin'). Weiblicher Schöpfergeist und weibliches Denken sind hier der Ursprung aller materiellen und nicht-materiellen Wirklichkeiten. In dieser Epistemologie wäre die Definition von weiblicher Macht als reine Fähigkeit zu gebären eine Reduktion und Limitierung weiblichen Vermögens und femininer Stärke.

Vermännlichung des Göttlichen durch die Mission

Göttinnen-Symbolik und Imaginäre des Weiblichen stellen keine fixe Konstante dar, sondern wandeln sich wie alle anderen Konstrukten auch in den Kulturen: Aggressive Missionierungstätigkeiten, permanente Einflussnahme der mestizischen NachbarInnen sowie nationalstaatlicher Assimilationsdruck veränderten die Lebensbedingungen indigener Gruppen gravierend. Dies führte zu Aufstieg, Fall oder Transformation von Gottheiten. Im Verhältnis zu den präkolumbischen Göttinnen- Gestaltungen ist das katholische Normbild der Jungfrau Maria als Frauenrepräsentantin einschränkend und unilinear. Durch die Missionierung wurde dieser christlich-patriarchale Frauen-Entwurf in den indigenen Gesellschaften implementiert und gleichzeitig die präkolumbische Götterwelt vermännlicht (u.a. im Südwesten der USA, wo bis in die jüngere geschichtliche Zeit Muttergottheiten prominent waren). Bei den Tarahumara und Tepehuan waren/sind katholische Kirche und evangelikale Sekten ebenfalls bestrebt, das präkolumbische Glaubensmodell einer androgynen Komplementarität zu eliminieren und den monotheistischen Gottesbegriff männlicher Prägung durchzusetzen. Weibliche Lebenswelten werden nun auf symbolischer Ebene unsichtbar gemacht und letztendlich die Stellung der Frauen in der sozialen Realität vermindert.

Tepehuan als männerdominierte Kultur

Ähnlich den Keres, Huichol oder Tarahumara praktizieren die Tepehuan zwar (noch) etliche der alten Riten, gleichzeitig werden aber die christlichen Formalitäten strikt befolgt, Kirchenfeste und katholische Zeremonien genau eingehalten. Trotzdem sind Geheimhaltung und Abschirmung der präkolumbischen Zeremonien gegenüber Außenstehenden oberste Priorität. Allerdings gelten als Außenstehende nicht nur Angehörige anderer indigener Gruppen, Weiße und MestizInnen, sondern auch die Frauen der eigenen Gesellschaft. Damit outen/präsentieren sich die Tepehuan primär als ein 'Volk von Männern'. In logischer Konsequenz illustriert auch ihr Schöpfungsmythos die eindeutig unterlegene Position der Frauen gegenüber den Männern: Die Oraltradition leitet die Abstammung der Frau vom Hund her. Der Gedanke der Gleichwertigkeit der Geschlechter ist dieser männerdominierten Kultur fremd, umso vertrauter sind hierarchische Ideen und ein internalisiertes Schuld-/Sühnesystem. Eine vage Erinnerungen an die Maismutter lebt noch in Gestalt der Jungfrau Maria Loreto weiter, wenn ihr Maisbier für eine gute Ernte geopfert wird.

Oberflächlich gesehen scheinen Missionierung und Kolonialisierung die Stratifizierungsprozesse in der Gemeinschaft der Tepehuan initiiert zu haben. Im Vergleich mit anderen Ethnien der Region, welchen ein ähnliches (historisches) Schicksal widerfuhr, zeigt sich aber, dass diese Hierarchisierungstendenzen bereits in der präkolumbischen Ära auftraten. Analog zur aztekischen Gesellschaft und weit stärker als beispielsweise bei den Tarahumara oder Hopi etablierte sich bei den Tepehuan schon relativ früh ein starkes Kriegertum mit entsprechender Ideologisierung: Anstelle weiblicher Lebensmacht brachte nun die Tötung eines feindlichen Kriegers den ersehnten Regen oder machte die Felder fruchtbar. Der Erwerb von Prestige im Kampf förderte die männliche Vorrangstellung und leitete die Abwertung von Frauen ein. Aufgrund dieser sozialen Differenz etabliert sich ein Ungleichgewicht in den gesellschaftlichen Interaktionen: Es manifestierte sich strukturell während der Kolonialperiode durch den Import des abendländischen Patriarchats.

Ideologie weiblicher Wertschätzung

Für Tarahumara, Huichol, Keres und Hopi stellte die Conquista ebenfalls einen Bruch mit ihrer alten Lebenswelt dar, jedoch waren hier die Positionen der Geschlechter so ausbalanciert, dass trotz Missionierung, Kolonialisierung sowie nationalstaatlicher Repressalien das Geschlechterverhältnis beständig blieb und sich nicht zu einer Dominanz der Männer entwickelte. Zwar leisteten auch Hopi und Tarahumara den weißen Eindringlingen gegenüber bewaffneten Widerstand und veränderte sich im Laufe ihrer Geschichte die Beziehung zwischen den Geschlechtern, aber in diesen Gesellschaften etablierte sich als stabilisierender Faktor das Ideal der Gewaltlosigkeit bzw. der innerethnischen Harmonie als Teil der Glaubensvorstellungen und sozialen Norm. D.h. Religion fungiert hier als Basis für eine Ideologie weiblicher Wertschätzung, welche wiederum auf Status und Ansehen (der Frauen) in der konkreten Wirklichkeit rückwirkt: in diesem Sinn verkörpern die göttlichen Maismütter - dort, wo sie als fixer Bestandteil des Weltbildes gelten - ein normatives Ideal weiblichen Seins und betonen die hohe Bewertung der (pro)kreativen Fähigkeit der Frau. Ihre ungebrochene Präsenz verweist auf jene weibliche Erschaffensmacht, welche als 'allmächtige Mutter' Vorbildfunktion für weibliche Macht in der sozialen Praxis hat.


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Anmerkung:

Der ethnomedizinische Arbeitskreis EMLAAK wurde 2006 in Wien gegründet. Seine inhaltliche Schwerpunktsetzung sind u.a. die Thematisierung geschlechtsspezifischer Situationen im medizinischen Bereich (Z.B. bei Diagnosemethoden, Therapiemöglichkeiten etc.) sowie die feministische Auseinandersetzung mit dem medizinischen Mainstream- Diskurs.

Literaturtipps:

Gunter, Andrea:
Der Sternenhimmel in uns (Königstein/Taunus 2003).

Dunn, Carolyn/Allen, Paula G. (Eds.) 2002:
Outfoxing Coyote. The Paula Gunn Allen
American Indian Poets Ser. 1 (Georgetown 2002).

Göttner-Abendroth, Heide:
Inanna - Gilgamesch - Isis - Rhea.
Die großen Göttinnenmythen Sumers, Ägyptens und
Griechenlands (Königstein/Taunus 2004).

Zuckerhut, Patricia/Grubner, Bärbel/Kalny, Eva (Eds.):
Pop-Korn und Blut-Maniok. Lokale und wissenschaftliche
Imaginationen der Geschlechterbeziehungen
in Lateinamerika (Frankfurt am Main 2003).

Zur Autorin:

Evelyne Puchegger-Ebner arbeitet als Lektorin der Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien, Filmschaffende im Dokumentarbereich und Autorin in freier Praxis. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. feministische Anthropologie, Konzepte zu Kosmovision und Weltsicht sowie Ritualforschung. Sie ist Mitbegründerin von EMLAAK.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 98, 4/2006, S. 18-19
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Berggasse 7, 1090 Wien,
Fon: 0043-(0)1/317 40 20-0, Fax: 0043-(0)1/317 40 20-355,
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
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Abonnement ab 2007: Inland 20,-- Euro,
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den 11. Januar 2007