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FORSCHUNG/150: Wie Bildung, Job und Einkommen die Gesundheit alleinerziehender Mütter in der Schweiz prägen (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 153/September 2016
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Mehrfach benachteiligt

Wie Bildung, Job und Einkommen die Gesundheit alleinerziehender Mütter in der Schweiz prägen

von Emanuela Struffolino


Kurz gefasst: Eine Analyse Schweizer Daten belegt für erwerbstätige alleinerziehende Mütter eine vergleichbar gute Gesundheitssituation wie für erwerbstätige Mütter in Paarbeziehungen. Nicht nur das Einkommensniveau, auch die Bildung wirkt sich auf die Gesundheit aus; alleinerziehende Mütter mit einem höheren Bildungsniveau stehen nach eigenen Angaben gesundheitlich besser da. Erwerbstätigkeit ermöglicht es Frauen in der Schweiz offenbar, größere ökonomische und nicht ökonomische Ressourcen zu mobilisieren und Erschwernisse des Alleinerziehens durch Erfolge in anderen Lebensbereichen zu kompensieren.


Wissenschaftliche Studien verschiedener Disziplinen zeigen, dass sich die Gesundheitssituation je nach persönlichem Kontext deutlich unterscheidet. Diese Unterschiede werden auf individuelle, familiäre und gesellschaftliche Umstände zurückgeführt. Auf der individuellen Ebene zählen Erwerbstätigkeit und das Zusammenleben mit einem Partner zu den Merkmalen, die mit einem besseren Gesundheitszustand verbunden sind. Beschäftigungsstatus und Partnerschaftsstatus als gesundheitliche Determinanten sind jeweils für sich viel diskutiert worden. Die Lebensverlaufsperspektive deutet jedoch darauf hin, dass wir eher die Zusammenhänge zwischen diesen drei Lebensbereichen untersuchen sollten, um die Situation potenziell verletzlicherer Bevölkerungsgruppen zu verstehen. Dies ist vor allem angesichts des rasanten Wandels der Familienkonstellationen relevant: Der Anteil der Alleinerziehenden (also Eltern, die die eigenen Kinder für einen bestimmten Zeitraum allein erziehen) nimmt durch die Zahl der Scheidungen und Trennungen in verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zu. Die Gruppe alleinerziehender Eltern differenziert sich merklich aus.

Um die Interdependenz der genannten Faktoren besser zu verstehen, haben wir im Rahmen von "LIVES: Overcoming Vulnerability: A Life Course Perspective", einem vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanzierten National Centre of Competence in Research, Daten des Schweizer Haushalt-Panel (SHP) ausgewertet. Für dieses Panel werden seit 1999 Daten zu 5.074 Haushalten und 7.799 Haushaltsmitgliedern erhoben. Die Datensammlung befindet sich am Swiss Centre of Expertise in the Social Sciences (FORS).

In der Schweiz berichten alleinerziehende Mütter weniger häufig über einen guten Gesundheitszustand als Mütter, die mit einem Partner zusammenleben. Dieses Ergebnis deckt sich mit früheren Befunden: Wer als Paar zusammenlebt, kann sich besserer physischer und mentaler Gesundheit erfreuen. Welche Rolle spielen die Faktoren Beschäftigung, Bildung und Arbeitszeit in diesem Kontext?

Alleinerziehende Eltern im Alter von 15 bis 54 Jahren, die mindestens ein Kind unter 18 Jahren haben und ohne einen Partner leben, machen in der Schweiz sechs Prozent der Gesamtbevölkerung in dieser Altersgruppe aus. Dieser Wert liegt unter dem europäischen Durchschnitt und ist zum Beispiel höher als in Italien, aber niedriger als in Großbritannien.

Meist sind die Alleinerziehenden die Mütter. Politische Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind in der Schweiz relativ schwach ausgeprägt, und das an der Ehe orientierte Steuersystem bietet kaum Anreize für die Erwerbstätigkeit von Frauen. Dennoch sind 80 Prozent der alleinerziehenden Mütter in der Schweiz erwerbstätig, genau wie Frauen ohne Kinder. Außerdem arbeiten alleinerziehende Mütter oft in Vollzeit. Im Gegensatz dazu fällt die

Erwerbstätigkeitsquote von Müttern, die mit einem Partner zusammenleben, deutlich geringer aus (ca. 60 Prozent), und viele von ihnen arbeiten überwiegend in Teilzeit. Erwerbstätig zu sein, mildert zwar die potenziellen wirtschaftlichen Nachteile eines Alleinverdienerhaushalts, kann aber auch ein zusätzlicher Stressfaktor sein, wenn Mütter auch für die Kinderbetreuung allein zuständig sind.

In dieser Hinsicht zeigen unsere Analysen, dass erwerbstätige alleinerziehende Mütter ein ähnliches Gesundheitsniveau vorweisen können wie Mütter, die in einer Paarbeziehung leben. Tatsächlich kann die Doppelrolle als Mutter und Erwerbstätige eine bereichernde Erfahrung sein, da ein Engagement in unterschiedlichen gesellschaftlichen Sphären (zum Beispiel Familie und Beruf) einen positiven Effekt auf die eigene Gesundheit und das eigene Wohlbefinden hat. Mehrere Rollen gleichzeitig einzunehmen, ermöglicht es Frauen, größere ökonomische und nicht ökonomische Ressourcen zu mobilisieren und Misserfolge in einem Lebensbereich durch Erfolge in anderen Lebensbereichen zu kompensieren.

Nicht nur das Einkommensniveau, auch die Bildung wirkt sich auf Erwerbstätigkeit und Gesundheit aus. Alleinerziehende Mütter mit einem höheren Bildungsniveau stehen nach eigenen Angaben gesundheitlich besser da. Unsere Ergebnisse zeigen, dass in der Schweiz arbeitslose alleinerziehende Mütter mit einem höheren Sekundarschulabschluss häufiger unter einer schlechteren Gesundheit leiden als erwerbstätige alleinerziehende Mütter und Mütter in Paarbeziehungen insgesamt. Alleinerziehende Mütter mit Hochschulabschluss erzielen höhere Erträge - finanzieller und sonstiger Art - aus bezahlter Arbeit. Dies gibt ihnen die Möglichkeit, ihre Doppelbelastung zu verringern, indem sie Teile ihrer Haushalts- und Erziehungsarbeit externen Dienstleistern übertragen.

Alleinerziehende Mütter mit geringem Bildungsniveau befinden sich hingegen oft in einer besonders prekären Arbeitsmarktsituation, denn die Doppelbelastung aus Arbeit und Kinderbetreuung kann besonderen Stress verursachen und sich negativ auf ihre Gesundheit auswirken. Daher leiden diejenigen, die über einen mittleren Bildungsabschluss verfügen, in Zeiten der Arbeitslosigkeit womöglich unter noch schlechterer Gesundheit. Denn sie haben zum einen seltener Anspruch auf wohlfahrtsstaatliche Leistungen, die sich hauptsächlich an die arme Bevölkerung richten. Und im Vergleich zu Personen mit Hochschulabschluss haben sie eine schlechtere Verhandlungsposition auf dem Arbeitsmarkt.

Wie bereits erwähnt, arbeiten alleinerziehende Mütter in der Schweiz überwiegend in Vollzeit oder in Teilzeitstellen mit einer hohen Stundenzahl. Nun wäre es durchaus denkbar, dass Teilzeitarbeit sich positiv auf die Gesundheit auswirkt, weil sie den Stress verringert, den die Doppelbelastung als Mutter und Alleinverdienerin mit sich bringt. Unsere Ergebnisse zeigen jedoch, dass gerade die alleinerziehenden Mütter in geringfügiger Teilzeit (weniger als 20 Stunden in der Woche) besonders stark den Risiken schlechter Gesundheit ausgesetzt sind. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass das vergleichsweise bescheidene Einkommen aus Teilzeitbeschäftigung die wirtschaftliche Gesamtbelastung des Haushalts nicht verringert und somit nicht zu einer besseren Gesundheit der alleinerziehenden Mütter beiträgt.

Zusammengefasst deutet sich eine unmittelbare gegenseitige Beeinflussung von Erwerbstätigkeit, Familien- und Gesundheitssituation alleinerziehender Mütter an, die tendenziell zu mehrfachen Benachteiligungen und Ungleichheiten in der Gesundheitssituation beitragen. Solche Umstände können weitere Gefährdungen hervorbringen, vor allem wenn wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen, die diese Gefährdung kompensieren sollen, auf einer normativen Definition von Familie basieren (ein Paar mit einem Hauptverdiener und einer Nebenverdienerin/ primären Betreuungsperson). Solche Benachteiligungserfahrungen der Eltern können für deren Kinder negative Folgen in verschiedenen Lebensbereichen haben. Um zu verstehen, wie soziale Ungleichheiten über Generationen hinweg reproduziert werden, sind die Bedingungen zu identifizieren, unter denen Ressourcen wie Bildung und flexible Arbeitszeitmodelle mit einer Verschlechterung der Gesundheit einhergehen.


Emanuela Struffolino ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe Demographie und Ungleichheit. Sie forscht über den Zusammenhang zwischen Familie und Erwerbstätigkeit aus der Perspektive der Lebensverlaufsforschung und Geschlechterungleichheit auf dem Arbeitsmarkt.
emanuela.struffolino@wzb.eu


Literatur

Bernardi, Laura/Mortelmans, Dimitri: "Lone Parenthood in a Life Course Perspective". In: Lone Parenthood in the Life Course. Life Course Research and Social Policies Series. Berlin: Springer 2016 (im Erscheinen).

OECD: Social Expenditure Update - Social Spending Is Falling in Some Countries, but in Many Others It Remains at Historically High Levels. OECD 2014. Online: http://www.oecd.org/social/ expenditure.htm (Stand 02.08.2016).

Struffolino, Emanuela/Bernardi, Laura: "Demos. Family, Migration". In: Newsletter, Demographic Information, 2016, No. 1, June, pp. 1-12.

Struffolino, Emanuela/Bernardi, Laura/Voorpostel Marieke: "Self- reported Health among Lone Mothers: Do Employment and Education Matter?". In: Population-E, 2016, Vol. 71, No. 2, pp. 187-214.

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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 153, September 2016, Seite 18-19
Herausgeber:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph.D.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. September 2016

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