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BUCHTIP/153: Postmodernes Chaos und die Lehrerausbildung (idw)


Julius-Maximilians-Universität Würzburg - 22.04.2008

Postmodernes Chaos und die Lehrerausbildung


Die Jugend von heute liest zu wenig? "Das ist eine Klage auf hohem Niveau", findet Dieter Wrobel. Im Vergleich zum 18. und 19. Jahrhundert, als Lesen ein Phänomen der Elite war, fänden heute sicherlich mehr Bücher ihre Leser. Allerdings gerate das Lesen zunehmend unter Konkurrenzdruck von anderen Medien. Wrobel ist neuer Inhaber des Lehrstuhls für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Universität Würzburg. Lesen, Literatur und die Vermittlung von Lesekompetenz sind sein Spezialgebiet.

"Schnittmengen": Der Begriff taucht häufiger auf, wenn Dieter Wrobel seinen Werdegang schildert. Der heute 40-Jährige, der in der Nähe von Iserlohn - zwischen Ruhrgebiet und Sauerland - aufwuchs, wusste schon früh, was er studieren wollte.

Germanistik sollte es sein - nur wozu war nicht von Anfang an klar. "Das Lehramt war nahe liegend", sagt er, und deshalb habe er sich dafür eingeschrieben; gleichzeitig hat er aber immer auch journalistisch gearbeitet, "um auszutesten, was mich interessiert". Schreiben und aus der Lokalpolitik berichten - eine ideale Ergänzung (oder Überschneidung) mit seinen Studienfächern Germanistik und Sozialwissenschaften.

Das Angebot zur Promotion nach dem ersten Staatsexamen war die Erfüllung eines großen Wunsches: "Endlich hatte ich einmal richtig Platz zum Schreiben", sagt er. Schließlich hätten ihm die 120 Seiten seiner Zulassungsarbeit bei weitem nicht gereicht. Das Thema seiner Dissertation lässt den Laien stutzen: " "Postmodernes Chaos - Eine Studie zu Analogien zwischen Chaostheorie und deutschsprachiger Prosa der Postmoderne". Ist aber völlig ernst gemeint. "Die Chaostheorie hat ja nicht nur in den Naturwissenschaften Gültigkeit", sagt Wrobel. Vielmehr gebe es jede Menge Überschneidungen mit anderen Fächern. Was hinter der Theorie stehe, sei letzten Endes die Ablösung des Prinzips von der Vorhersehbarkeit und der Prognostizierbarkeit, so der Literaturwissenschaftler. Eine Abkehr, die auch Auswirkungen auf die Philosophie habe, zumindest dort, wo es um die Selbstwahrnehmung des Menschen, um sein Weltbild und seine Interpretation der Welt geht. Und dies spiegele sich in der Literatur der Postmoderne wider, wo der Schmetterlingseffekt schnell nicht nur als literarische Metapher Eingang fand.

Nach der Promotion geht Wrobel für einige Jahre als Lehrer an die Schule, bleibt aber gleichzeitig Lehrbeauftragter an den Universitäten Bochum und Siegen. "Ich wollte zum einen das tun, wofür ich ausgebildet war", sagt er. Zum anderen sei es ihm wichtig gewesen, die Erfahrungen aus der Praxis mit der Theorie zu verknüpfen und weiterzugeben - sozusagen die Schnittstelle zur Didaktik zu finden. Im Februar 2004 wechselt Wrobel als abgeordneter Studienrat ganz an die Universität Duisburg-Essen. Nicht als "Schulflüchtling", wie er betont. Sein Lehrerdasein habe er als "spannende und sehr lebendige Angelegenheit" empfunden. Die Aussicht auf eine Habilitation im Bereich Deutschdidaktik war allerdings verlockender: "Dort hatte ich ein Berufsfeld gefunden, in dem ich mit meinem Repertoire die Dinge gebündelt fortführend konnte, mit denen ich mich bisher beschäftigt hatte", sagt er. In seiner "Habil" untersucht er verschiedene Aspekte des Lesens in heterogenen Lerngruppen der nicht-gymnasialen Sekundarstufe.

Sechs Wochen nach Abschluss des Habilitationsverfahrens erhält Wrobel den Ruf auf den Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Universität Würzburg. Und ist damit für ein weites Gebiet verantwortlich, das sich von der Sonderschule bis zum Gymnasium erstreckt. Glücklicherweise ist er nicht allein: "Es gibt hier - auch dank der Studienbeiträge - ein gutes Team, das sich durchwegs aus erfahrenen Praktikern zusammensetzt", sagt er. Damit ließe sich im Wesentlichen ein differenziertes Lehrangebot auf die Beine stellen.

Ihm selbst liegen momentan die Übergänge zwischen verschiedenen Schulformen am Herzen. "Viele Lehrer haben noch die Illusion von kompetenten Fünftklässlern als homogener Gruppe", sagt er. Dabei sei dort strikte Individualisierung gefordert. Vom Deutschunterricht wünscht sich Wrobel, dass er den Schülern die Kompetenz vermittelt, sich in der modernen Medienwelt zu orientieren. "Neue Medien erfordern alte Kompetenzen", lautet sein Credo. Die da heißen: Lesen und bewerten können. "Nur wer in der Lage ist, Texte zu verstehen und zu bewerten, kann am demokratischen Prozess teilhaben", sagt Wrobel. Weshalb Lesen auch in Zeiten von Privatfernsehen, Computer und Internet noch immer hoch relevant sei.

Schnittmengen findet Dieter Wrobel im Übrigen auch zwischen seinen bisherigen Arbeitsplätzen: den Universitäten in Bochum, Siegen und Essen und seiner neuen Wirkungsstätte: dem Hubland-Campus. Das leicht baufällige Philosophiegebäude habe ihn jedenfalls nicht irritiert. "Ich habe in Bochum studiert. Das sieht so ähnlich aus wie hier - nur dreimal so hoch."

Individualisiertes Lesen

Die Habilitation von Dieter Wrobel "Individualisiertes Lesen" ist soeben im Buchhandel erschienen. Ausgehend von der Beobachtung, dass in der nicht-gymnasialen Sekundarstufe das Lesen und der Literaturunterricht einen zunehmend schweren Stand haben, stellt Wrobel Auswege "aus der Lesekrise" vor. Er bietet dem Leser Ansatzpunkte sowohl für die Lehreraus- und -fortbildung als auch für die Schulpraxis und rät dazu, beim Lesen in der nicht-gymnasialen Sekundarstufe wesentlich stärker von den individuellen Lesevoraussetzungen der einzelnen Schülerinnen und Schüler im sozialen Umfeld der Lerngruppe auszugehen. Nach Wrobels Meinung sorgt die Heterogenität innerhalb der Lerngruppen vielfach dafür, dass vor allem die Unterrichtsroutine der Klassenlektüre an ihre Grenzen stößt und überdacht werden muss. Einen Ausweg sieht er in einer veränderten Unterrichtspraxis, die für das Lesen in der Schule umfassend kompetenz- und motivationsorientierte Zugänge nutzt.

Dieter Wrobel:
"Individualisiertes Lesen. Leseförderung in heterogenen Lerngruppen.
Theorie - Modell - Evaluation".
Schneider Verlag Hohengehren. 398 Seiten, 36 Euro.
ISBN: 978-3-8340-0416-1

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Robert Emmerich, 22.04.2008
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2008