Schattenblick →INFOPOOL →SOZIALWISSENSCHAFTEN → PÄDAGOGIK

FORSCHUNG/031: Kinderladen-Bewegung - Jenseits des Mainstreams (idw)


Westfaelische Wilhelms-Universität Münster - 25.05.2011

Jenseits des Mainstreams

Erziehungswissenschaftlerinnen der Universität Münster untersuchen mit Unterstützung des Hans-Böckler-Stiftung die Kinderladen-Bewegung


Verschmierte Wände, verschmierte Hände - wer an Kinderläden denkt, denkt zumeist an Chaos und Disziplinlosigkeit. Doch steckten hinter den rund 300 Kinderläden, die Ende der 1960er Jahre ins Leben gerufen wurden und zum Teil bis heute weiter bestehen, pädagogische Konzepte, die von den Eltern und Betreuern mühsam erarbeitet wurden. Welche das waren und wie sie bis heute nachwirken, untersucht die Erziehungswissenschaftlerin Prof. Dr. Karin Bock von der Universität Münster mit ihrer Nachwuchsforscherinnengruppe, die von der Hans-Böckler-Stiftung finanziert wird.

Um eines der Stipendien zu erhalten, mussten Miriam Mauritz, Nina Göddertz und Ksenia Moor-Ingwersen nicht nur die wissenschaftlichen Anforderungen von Karin Bock erfüllen, sondern auch ein besonderes gesellschaftliches oder gewerkschaftliches Engagement nachweisen. "Ich war nur in der ersten Runde beteiligt", erzählt Karin Bock, "die Endauswahl hat die gewerkschaftsnahe Stiftung getroffen." Die vierköpfige Gruppe harmoniert, das ist schon beim ersten Treffen zu spüren. Seit dem ersten Januar dieses Jahres arbeiten die jungen Wissenschaftlerinnen zusammen, um Teilaspekte der Kinderladenbewegung zu untersuchen und zu entmystifizieren.

Die Methode ist bei allen gleich: Sie nutzen eine gemeinsame Datenbank mit ausführlichen biografischen Interviews. Dazu kommt ein Pool gemeinsamer und überwiegend "grauer" Literatur - also Schriften, die nie in einem Verlag, sondern weitgehend selbstständig publiziert wurden. "Dadurch, dass alle dasselbe Material nutzen, erhalten wir ganz neue Verbindungen zwischen den einzelnen Fragestellungen", erklärt Karin Bock. Jede der Befragten erzählt in einer Stegreiferzählung ihre Lebensgeschichte. Im Anschluss daran folgt ein Leitfadeninterview unter anderem zu Werten und Familientraditionen.

Die 26-jährige Miriam Mauritz beschäftigt sich mit den Generationen der Mütter und Töchter. "Ich will unter anderem herausfinden, welche Gründe das politische Engagement der Frauen, zum Beispiel der Kampf gegen den Schwangerschaftsabbruchs-Paragrafen 218 hatte", erläutert sie. Der Verbindung zwischen Frauen-, Studenten- und Kinderladenbewegung gilt dabei ihr besonderes Interesse. "Bis heute gibt es das Problem, dass Kinderläden und Studentenbewegung in einen Topf geworfen werden", ergänzt Nina Göddertz. Das liegt allerdings nahe, denn viele Kinderläden wurden von Studierenden gegründet, die nach alternativen Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder jenseits des Mainstreams suchten. Deswegen haben sie selbst die Initiative ergriffen und eigene Kindergruppen gegründet.

Diese waren weniger anarchistisch, als es auf den ersten Blick scheinen mag, die Gründerinnen entwickelten schon bald theoretische Konstrukte, zum Beispiel auf Grundlage der Werke des Summerhill-Gründers Alexander S. Neill. Untersucht man die Gründungsmanifeste, finden sich häufig dieselben Themen, so Karin Bock: Finanzierung, Organisationsformen, selbstbestimmte Betreuung durch die Eltern.

Besonders letztere war den Eltern wichtig, stammten sie doch aus einer Generation, deren Eltern häufig willig den Nationalsozialisten gefolgt waren. Ksenia Moor-Ingwersen verfolgt deshalb die familiäre Perspektive, will herausfinden, welches Verständnis von Familie, welche Erziehungskonzepte und welche Erziehungspraxis die Kinderladen-Eltern und -Kinder verfolgen. "Klassische Familienkonzepte lassen sich dabei bisher nicht nachweisen. Die einzige Gemeinsamkeit ist, dass es auch hier Unterschiede zwischen Konzept und Praxis gab", so die 27-Jährige.

Als dritte im Bund hat Nina Göddertz die politische Perspektive im Blick. Die Kinderladen-Gründerinnen standen unter starkem Rechtfertigungszwang und waren großen Anfeindungen ausgesetzt. "Was sind das für Menschen heute, die die Kraft aufbrachten, jenseits des Mainstreams ihre Kinder zu erziehen und was ist aus ihnen und ihren Kindern geworden?", fragt sie. Noch heute bewegen sie sich jenseits des Mainstreams, urteilt Karin Bock. "Die Menschen, die wir befragt haben, ruhen sehr in sich und gehen mit sich sehr reflektiert um", beschreibt sie. Nina Göddertz bescheinigt ihnen vor allem eines: "interessante Lebenswege".

Weitere Informationen unter:
http://egora.uni-muenster.de/ew/bock_hbs_nachwuchsforschergruppe_kinderladenbewegung.shtml
- Nachwuchsforscherinnengruppe

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution72


*


Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Westfaelische Wilhelms-Universität Münster, Brigitte Nussbaum, 25.05.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2011