Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs) - 23.02.2016
Lesenlernen: wie Jungen schon im Vorschulalter motiviert werden können
Jungen sind weniger motiviert, Lesen zu lernen, wenn sie von Erzieherinnen betreut werden, die sehr traditionell gegenüber Geschlechterrollen eingestellt sind. Das zeigt eine aktuelle Studie von Psychologinnen der Freien Universität Berlin und der Universität Kassel. Die Autorinnen befragten 135 Erzieherinnen zu ihren Einstellungen gegenüber Geschlechterrollen und untersuchten parallel bei den von ihnen betreuten Jungen und Mädchen die Lesemotivation im Vorschulalter und ihre Lesefähigkeiten ein Jahr nach Schuleintritt. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden in der Fachzeitschrift "Frontiers in Psychology" veröffentlicht.
Obwohl gute Lesefähigkeiten eine wichtige Grundlage für Bildung sind,
zeigt sich immer wieder, dass Jungen weniger gut lesen können und
insbesondere weniger Interesse am Lesen haben als Mädchen. "Die Ursachen
dafür sind sehr vielseitig", erklärt Ilka Wolter. "Wir haben untersucht,
welche Rolle die Einstellungen von Erzieherinnen in der Vorschulzeit
spielen." Die Forscherinnen befragten insgesamt 135 Erzieherin-Kind-Paare
(davon 65 Erzieherin-Junge-Paare) im Verlauf eines Jahres. In der ersten
Befragung zum Ende der Kindergartenzeit beantworteten die Erzieherinnen
Fragen zu ihren Einstellungen gegenüber Geschlechterrollen (zum Beispiel:
"Für den Ersteindruck ist ein gepflegtes Äußeres bei einer Frau wichtiger
als bei einem Mann" versus "Frauen eignen sich ebenso gut für die Leitung
eines technischen Betriebes wie Männer"). Bei den Vorschulkindern wurde zum
einen untersucht, wie motiviert sie waren, Lesen zu lernen. Dazu sollten
sie mit Hilfe von drei Smileys angeben, wie gerne sie Aktivitäten
nachgingen, die für das Lesenlernen förderlich sind (zum Beispiel neue
Lieder oder Reime lernen). Außerdem wurden die Sprachkompetenzen im
Vorschulalter erfasst, die für die späteren Fähigkeiten im Lesen und
Schreiben wichtig sind. Ein Jahr später, gegen Ende der ersten
Schulklasse, fand die zweite Befragung der Kinder statt. Mit Hilfe der
"Würzburger Leise Leseprobe" wurde getestet, wie gut die Kinder lesen
konnten. Bei diesem Test lesen die Kinder leise Wörter und wählen aus
Bildalternativen das jeweils passende Bild aus.
Es zeigte sich: Jungen, die eine Erzieherin mit traditionellen Geschlechterrollen hatten, waren weniger motiviert, lesen zu lernen. Dagegen waren die Jungen bei Erzieherinnen mit egalitären Geschlechtsrolleneinstellungen genauso motiviert, lesen zu lernen wie die Mädchen. Für die Mädchen spielte es keine Rolle, welche Einstellungen ihre Erzieherin hatte, und sie waren insgesamt motivierter zu lesen als Jungen. Was die Lesefähigkeiten anbelangt, schnitten die Jungen im Test zum Ende der ersten Klasse insgesamt schlechter ab als die Mädchen. Vor allem die Jungen, deren Erzieherinnen traditionelle Geschlechtsrolleneinstellungen hatten, konnten nicht so gut lesen. "Die Einstellungen der Erzieherinnen haben also auch noch ein Jahr später Wirkung auf die Lesefähigkeiten eines Schülers, und zwar dadurch, dass sie die Lesemotivation der Jungen zur Kindergartenzeit beeinflusst haben", sagt Ilka Wolter.
Die Autorinnen analysierten auch, wie sich die Lesemotivation und die Sprachkompetenzen der Kinder im Vorschulalter auf ihre Lesekompetenzen ein Jahr später auswirkten. Dabei zeigte sich ein Zusammenhang zwischen der Lesemotivation im Kindergarten und der Lesefähigkeit ein Jahr später: Kinder, die im Kindergarten schon Lust auf Lesen hatten, konnten dies ein Jahr später auch besser als die weniger motivierten Gleichaltrigen. "Jungen können unterstützt werden, Lesen zu lernen", sagt Ilka Wolter. "Erzieherinnen sollten in ihrer Ausbildung unbedingt dafür sensibilisiert werden, dass sie zu einer geschlechtergerechten Lernumgebung beitragen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass sie - insbesondere für die Jungen in ihren Gruppen - einen motivationalen Grundstein für das Lesen legen können."
Die Originalstudie finden Sie hier:
Wolter, I., Braun, E. & Hannover, B. (2015). Reading is for girls!? The
negative impact of preschool teachers' traditional gender role attitudes
on boys' reading related motivation and skills. Frontiers in Psychology,
6:1267.
doi: 10.3389/fpsyg.2015.01267
Über die DGPs:
Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs e.V.) ist eine Vereinigung
der in Forschung und Lehre tätigen Psychologinnen und Psychologen. Die
über 3800 Mitglieder erforschen das Erleben und Verhalten des Menschen.
Sie publizieren, lehren und beziehen Stellung in der Welt der
Universitäten, in der Forschung, der Politik und im Alltag.
Die Pressestelle der DGPs informiert die Öffentlichkeit über Beiträge der
Psychologie zu gesellschaftlich relevanten Themen. Darüber hinaus stellt
die DGPs Journalisten eine Datenbank von Experten für unterschiedliche
Fachgebiete zur Verfügung, die Auskunft zu spezifischen Fragestellungen
geben können.
www.dgps.de
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution599
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs), Dr. Anne Klostermann, 23.02.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Februar 2016
Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang