Universität Bremen - 09.09.2016
Wie verstehen Kinder die Evolutionsgeschichte?
Dissertation der Uni Bremen untersucht Zugänge von Grundschulkindern zu Darwins Abstammungslehre
Nach Charles Darwin bleibt die absolute Zahl der Tiere und Pflanzen einer Art stabil, weil nicht alle Nachkommen überleben. Zwischen den einzelnen Individuen entbrennt vielmehr ein Kampf ums Dasein - die Selektionstheorie. Sie bildet die Grundlage für das Verständnis vieler biologischer Themen. Entwicklungspsychologische Studien legen nahe, dass bereits junge Kinder mit naturwissenschaftlichen Erklärungen vertraut sind. Dennoch werden wichtige Aspekte der Evolutionsbiologie meist erst am Ende des Mittleren Bildungsabschlusses gelehrt. Mit diesem Thema beschäftigte sich an der Universität Bremen die Sozialwissenschaftlerin Dr. Judith Werther in ihrer Dissertation "Evolutionstheorie und naturwissenschaftliche Grundbildung. Präkonzepte von Kindern zur Anpassung von Lebewesen unter Berücksichtigung des Naturzugangs". Die Arbeit wurde von den beiden Uni-Professorinnen Brunhilde Marquardt-Mau und Doris Elster betreut.
In ihrer Studie untersucht Judith Werther, welche Konzepte Kinder in der
Primarstufe zur Theorie der Anpassung haben. Dabei spielt insbesondere die
Frage eine Rolle, inwieweit der Naturzugang der Kinder, Naturerfahrungen,
soziale Kontakte, naturwissenschaftlich orientierte Medien und Lernorte
einen Einfluss auf das evolutionsbiologische Verständnis hat. Dafür
befragte die Wissenschaftlerin 112 Kinder im Alter von sechs bis zehn
Jahren an zwei Bremer Grundschulen. Die Ergebnisse zeigen, dass bereits
Primarschulkinder evolutionsbiologisch argumentieren können. Eine
Unterscheidung zwischen Populations- und Individualebene, die zeitliche
Einschätzung von Anpassung sowie die Vorstellung zufälliger Prozesse
liegen nicht im alltäglichen Erfahrungsbereich der Kinder, so dass diese
Prozesse nur bedingt nachvollzogen werden konnten. Grundsätzlich stellt
die Autorin fest, dass die Kinder bei erlebbaren Aspekten von Anpassung
eine höhere wissenschaftliche Verständnisstufe erreichen als bei nicht
erlebbaren Aspekten.
Das Ausmaß des evolutionsbiologischen Verständnisses variiert mit der jeweiligen sozialen Lage der Kinder. Demnach sind Kinder in benachteiligter sozialer Lage stärker medienorientiert, ziehen häufiger schulische und außerschulische Lernorte als Naturzugänge heran und haben ein geringeres evolutionsbiologisches Verständnis. Dagegen beziehen sich die Kinder in begünstigten sozialen Lagen häufiger auf soziale Interaktionen und Printmedien, können auf ein ausgeprägteres Ausmaß an Naturerfahrungen zurückgreifen und verfügen über ein höheres evolutionsbiologisches Verständnis. Dennoch stellt Judith Werther in ihrer Arbeit fest, dass Naturerfahrungen das evolutionsbiologische Verständnis unabhängig von der sozialen Lage am stärksten prägen. Erst als zweithöchste Nennung tragen Medien zum Evolutionsverständnis bei. Die Aspekte soziale Kontakte, schulische sowie außerschulische Lernorte spielen nur eine marginale Rolle.
Aus den Ergebnissen entwickelt die Wissenschaftlerin Empfehlungen für den schulischen Unterricht: Naturerfahrungen im Rahmen des Forschenden Lernens ermöglichen, bereits in der Primarstufe die Kinder an das Thema heranführen, an bestehende Ideen der Kinder anknüpfen, die soziale Lage der Kinder berücksichtigen, das evolutionsbiologische Konzept der Anpassung im Unterricht veranschaulichen, unwissenschaftliche Denkfiguren bewusst machen und mit wissenschaftlichen Ansätzen vergleichen, auf Naturzugänge der Kinder aufbauen.
Weitere Informationen zur Dissertation sind online einsehbar unter:
www.klinkhardt.de/verlagsprogramm/2103.html
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution59
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Bremen, Angelika Rockel, 09.09.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 13. September 2016
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