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MEDIEN/057: Macht Gewalt in Unterhaltungsmedien aggressiv? (Gehirn und Geist)


Gehirn und Geist 10/2015
Das Magazin für Psychologie und Hirnforschung

Standpunkt
Macht Gewalt in Unterhaltungsmedien aggressiv?

Von Tobias Rothmund, Malte Elson, Markus Appel, Julia Kneer, Jan Pfetsch, Frank Schneider und Carmen Zahn


Fernsehzuschauer werden regelmäßig Zeugen brutaler Verbrechen, Computerspieler schlüpfen in die Rolle von Soldaten oder Scharfschützen. Lässt die Gewalt, die Menschen in Unterhaltungsmedien erleben, sie auch selbst aggressiver denken und handeln? Eine Expertenkommission von sieben Medienpsychologen fasst zu dieser Frage den aktuellen Stand der Forschung zusammen.


Was meinen wir, wenn wir über Gewalt in Unterhaltungsmedien sprechen?

In Spielfilmen und in Videospielen wird gekämpft und gemordet, Nachrichtensendungen berichten über Krieg und Terror, in sozialen Netzwerken beleidigen und verunglimpfen sich Menschen täglich. All dies sind Beispiele für das Darstellen oder das Ausführen von gewalttätigen Handlungen in den Massenmedien.

Als Unterhaltungsmedien verstehen wir mediale Angebote, die Menschen vor allem deswegen nutzen, weil sie sich davon Vergnügen oder Zerstreuung versprechen - beispielsweise Romane, Fernseh- und Kinofilme, Musik oder Videospiele. In Abgrenzung dazu bezieht sich diese Stellungnahme explizit nicht auf die Wirkung von Gewalt in den Nachrichten (wie die Berichterstattung über Kriege und Ausschreitungen) oder in anderen Kommunikationsmedien (zum Beispiel Handyvideos). Diese thematische Beschränkung haben wir gewählt, da in den vergangenen Jahren immer wieder öffentlich über das Gefährdungspotenzial von Gewalt in Unterhaltungsmedien diskutiert wurde, etwa in Filmen und insbesondere in Computerspielen. Gleichzeitig gibt es bereits seit Jahrzehnten umfangreiche Forschung zu diesem Thema, die sich häufig nur zum Teil oder lediglich einseitig in der Debatte wiederfindet.

Mit dem Begriff »Gewalt« werden in der Psychologie spezifische Formen von Aggression beschrieben, die mit schweren körperlichen Schädigungen einhergehen. Diese können von blutenden Wunden über Knochenbrüche bis zum Tod reichen. Aggression bedeutet dagegen allgemein, dass ein Verhalten mit der Absicht ausgeführt wird, einem anderen Lebewesen zu schaden oder es zu verletzen.

Die Darstellung von Gewalt in Unterhaltungsmedien ist in mehr oder weniger fiktive Geschichten eingebunden und kann dabei realistisch gestaltet sein (wie eine Schlägerei in der TV-Serie »Tatort«) oder künstlerisch verfremdet (ein Kampf gegen einen Drachen im Onlinerollenspiel).


Krahé, B.: Aggression. In Jonas, K. et al. (Hg.): Sozialpsychologie. Eine Einführung. Springer, Heidelberg 2007, S. 265-294

Reinecke, L., Trepte, S.: Unterhaltung in neuen Medien. Herbert von Halem, Köln 2012

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Warum empfinden Menschen Gewalt als unterhaltsam?

Medienpsychologischen Theorien zufolge nutzen Menschen Medien unter anderem, um ihre eigene Stimmung zu beeinflussen und Gefühlszustände aktiv herbeizuführen. Demnach richtet sich die Auswahl eines Medieninhalts in der Regel danach, welche Wirkung eine Person sich davon erhofft.

Gewalthaltige Medienangebote führen zu einem Spannungserleben, auch »suspense« genannt, und zu einer körperlichen und psychischen Aktivierung. Diese erleben die Rezipienten häufig als unterhaltsam. Die Suche nach solchen Erlebnissen wird auch als Angst- oder Abenteuerlust bezeichnet (auf Englisch: »sensation seeking«). Dabei handelt es sich um eine Persönlichkeitseigenschaft, das heißt, Menschen unterscheiden sich generell darin, wie sehr sie nach Spannung und Kick streben.

Gewalthaltige Videospiele sind außerdem stark durch Wettkampfelemente gekennzeichnet. Es geht um Sieg oder Niederlage und darum, sich mit anderen zu messen. In der Forschung gibt es Hinweise darauf, dass dies ein wichtiger Anreiz dafür ist, solche Medien zu nutzen. Menschen erleben sich im Spiel beispielsweise als wirksam, kompetent und eigenverantwortlich. Auf diese Weise können sie grundlegende Bedürfnisse nach Kompetenz und Autonomie befriedigen.

Das Streben nach Spannungserleben, eine allgemeine Wettkampforientierung und auch die Neigung zu Aggression sind bei Männern im Durchschnitt höher ausgeprägt als bei Frauen. Das erklärt zumindest teilweise, warum Männer gewalthaltige Unterhaltungsangebote öfter konsumieren als Frauen. Die Nutzungsmotive können individuell jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Das bedeutet, für jede Person gibt es verschiedene und spezifische Gründe, warum sie bestimmte Medieninhalte reizvoll findet oder nicht.


Hartmann, T., Klimmt, C.: Gender and Computer Games: Exploring Females' Dislikes. In: Journal of Computer-Mediated Communication 11, S. 910-931, 2006

Hoffner, C.A., Levine, K.J.: Enjoyment of Mediated Fright and Violence: A Meta-Analysis. In: Media Psychology 7, S. 207-237, 2005

Przybylski, A.K. et al.: A Motivational Model of Video Game Engagement. In: Review of General Psychology 14, S. 154-166, 2010

Slater, M.D.: Alienation, Aggression, and Sensation Seeking as Predictors of Adolescent Use of Violent Film, Computer and Website Content. In: Journal of Communication 53, S. 105-121, 2003

Zillmann, D.: Mood Management: Using Entertainment to Full Advantage. In: Donohew, H.E. et al. (Hg.): Communication, Social Cognition, and Affect. Erlbaum, Hillsdale 1988, S. 147-171

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Beeinflusst Gewalt in Unterhaltungsmedien die Gedanken, Gefühle und das Verhalten von Menschen?

Der Großteil der Forschung zur Frage, wie Gewalt in Unterhaltungsangeboten auf die Mediennutzer wirkt, bezieht sich auf die Darstellung in Film und Fernsehen sowie in Computer- oder Videospielen. Sozialwissenschaftliche Studien zu den Effekten von Mediengewalt reichen zurück zu den »Payne Fund Studies« der 1930er Jahre. Damals standen Kinofilme im Vordergrund. Zwischen den 1950er und 1990er Jahren wurde vor allem die Wirkung von Gewalt im Fernsehen untersucht. In einer 1994 erschienenen Metaanalyse fassten die US-amerikanischen Kommunikationsforscher Haejung Paik und George Comstock mehr als 200 Studien zu dieser Fragestellung zusammen. Über alle Erhebungen und Personen hinweg zeigte sich durchschnittlich ein kleiner bis mittlerer Effekt von gewalthaltigen Film- und Fernsehinhalten auf unterschiedliche Indikatoren für antisoziales Verhalten oder aggressive Gedanken. Eine jüngere Metaanalyse zur Wirkung von TV-Inhalten liegt nicht vor.

Seit den 1980er Jahren wurden mehr als 200 Studien zur Wirkung von Gewalt in Videospielen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften publiziert. In der Zusammenschau dieser Forschungen ergeben Metaanalysen ebenfalls im Durchschnitt kleine bis mittlere Effekte von Gewaltdarstellungen auf aggressive Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen. Die Aussagekraft dieser Metaanalysen wurde von manchen Wissenschaftlern in Frage gestellt. Die Kritik bezieht sich vor allem auf die folgenden Punkte:

(1) Um nicht nur kurzzeitige Effekte, sondern auch langfristige Wirkungen nachzuweisen, liegen nach Meinung einiger Forscher noch keine ausreichenden Befunde vor. (2) Die Methoden, mit denen Aggression im Labor gemessen wird, besitzen manchen Wissenschaftlern zufolge nur eine geringe Aussagekraft (siehe »Kann man die Wirkung von Mediengewalt überhaupt sinnvoll beobachten oder messen?«). Und (3), bislang ist noch unklar, welche praktische Bedeutung diese in Experimenten und Befragungen nachgewiesenen Wirkungen für die Erklärung von realen Gewaltverbrechen haben (siehe »Kann Gewalt in Unterhaltungsmedien Menschen zu Gewalttätern machen?«).

Diese Fragen werden in der Forschergemeinde zum Teil kontrovers diskutiert. In einer 2014 veröffentlichten Umfrage unter 239 Kommunikationswissenschaftlern und 132 Medienpsychologen stimmte die Mehrheit der Befragten der Aussage zu, Gewalt in verschiedenen Unterhaltungsmedien wie Fernsehen, Videospielen, Literatur oder Musik könne aggressives Verhalten begünstigen.

Insgesamt lässt sich sagen, dass nach bisherigem Forschungsstand - und nach Meinung der Mehrzahl von Medienforschern - Gewaltdarstellungen in Unterhaltungsmedien die Entstehung aggressiver Gedanken, Gefühle und Handlungen begünstigen können. Welche Rolle dieser Effekt für die Entstehung von Gewalt im echten Leben spielt, bleibt allerdings noch unklar.


Anderson, C.A. et al.: Violent Video Game Effects on Aggression, Empathy, and Prosocial Behavior in Eastern and Western Countries: A Meta-Analytic Review. In: Psychological Bulletin 136, S. 151-173, 2010

Bushman, B.J. et al.: There is Broad Consensus: Media Researchers Agree that Violent Media Increase Aggression in Children, and Pediatricians and Parents Concur. In: Psychology of Popular Media 4, S. 200-214, 2014

Elson, M., Ferguson, C.J.: Twenty-Five Years of Research on Violence in Digital Games and Aggression: Empirical Evidence, Perspectives, and a Debate Gone Astray. In: European Psychologist 19, S. 33-46, 2014

Greitemeyer, T., Mügge, O.: Video Games Do Affect Social Outcomes: A Meta-Analytic Review of the Effects of Violent and Prosocial Video Game Play. In: Personality & Social Psychology Bulletin 40, S. 578-589, 2014

Paik, H., Comstock, G.: The Effects of Television Violence on Antisocial Behavior: A Meta-Analysis. In: Communication Research 21, S. 516-546, 1994

Weitere Quellen im Internet unter:
www.spektrum.de/mediengewalt

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Hängt die Wirkung der Gewaltdarstellungen vom Medium ab?

In der Vergangenheit wurde Gewalt in unterschiedlichen Medien wie Radio, Kinofilmen, Fernsehen und Computerspielen untersucht. Dabei ergibt sich bislang eine relativ einheitliche Befundlage: Bei all diesen Medientypen findet sich eine vergleichbare Wirkung auf unterschiedliche Anzeichen von Aggression. Es konnte sogar gezeigt werden, dass bloße Standbilder oder einzelne Wörter (wie »Faust« oder »Granate«) in ähnlichem Maß aggressive Gedanken und Verhaltensweisen hervorrufen können wie komplexe und grafisch realistische Gewaltszenen in Filmen oder Computerspielen.

Dieser Befund ist überraschend, da es gute Gründe für die Annahme gibt, dass gewalthaltige Spiele aggressives Verhalten in stärkerem Maß erhöhen als andere Medientypen, etwa Film und Fernsehen. Denn im Computerspiel nimmt der Nutzer brutale Inhalte nicht bloß passiv wahr, sondern führt diese aktiv aus. Da Spieler für das per Knopfdruck ausgelöste Verhalten ihrer Spielfiguren in Form von Punkten, Siegen oder neuer Ausrüstung belohnt werden, wäre es plausibel, dass sie dadurch aggressive Handlungsweisen leichter erlernen und übernehmen. Zudem sollten sich Mediennutzer einfacher mit einer von ihnen gesteuerten Figur als mit einem Charakter im Film oder Fernsehen identifizieren können, was Lernprozesse zusätzlich befördern müsste.

Insgesamt liegen noch zu wenige Studien vor, in denen die Wirkung von Gewalt in Computerspielen mit der in anderen Medien systematisch verglichen wurde. Bislang lässt sich nur festhalten, dass es keine ausreichenden Hinweise darauf gibt, dass Gewaltdarstellungen in Computerspielen einen schädlicheren Einfluss haben, als wenn Gewalt in Medien passiv beobachtet wird.


Anderson, C.A. et al.: Does the Gun Pull the Trigger? Automatic Priming Effects of Weapon Pictures and Weapon Names. In: Psychological Science 9, S. 308-314, 1998

Przybylski, A.K. et al.: Competence-Impeding Electronic Games and Players' Aggressive Feelings, Thoughts, and Behaviors. In: Journal of Personality and Social Psychology 106, S. 441-457, 2014

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Kann man die Wirkung von Mediengewalt überhaupt sinnvoll beobachten oder messen?

Um die Wirkung von medialer Gewalt auf aggressives Verhalten untersuchen zu können, ist es wichtig, dieses zunächst präzise und zuverlässig zu erfassen. Hierzu gibt es eine Reihe unterschiedlicher Vorgehensweisen, die alle spezifische Vor- und Nachteile mit sich bringen.

Die am häufigsten verwendete Messmethode ist die Befragung. Dabei holen Forscher entweder von den betreffenden Personen selbst oder von nahestehenden Personen, beispielsweise Familienangehörigen oder Lehrern, Auskünfte dazu ein, wie häufig sich jemand aggressiv oder sogar kriminell verhält. Dieses Verfahren birgt jedoch grundsätzlich die Unsicherheit, ob die Befragten korrekt antworten können und wollen. Dennoch lassen sich mit geeigneten Befragungsinstrumenten individuelle Unterschiede in der Neigung zu aggressivem Verhalten erfassen.

Eine weitere Möglichkeit ist die Beobachtung von sozialen Interaktionen. Gerade in Studien mit Kindern ist es jedoch nicht immer leicht, zwischen ernsthafter Aggression oder Gewalt und spielerischem Raufen oder Toben zu unterscheiden, zum Beispiel in einem Räuber-und-Gendarm-Spiel. Dennoch ist die Verhaltensbeobachtung der überzeugendste und valideste Indikator für Aggression überhaupt.

In Laborexperimenten mit erwachsenen Versuchspersonen inszenieren Wissenschaftler häufig Situationen, in denen die Teilnehmer die Möglichkeit haben, jemanden zu schaden. Da Forscher dabei schnell an ethische und rechtliche Grenzen stoßen, haben sie Verfahren entwickelt, die keine ernsthaften Beeinträchtigungen zur Folge haben. Sie messen beispielsweise, wie viel scharfe Soße jemand in das Gericht eines anderen Probanden mischt, wie viele Nadeln er oder sie in eine Voodoopuppe sticht, die eine andere Person repräsentieren soll, oder wie laut ein unangenehmer Ton eingestellt wird, den jemand anderes sich vorgeblich anhören muss.

Inwiefern diese Messverfahren geeignet sind, um auf die Aggressionsbereitschaft in realen sozialen Situationen zu schließen, wird derzeit noch kontrovers diskutiert. Bislang gibt es noch keine ausreichend überzeugenden Belege dafür, dass diese Methoden auch alltägliche Formen von Gewalt vorhersagen können. Es ist daher nötig, neue Methoden zur Erfassung von Aggression zu entwickeln und darüber hinaus systematischer zu prüfen, welche Aussagekraft bisherige Messverfahren für aggressives Verhalten im Labor haben.


Anderson, C.A., Dill, K.E.: Video Games and Aggressive Thoughts, Feelings, and Behavior in the Laboratory and in Life. In: Journal of Personality and Social Psychology 78, S. 772-790, 2000

Barlett, C.P. et al.: How Long do the Short-Term Violent Video Game Effects Last? In: Aggressive Behavior 35, S. 225-236, 2009

DeWall, C.N. et al.: The Voodoo Doll Task: Introducing and Validating a Novel Method for Studying Aggressive Inclinations. In: Aggressive Behavior 39, S. 419-439, 2013

Ferguson, C.J., Savage, J.: Have Recent Studies Addressed Methodological Issues Raised by Five Decades of Television Violence Research? A Critical Review. In: Aggression and Violent Behavior 17, S. 129-139, 2012

Krahé, B. et al.: Desensitization to Media Violence: Links with Habitual Media Violence Exposure, Aggressive Cognitions, and Aggressive Behavior. In: Journal of Personality and Social Psychology 100, S. 630-646, 2011

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Kann Gewalt in Unterhaltungsmedien Menschen zu Gewalttätern machen?

Die Wirkung von Mediengewalt wird häufig im Anschluss an schwere Gewalttaten diskutiert, vor allem nach so genannten Amokläufen an Schulen. In der öffentlichen Diskussion geht es dann in der Regel darum, wie es zu einer solchen Tragödie kommen konnte und ob die Mediennutzung einen Einfluss darauf hat, dass Jugendliche zu Gewaltverbrechern werden. Diese Fragen sind mit den gängigen Forschungsmethoden kaum zu beantworten, da solche Taten extrem selten sind und ihre Entwicklung sich daher nur rückblickend untersuchen lässt. Die genannten Wirkungen von Mediengewalt (siehe »Beeinflusst Gewalt in Unterhaltungsmedien die Gedanken, Gefühle und das Verhalten von Menschen?«) lassen sich deshalb nicht direkt zur Erklärung schwerer Gewaltverbrechen heranziehen. Eine Überblicksstudie der Kriminologinnen Joanne Savage und Christina Yancey deutet sogar eher darauf hin, dass der Konsum von gewalthaltigen Medien keinen unmittelbaren Einfluss auf kriminelles Verhalten hat.

Stattdessen ist davon auszugehen, dass beispielsweise Massenmorde an Schulen den Endpunkt eines langfristigen, gestörten Entwicklungsverlaufs darstellen. Öffentliche Demütigungen, soziale Ausgrenzung sowie Gewalt- und Rachefantasien scheinen dabei eine wichtige Rolle zu spielen. Als weitere Risikofaktoren gelten Persönlichkeitsstörungen sowie die Verfügbarkeit von Waffen.

Ob und inwieweit die Nutzung gewalthaltiger Medien das Auftreten von Gewaltfantasien oder auch deren Umsetzung begünstigt, ist schwer zu untersuchen. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass Gewaltverbrecher Medien teilweise für das Ausleben so genannter prädeliktischer Fantasien nutzen. Mit anderen Worten, aggressive Impulse werden mitunter zuerst in Medienwelten in die Tat umgesetzt, bevor es zu realen Verbrechen kommt. Es liegen bislang aber keine Belege dafür vor, dass Gewaltdarstellungen in den Medien oder das Ausleben von aggressiven Fantasien in Videospielen einen entscheidenden Einfluss darauf haben können, dass es zu einer schweren Gewalttat kommt.


Bondü, R.: School Shootings in Deutschland. Internationaler Vergleich, Warnsignale, Risikofaktoren, Entwicklungsverläufe. Dissertationsschrift. Freie Universität Berlin, Berlin 2012

Ferguson, C.J.: The School Shooting/Violent Video Game Link: Causal Relationship or Moral Panic? In: Journal of Investigative Psychology and Offender Profiling 5, S. 25-37, 2008

Levin, J., Madfis, E.:Mass Murder at School and Cumulative Strain. A Sequential Model. In: American Behavioral Scientist 52, S. 1227-1245, 2009

Robertz, F. (Hg.): Gewaltphantasien. Zwischen Welten und Wirklichkeiten. Verlag für Polizeiwissenschaften, Frankfurt am Main 2011

Savage, J., Yancey, C.: The Effects of Media Violence Exposure on Criminal Aggression: A Meta-Analysis. In: Criminal Justice and Behavior 35, S. 772-791, 2008

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Wieso wird über die Wirkung von Mediengewalt häufig so kontrovers diskutiert?

Die Debatte um die schädliche Wirkung von Medien begann bereits, bevor Fernseher und Computer Einzug in unseren Alltag hielten. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts standen zum Beispiel Gewaltdarstellungen in Radiosendungen und Comics in der Kritik. Heute wie damals diskutieren Forscher, Politiker und besorgte Eltern äußerst kontrovers über dieses Thema.

In der Öffentlichkeit dominieren hinsichtlich der Gewalt in den Medien starke Überzeugungen, Sorgen und Ängste. Beispielsweise befürchten ältere Menschen, die nicht mit Computerspielen aufgewachsen sind, eine größere Wirkung dieses Mediums und befürworten daher eine umfassendere staatliche Kontrolle als jüngere, die über eigene Spielerfahrung verfügen. Personen, die selbst nicht spielen, aber mit dem Medium aufgewachsen sind, neigen eher dazu, die Nutzung gewalthaltiger Computerspiele zu verteidigen, da sie es als zeitgemäße Aktivität und als unproblematisches Hobby wahrnehmen.

Zudem bewerten und interpretieren Menschen Forschungsergebnisse in der Regel unterschiedlich, je nachdem, welche Überzeugungen bei ihnen vorherrschen: Wer glaubt, dass gewalthaltige Videospiele aggressiv machen, beurteilt Studien, die genau diesen Effekt finden, positiv - und wertet die Bedeutung gegenteiliger Befunde ab. Bei Personen, die nicht von einer solchen Wirkung ausgehen, verhält es sich genau umgekehrt. Dank dieser verzerrten Bewertung werden bereits bestehende Einstellungen immer weiter verstärkt statt verändert. Außerdem gibt es Belege dafür, dass sich Computerspieler durch Forschungsbefunde zur Wirkung von Mediengewalt leicht angegriffen und stigmatisiert fühlen. Diese emotionale Reaktion kann teilweise erklären, wieso »Gamer« die Forschung zu diesem Thema oft übermäßig kritisch bewerten und kommentieren.


Greitemeyer, T.: I Am Right, You Are Wrong: How Biased Assimilation Increases the Perceived Gap between Believers and Skeptics of Violent Video Game Effects. In: PLoS ONE 9, e93440, 2014

Kneer, J. et al.: Defending the Doomed: Implicit Strategies Concerning Protection of First-Person Shooter Games. In: Cyberpsychology, Behavior, and Social Networking 15, S. 251-256, 2012

Nauroth, P. et al.: Gamers Against Science: The Case of the Violent Video Games Debate. In: European Journal of Social Psychology 44, S. 104-116, 2014

Przybylski, A.K.: Who Believes Electronic Games Cause Real World Aggression? In: Cyberpsychology, Behavior, and Social Networking 17, S. 228-234, 2014

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Wie sollten Eltern und Erzieher mit Gewalt in den Medien umgehen?

Die öffentliche Diskussion zur Wirkung von Mediengewalt verunsichert viele Eltern und Erziehende. Deswegen ist es wichtig, die Vor- und Nachteile der Mediennutzung kritisch und ausgewogen zu bewerten. Es ist dabei weder realistisch noch wünschenswert, den Konsum gewalthaltiger Inhalte generell zu verbieten: Zum einen sind diese Angebote insbesondere unter männlichen Jugendlichen weit verbreitet und hoch attraktiv (siehe »Warum empfinden Menschen Mediengewalt als unterhaltsam?«). Es gibt sogar Hinweise darauf, dass Verbote und auch Altersbeschränkungen die Anziehungskraft dieser Medienangebote für Heranwachsende noch steigern; sie bewirken somit das Gegenteil dessen, wozu sie gedacht sind.

Zum anderen können Kinder und Jugendliche den kritischen Umgang mit entsprechenden Inhalten nicht erlernen, wenn sie keine Erfahrungen damit sammeln. Günstiger ist ein pädagogisch begleiteter Prozess der konstruktiven und kritischen Auseinandersetzung mit der Mediennutzung allgemein und mit Gewalt im Speziellen. Hierzu möchten wir vier wichtige Ansatzpunkte vorstellen: Ressourcenorientierung, Vorbildfunktion, Medienerziehung und Medienbildung.

Ressourcenorientierung: Wie wir zuvor erläutert haben, kann Mediengewalt als ein Risikofaktor für die Entstehung von Aggression verstanden werden. Gleichzeitig existiert aber eine Vielzahl an Schutzmechanismen, die gewalttätiges Verhalten weniger wahrscheinlich machen. Daher kann es von Vorteil sein, die Stärkung dieser Ressourcen in den Fokus zu nehmen. Wer zu konfrontativ oder tabuisierend vorgeht, läuft Gefahr, wichtige Schutzfaktoren zu verspielen, etwa die Vertrauensbeziehung zu Jugendlichen. Das erhöht wiederum das Risiko für aggressives Verhalten. Positive Beziehungen zu erwachsenen Bezugspersonen vermögen dagegen Aggressionen zu mindern.

Vorbildfunktion: Eltern und Erziehende können in zweierlei Hinsicht mit gutem oder schlechtem Beispiel vorangehen. Wenn sie selbst häufig gewalthaltige Medien konsumieren und die dargestellte Aggression unkritisch befürworten, begünstigt dies ähnliche Einstellungen und Präferenzen bei Kindern und Jugendlichen. Eine wichtige Rolle spielt außerdem, wie die Erwachsenen ihrerseits im realen Leben mit Konflikten umgehen. Ein gewaltfreies und von gegenseitigem Respekt geprägtes Sozialverhalten hat sich als bedeutender Schutzfaktor herausgestellt.

Medienerziehung: Es gibt vielfältige Möglichkeiten, Mediengewalt erzieherisch zu begegnen. Eine bewahrende Haltung besteht etwa darin, der Mediennutzung inhaltliche und zeitliche Grenzen zu setzen. Dabei werden nur ganz spezifische Fernsehsendungen und Computerspiele verboten, oder es wird die Dauer, die Kinder bestimmte Medien nutzen, über Zeitkonten geregelt. Konzepte, die auf Aufklärung und konstruktiver Reflexion basieren, zielen dagegen auf die Förderung der Medienkompetenz ab. Darunter versteht man die Fähigkeit, die eigene Verantwortung für die Mediennutzung zu reflektieren. Gemeinsame Medienerlebnisse von Heranwachsenden und Erziehenden bieten die Möglichkeit, problematische individuelle Erfahrungen miteinander zu diskutieren und diese kritisch einzuordnen.

Je nach Alter und Entwicklungsstand empfehlen sich unterschiedliche Strategien: Für jüngere Kinder sind gemeinsame Medienerlebnisse wichtig, was dafür spricht, Fernseher und Computer in Gemeinschaftsräumen statt im Kinderzimmer aufzustellen. Außerdem sind bei ihnen Nutzungsregeln wie eine begrenzte Bildschirmzeit und die Beschränkung auf altersadäquate Angebote angemessen. Ab etwa 12 bis 13 Jahren tritt die selbstständige Mediennutzung in den Vordergrund. In dieser Phase gewinnen eine gemeinsame kritische Reflexion von Inhalten sowie das Vertrauen in die Kompetenzen der Jugendlichen an Bedeutung. Insgesamt zeigt die Forschung, dass altersgemäße Gespräche mit Kindern über ihre Medienerfahrungen mit einer reflektierten Verarbeitung gewalthaltiger Inhalte einhergehen.

Medienbildung: Es gibt bislang nur wenige breit angelegte Bildungsprogramme mit entsprechenden Begleitstudien, die dafür gedacht sind, den negativen Auswirkungen gewalthaltiger Medieninhalte auf Kinder und Jugendliche vorzubeugen. Ein deutschsprachiges Programm konnte erste Erfolge aufweisen: Es führte laut einer Studie von Ingrid Möller aus dem Jahr 2012 dazu, dass die Teilnehmer ihre Mediennutzungsgewohnheiten kritisch hinterfragten und insgesamt weniger gewalthaltige Medien konsumierten. Bei Jugendlichen, die vor dem Programm stärker zu Aggression neigten, zeigten sich im Anschluss an das Training eine geringere Akzeptanz aggressiver Verhaltensweisen sowie geringere körperliche und soziale Formen von Gewalt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Eltern und andere Erziehende den Umgang von Kindern und Jugendlichen mit Medien beeinflussen und diese insbesondere in Bezug auf die Wirkung gewaltsamer Inhalte entwicklungsförderlich unterstützen können.

Groeben, N.: Medienkompetenz. In: Mangold, R. et al. (Hg.): Lehrbuch der Medienpsychologie. Hogrefe, Göttingen 2004, S. 27-49

Heinz, D., Schmölders, T.: Elternabende Computerspiele. Handreichung für Referentinnen und Referenten (unter Mitarbeit von M. Felling und M. Müsgens). Klicksafe. Landeszentrale für Medien und Kommunikation Rheinland-Pfalz, Ludwigshafen 2012

Möller, I., Krahé, B.: Mediengewalt als pädagogische Herausforderung: Ein Programm zur Förderung der Medienkompetenz im Jugendalter. Hogrefe, Göttingen 2013

Pfetsch, J., Steffgen, G.: Gewalthaltige Computerspiele - Wirkmechanismen und Präventionsansätze. In: Gollwitzer, M. et al. (Hg.): Gewaltprävention bei Kindern und Jugendlichen. Aktuelle Erkenntnisse aus Forschung und Praxis. Hogrefe, Göttingen 2007, S. 104-122

Süss, D. et al.: Medienpädagogik. Ein Studienbuch zur Einführung. Springer, Heidelberg, 2. Auflage 2013

Weitere Quellen im Internet unter:
www.spektrum.de/mediengewalt

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Die Autoren

Tobias Rothmund ist Juniorprofessor für Politische Psychologie am Institut für Kommunikationspsychologie und Medienpädagogik (IKM) der Universität Koblenz-Landau. Er forscht zum Erleben von Gewalt und Ungerechtigkeit in Massenmedien sowie zur Entwicklung politischer Einstellungen.

Malte Elson ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie der Ruhr-Universität Bochum. Er untersucht das Lernen mit digitalen Medien sowie die Gewinnung, Verbreitung und Kommunikation von wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Markus Appel ist Professor für Psychologie mit Schwerpunkt Medienpsychologie an der Universität Koblenz-Landau. Er beschäftigt sich unter anderem mit medial vermittelten Narrationen, mit Stereotypen und Vorurteilen, sozialen Netzwerkseiten und humanoiden Robotern.

Julia Kneer ist Assistant Professor am Department Media and Communication der Erasmus University Rotterdam. Ihr Schwerpunkt liegt in der Sozial- und Medienpsychologie, speziell im Bereich der Videospielforschung, der Gesundheitskommunikation und dem Einfluss von Medien auf die soziale Kognition.

Jan Pfetsch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter/Postdoc am Fachgebiet Pädagogische Psychologie der Technischen Universität Berlin. Seine Forschungsinteressen beziehen sich auf Cybermobbing, Mediennutzung und -wirkung, Empathie im Medienkontext sowie Prävention von Aggression in der Schule.

Frank Schneider ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Mannheim. In seiner Forschung beschäftigt er sich unter anderem mit den Fragen, warum und wie Unterhaltungsangebote genutzt werden und welche Wirkungen sie haben.

Carmen Zahn ist Professorin mit dem Schwerpunkt Neue Medien, Wissen und Lernen an der Hochschule für Angewandte Psychologie, Fachhochschule Nordwestschweiz, Olten. Im Fokus ihrer Forschung stehen interaktive visuelle Medien für kooperatives Arbeiten und Lernen.


Die Zusammenstellung der Expertenkommission und die Erarbeitung dieser Stellungnahme wurden von der Fachgruppe Medienpsychologie initiiert, die Teil der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) ist.

Den vollständigen Text dieser Stellungnahme finden Sie unter:
www.spektrum.de/mediengewalt



RANDBEMERKUNGEN

- Gewalthaltige Medienangebote führen zu einem Spannungserleben, auch »suspense« genannt, sowie zu körperlicher und psychischer Aktivierung. Diese erleben die Rezipienten häufig als unterhaltsam

- Bloße Standbilder oder einzelne Wörter (wie »Faust« oder »Granate«) können in ähnlichem Maß aggressive Gedanken und Verhaltensweisen hervorrufen wie komplexe und grafisch realistische Gewaltszenen

- Es liegen bislang keine Belege dafür vor, dass Gewaltdarstellungen in den Medien oder das Ausleben von aggressiven Fantasien in Videospielen einen entscheidenden Einfluss darauf haben können, dass es zu einer schweren Gewalttat kommt

- Ab etwa 12 bis 13 Jahren tritt die selbstständige Mediennutzung in den Vordergrund. In dieser Phase gewinnen eine gemeinsame kritische Reflexion von Inhalten sowie das Vertrauen in die Kompetenzen von Jugendlichen an Bedeutung


WEBLINKS

Weitere Statements von internationalen Fach- und Regierungsorganisationen zum Thema Mediengewalt finden Sie hier:

Expertise der Mediengewaltkommission der Internationalen Gesellschaft für Aggressionsforschung:
www.israsociety.com/pdfs/MVCommission_Statement_Germanversion_final.pdf

Stellungnahme der American Psychological Association (APA):
www.apa.org/news/press/releases/2015/08/violent-video-games.pdf

Literaturüberblick des australischen Justizministeriums:
www.classification.gov.au/Public/Resources/Pages/Other Resources/Literaturereview on the impact of playing violent video games on aggression.pdf

Stellungnahme des schwedischen Medienrats:
www.statensmedierad.se/upload/_pdf/Summery_Violent_Computer_Games.pdf


Dieser Artikel ist als PDF-Datei mit Abbildungen abrufbar unter:
http://www.spektrum.de/pdf/28-35-gug-10-2015-pdf/1362610


© 2015 Tobias Rothmund, Malte Elson, Markus Appel, Julia Kneer, Jan Pfetsch, Frank Schneider Carmen Zahn, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Gehirn und Geist 10/2015, Seite 28 - 35
URL: http://www.spektrum.de/pdf/28-35-gug-10-2015-pdf/1362610
Redaktion und Verlag:
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Internet: www.gehirn-und-geist.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2015

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