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RATGEBER/045: Was du mir antust (welt der frau)


welt der frau 9/2008 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Was du mir antust
Wer sich selbst als Opfer fühlt, übt oft ganz schön viel Macht aus

Von Eva Heistracher


Stefan legt nachdenklich den Telefonhörer auf. Ja, er hätte seine Eltern am Wochenende besuchen sollen. Stattdessen hat er längst fällige Abrechnungen geschrieben und mit der Familie etwas ausgespannt. Nun ist die Mutter gekränkt, dass er sie im Stich lasse, jetzt, wo es dem Vater gesundheitlich nicht gut gehe.

Stefan fühlt ein unangenehmes Gefühl in sich aufsteigen. Er kommt sich unverlässlich und egoistisch vor, eine Empfindung, die er seit über dreißig Jahren kennt.

Stefans Mutter liebt ihren Sohn und sie hat ihn, den stattlichen Unternehmer und Familienvater, noch immer fest in der Hand. Mit der Erzeugung von Schuldgefühlen lässt sich bei ihm viel erreichen und schon am nächsten Sonntagmorgen steht Stefan mit Blumen vor der Tür.


Schlechte Gefühle erzeugen

Wer imstande ist, bei anderen starke Gefühle auszulösen, ist mächtig. Die Machtexpertin Christine Bauer-Jelinek kennt das Hervorrufen von Gefühlen als eine von acht Machtquellen: "Die Einflussnahme kann über das Hervorrufen schöner, hehrer Gefühle ebenso gesteuert werden wie über das Erzeugen negativer Emotionen. Sie geschieht durch Lob und Anerkennung ebenso wie durch Appelle an das Mitleid, die Loyalität oder durch Mobilisierung von Schuld, Angst und Scham."

Wie geht Stefans Mutter vor, um bei ihrem Sohn diese Wirkung zu erreichen? Zunächst hängt sie dem gegenwärtigen Auslöser (Stefan kommt nicht) die ganze Schwere ihrer Unzufriedenheit an (ohne ihre eigene Situation zu hinterfragen). Sie legt einen vorwurfsvollen und leidenden Unterton in ihre Stimme, wird einsilbig und reagiert in der Folge auf seine Kontaktangebote kaum. Am Ende lässt sie ihn mit einem spitzen "Dann musst du selber wissen, was du tust" stehen und bricht das Gespräch ab.


Armes Opfer?

Interessanterweise sind sich viele Menschen, die andere über ihre Emotionen beeinflussen, ihrer Macht nicht bewusst, ja sie erleben sich häufig als schwach, ohnmächtig und als Opfer einer unsensiblen Umwelt.

Vordergründig haben sie auch gar keinen Grund, diesen Status aufzugeben. "Die Opferposition ist heiß begehrt. Wer die Rolle des Opfers besetzt, kann eine Reihe sozialer, emotionaler und moralischer Prämien einstreichen, die andere nicht haben", sagt der Familientherapeut Martin Koschorke. Er sieht 16 Vorteile in der Opferposition, allen voran die klare Verteilung von "Schuld" und "Unschuld" und den Anspruch des "Opfers" auf moralische Überlegenheit. "Täter" wird die andere Person, die auf Wünsche des Opfers nicht eingeht und mit ihrer "Härte" Leid zufügt.


Der Schein trügt

Opfernaturen sind nicht so hilf- und harmlos, wie sie auf den ersten Blick wirken. In ihrer persönlichen "Waffenkammer" lagern sie wirksame Instrumente, die sie gezielt einsetzen. Durch Schweigen, Schmollen, Beleidigtsein oder durch Vorgabe schlechten Befindens üben sie Druck aus, setzen ihre Ansprüche durch.

Opfernaturen treten kaum in "Reinkultur" als machtbesessene Ungeheuer auf. Ihre vereinnahmende Seite vermischt sich häufig mit durchaus liebenswerten Eigenschaften. Das macht gerade in privaten Beziehungen und bei geschätzten Menschen das Erkennen ihrer verfänglichen Verhaltensmuster schwierig.


Nicht mitspielen

Opfernaturen können mit ihren Manipulationen nur erfolgreich sein, solange sie geeignete MitspielerInnen finden. Wenn sich die Opfer der Opfer dieser Machtmanöver bewusst werden, verlieren sie an Wirkung.

Es kann sehr befreiend sein, den Mut aufzubringen, "unfolgsam" zu sein, wenn fremde Erwartungen den eigenen Gefühlen zuwiderlaufen, bzw. sich von der Illusion zu verabschieden, stets mit allen "gut" sein zu können.

Da sind wir übrigens in prominenter Gesellschaft. Katharine Hepburn resümierte im hohen Alter: "Ich habe nur das getan, was ich für richtig hielt. So habe ich es wenigstens einer Person in meinem Leben recht gemacht."


Buchtipps:
Ute Lauterbach: "Spielverderber des Glücks",
Kösel, 240 Seiten, 16,40 Euro
Christine Bauer-Jelinek: "Die helle und die dunkle Seite der Macht",
Edition Va Bene, 220 Seiten, 21,90 Euro

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Übe ich als "Opfernatur" Macht aus?

Appelliere ich häufig an das moralische Gewissen anderer durch Formulierungen wie: "Lass mich bitte nicht im Stich", "Enttäusche mich jetzt nicht" oder "Das hätte ich mir von dir nicht gedacht" u. Ä.?

Erzeuge ich zunächst menschliche Nähe durch vertrauliche Worte (zum Beispiel: "Du bist mir sehr wichtig") und verpacke meine Absichten in verbindliche Wunschformulierungen? Sanktioniere ich dann das Nichtbefolgen meiner Wünsche mit Schuldzuweisungen, Rückzug oder Gekränktsein?

Lege ich öfter einen klagenden Unterton in meine Stimme, wenn ich bei anderen etwas erreichen will?

Wirkt sich mein leidvolles Verhalten auf meine eigene Stimmung aus?

Welchen "Gewinn" bringt es mir, andere mein Leid spüren zu lassen? Könnte ich diesen "Gewinn" (Aufmerksamkeit, Anerkennung, menschliche Nähe) auch anders erreichen?

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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Ausgabe 9/2008, Seite 10-11
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. September 2008