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RATGEBER/048: Zeitmanagement - Was du heute kannst besorgen ... (Gehirn&Geist)


GEHIRN&GEIST 1-2/2009
Das Magazin für Psychologie und Hirnforschung

Zeitmanagement
Was du heute kannst besorgen ...

Von Brigitta Ernst


Viel zu oft stellt man am Ende eines Arbeitstags fest, dass wichtige Projekte liegen geblieben sind und die To-do-Liste statt kürzer eher länger wurde. Doch es geht auch anders.


Ratgeber und Seminare zum Thema Zeitmanagement gibt es im Überfluss. Doch trotz aller Prioritätensetzung, To-do-Listen und eingeplanten Pufferzeiten hetzen die meisten Berufstätigen durch ihren Alltag. Dabei sind es weniger die zentralen Projekte, sondern vielmehr die zahllosen kleinen Alltagsinformationen, die zusammen jene Flut ergeben, in der wir zu ertrinken drohen. Offenbar funktionieren heute die traditionellen Regeln der Zeiteinteilung nicht mehr.

Das klassische Prioritätenmanagement empfiehlt unter anderem, gleichartige Tätigkeiten möglichst zu bündeln, damit man sich nicht jedes Mal neu einarbeiten muss. Also etwa alle eingehenden Briefe nach Themen zu sortieren und sie dann zu einem bestimmten Termin auf einen Rutsch zu beantworten. Außerdem solle man seine Aufgaben streng nach Wichtigkeit ordnen und entsprechend ablegen: Priorität A, Priorität B und so weiter. Die wichtigsten Dinge gilt es dann als Erstes zu erledigen und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem die Leistungskurve im Zenit und man selbst ungestört ist.

Der Haken dabei: All diese Vorgaben lassen sich von Menschen, die in ständigem Kontakt mit anderen stehen und äußeren Einflüssen ausgeliefert sind, nie richtig umsetzen - egal, wie früh man morgens anfängt oder wie viel Pufferzeit für Unvorhergesehenes eingeplant ist.

Ein Seminarteilnehmer beschrieb das Problem einmal so: »Sobald ich alle Telefonate erledigen möchte, kommt mit Sicherheit meine Sekretärin und legt mir Korrespondenzen zur Unterschrift vor. Oder ein Mitarbeiter bittet um einen Tag Sonderurlaub oder der Chef beruft eine kurzfristige Konferenz ein, wofür ich mich binnen Minuten vorbereiten muss. Dazu kommen täglich rund 50 Mails herein, von denen die meisten eine konkrete Reaktion von mir erfordern und das möglichst sofort. Abends habe ich dann viele Punkte meiner To-do-Liste nicht abgearbeitet und Aufgaben mit eigentlich höchster Priorität wieder auf den nächsten Tag geschoben.«

Mein Vorschlag: Statt jeden Abend frustriert das Büro zu verlassen oder Überstunden zu schieben, planen Sie diese Unwägbarkeiten für den Arbeitsalltag gleich mit ein! Machen Sie aus dem Prioritätenmanagement ein Aktualitätsmanagement und arbeiten Vorgänge oder Korrespondenzen ab, sobald sie bei Ihnen auf den Tisch kommen. Denn dann sind Sie ohnehin schon in Ihrer Konzentration auf die vorherige Arbeit gestört. Bevor Sie etwas also mit einem Vermerk, welche Priorität es haben soll, irgendwo ablegen, erledigen Sie es doch lieber sofort.


Sklaven der E-Mail

Das funktioniert aber nur, wenn Sie sich an ein paar Regeln halten. So dürfen Sie nicht bei jedem optischen oder akustischen Signal Ihres E-Mail-Programms nach der neuen Post schauen. Schalten Sie diese Funktionen am besten ganz aus und gewöhnen Sie sich an, Ihre Mails nur drei- bis viermal am Tag zu kontrollieren - etwa wenn Ihre Leistungskurve gerade etwas abfällt. Denn erfahrungsgemäß sinkt die Konzentrationsfähigkeit bereits nach rund 20 Minuten ununterbrochener Arbeit. Nutzen Sie also die Gelegenheit, unterbrechen Ihre Arbeit, schnappen Sie frische Luft, schauen aus dem Fenster - und checken Ihren elektronischen Posteingang. Versuchen Sie die Mails dann aber auch gleich komplett abzuarbeiten, sofort nach dem Lesen. Dann haben Sie den Vorgang parat und müssen sich nicht zusätzlich etwas notieren oder im Kopf behalten. Sie machen es einfach - und die Sache ist erledigt. Und versuchen Sie dabei nicht übertrieben perfektionistisch zu sein.

Angenommen, Sie müssen täglich rund 30 Mails beantworten. Wenn Sie pro Antwort zwei Minuten benötigen, ergibt das zusammen eine Stunde pro Tag - bei Verteilung auf vier Portionen jeweils eine Viertelstunde. Das kommt Ihnen vielleicht lang vor, aber Sie fahren damit viel besser, als wenn Sie jede einzelne Nachricht gleich nach dem Eintreffen aufmachen, lesen und anschließend liegen lassen, bis Sie Zeit zum Abarbeiten haben.

Oft ist das Projekt ja auch schon eine Weile her; Sie haben es nicht mehr im Kopf und rufen den Mailpartner an, der inzwischen mit anderen Dingen beschäftigt ist. Er muss diese ebenfalls unterbrechen und im Geist den Vorgang wieder hervorholen - und bittet womöglich noch um einen Rückruf in fünf Minuten. Da ist es auf jeden Fall zeitsparender, wenn Sie alles sofort erledigen.

Es ist ein Irrtum zu glauben, langsames Lesen sei gleichbedeutend mit sorgfältigem Lesen

Sehr wichtig ist auch effektives Lesen. Da Sie den größten Teil der Informationen, mit denen Sie täglich konfrontiert werden, lesend aufnehmen, sollten Sie sich so genannte Schnelllesetechniken (siehe G&G 3/2008, S. 73) aneignen, denn falsche Gewohnheiten kosten hier viel Zeit. So springen die Augen oft in der Zeile zurück, ohne dass wir es merken. Um das zu vermeiden, führen Sie einen Stift gezielt unterhalb der Zeile, die Sie gerade lesen, zügig entlang - und zwar einen Tick schneller als Ihr übliches Tempo. Folgen Sie dabei dem Stift mit den Augen. Auch wenn es Ihnen mangels Übung anfangs schwer fällt, versuchen Sie es einfach immer wieder.

Es ist ein weit verbreiteter Irrtum zu glauben, langsames Lesen sei gleichbedeutend mit sorgfältigem Lesen. Für das Gehirn ist es besser, Informationen erst einmal grob in ihrem Bedeutungskontext aufzunehmen und dann in einem zweiten Schritt noch einmal zu vertiefen, falls nötig. Unklarheiten werden beim Weiterlesen häufig automatisch beantwortet. Das Gehirn ergänzt dann von selbst die zunächst vermissten Informationen wie ein fehlendes Teilchen in einem Puzzle.

Grundsätzlich gilt auch beim Lesen wichtiger Texte das Aktualitätsmanagement. Also: Tun Sie es möglichst gleich und schieben Sie es nicht auf! Dasselbe gilt für eingehende Post, auch wenn Sie gerade mit etwas anderem beschäftigt sind. Denn sobald Sie einen Brief öffnen, ist Ihre vorherige Tätigkeit ohnehin unterbrochen. Bevor Sie ihn jetzt zur Seite legen, nur um ihn später wieder hervorzuholen und dann womöglich noch einmal zu lesen - da Sie inzwischen nicht mehr genau wissen, worum es geht -, erledigen Sie die Sache besser sofort. Wenn beispielsweise ein Kunde nach der aktuellen Preisliste fragt, suchen Sie diese gleich heraus und lassen sie ihm zukommen. Das dauert maximal fünf Minuten, und Sie müssen danach nicht mehr daran denken.

Hier noch ein paar Tipps für das effektive Lesen von Mails und anderen Informationsquellen:

Lesen Sie lieber zwei Texte zum Thema schnell als einen langsam. Sie erfahren mehr Details in der gleichen Zeit. Man registriert dadurch auch früher, welche Informationen wichtig sind und was man sich getrost schenken kann.

Wenn Sie besonders lange Mails bekommen, kopieren Sie diese in ein Word-Dokument und schieben die Zeilen auf eine Breite von zirka fünf Zentimeter zusammen, so dass sie eine lesefreundliche Zeitungsspaltenbreite bekommen. Hier können Sie dann auch gut den oben beschriebenen Stifttrick anwenden.


Wartezeiten nutzen

Wenn Sie es trotz allem nicht schaffen sollten, das Aktualitätmanagement beim Lesen durchzuziehen, weil einfach zu viel Material auf Sie einströmt:

Setzen Sie sich bei Pflichtlektüren einen festen Zeitrahmen. Das hilft, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und sich nicht mit etwas zu verzetteln, was Sie eigentlich gar nicht lesen wollen.

Ausführliches, weiterführendes Informationsmaterial wie einen Geschäftsbericht oder Rechercheergebnisse drucken Sie aus und nehmen es mit nach Hause. Nicht, damit Sie daheim einfach weiterarbeiten - Job ist Job und Freizeit sollte Freizeit sein. Aber oft hat man zwischendurch eine ungenutzte Zeitspanne, etwa beim Warten auf den Bus, im Stau oder im Wartezimmer eines Arztes. Haben Sie Ihre Lektüre dabei, können Sie diese Zeit sinnvoll nutzen und damit wieder etwas von Ihrer To-do-Liste streichen.

Auch zu Hause bewährt sich übrigens das Aktualitätsmanagement: Schaffen Sie möglichst viel aus Ihrem Blickfeld, damit es gar nicht erst auf der Liste der Dinge landet, an die Sie sich erinnern müssen. Denn letztlich kostet Aufschieben nur Zeit. Wenn Sie die Tagespost öffnen, legen Sie diese nicht etwa in den Eingang eines Ablagesystems. Bis Sie dort notiert haben, dass Sie den Betrag der Rechnung prüfen müssen, haben Sie genau das ja schon getan - in letztem Fall müssen Sie jedoch keinen Gedanken mehr daran verschwenden.

Die Erfahrungen des klassischen Zeitmanagements sprechen ebenfalls für schnelles Handeln: Mit jeder Woche, in der etwas liegen bleibt, erscheint der Vorgang vor dem geistigen Auge größer und aufwändiger. Zudem gehen durch Abwarten oft wertvolle Informationen verloren, die manchmal gar nicht oder nur mit erheblichem Mehraufwand wieder zu beschaffen sind. Selbst wenn man sich ganz neu eingearbeitet hat, fehlt am Schluss oft die Zeit zur richtigen Umsetzung - und heraus kommt ein unbefriedigendes Ergebnis.

Ersparen Sie sich das. Sagen Sie sich: »Ich muss es ohnehin tun, also erledige ich es gleich.« Sie werden sehen, wie viele der zahllosen Kleinigkeiten, die Ihnen manchmal beinah die Luft zum Atmen rauben, sich plötzlich in Wohlgefallen auflösen. Ein weiterer Vorteil des Aktualitätsmanagements: Viele Ihrer Geschäftspartner sind lange nicht so schnell. Wenn Sie also auf Anfragen, E-Mails oder ähnliches prompt reagieren, haben Sie oft die Nase vorn.


Brigitta Ernst ist Wissenscoach und gibt Seminare zum Thema Speed-Reading und persönliches Informationsmanagement.


Literaturtipp
Ernst, B.: Der Wissensgourmet. So wählen Sie Informationen richtig aus. Cognitum, Heidenheim 2006.


© 2009 Brigitta Ernst, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
GEHIRN&GEIST 1-2/2009, Seite 68 - 70
Herausgeber: Dr. habil. Reinhard Breuer
Redaktion und Verlag:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Februar 2009