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THERAPIE/064: Jugendgerechte Traumatherapie (Agora - Uni Eichstätt-Ingolstadt)


Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Ausgabe 2 - 2013

Jugendgerechte Traumatherapie

Von Eline Rimane u. Rita Rosner



Sexueller Missbrauch und körperliche Misshandlungen können Folgen für das ganze Leben haben. Eine Traumatherapie speziell für Jugendliche und junge Erwachsene entwickeln und testen derzeit Psychologen der KU gemeinsam mit Forschern anderer Universitäten.


Immer wieder erschüttern Meldungen über sexuell missbrauchte und misshandelte Kinder die Öffentlichkeit. Fast täglich kann man in Zeitungen über solche grausamen Taten lesen. Das wundert kaum, denn internationale Studien zeigen, dass ca. eines von vier Mädchen und einer von elf Jungen sexuell missbraucht werden sowie ca. 10% der Kinder körperliche Misshandlung erleben - die Dunkelziffer dieser Fälle liegt vermutlich noch deutlich höher.

Unter körperlicher Misshandlung versteht man dabei physische Gewaltanwendung durch Bezugspersonen, die beim Jugendlichen zu körperlichen oder seelischen Schäden führt. Von sexuellem Missbrauch spricht man, wenn eine Person, die dem Jugendlichen z.B. aufgrund ihres Alters oder ihres Einflusses gegenüber in einer überlegenen Position ist, diesen zu sexuellen Handlungen drängt oder zwingt. Hier kommt es nicht in jedem Fall zur Anwendung von körperlicher Gewalt - häufig stammen die Täter aus dem Verwandten- oder Bekanntenkreis des Kindes.

Die langfristigen Folgen solch negativer Erfahrungen in Kindheit und Jugend sind alarmierend: Betroffene haben ein deutlich erhöhtes Risiko, an einer psychischen Störung zu erkranken, was zu einer reduzierten Lebensqualität führt. Häufig finden sich bei Patienten mit traumatischen Kindheitserlebnissen Diagnosen wie die einer Borderline-Persönlichkeitsstörung oder Substanzmissbrauch. Besonders oft ist hier aber auch die sogenannte Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) vertreten. Diese psychische Erkrankung führt zu Einschränkungen in vielen Lebensbereichen. Betroffene zeigen beispielsweise Symptome des Wiedererlebens, was bedeutet, dass diese unter sich aufdrängenden Erinnerungen oder Alpträumen leiden. Auch die Vermeidung von Aktivitäten oder Situationen, die an das Ereignis erinnern, gehört zu dem Störungsbild. Weitere Symptome können Ängste, Schlafstörungen oder Reizbarkeit sein. Das alles kann zu einer deutlichen Beeinträchtigung im Alltag führen.

Um Langzeitfolgen zu verhindern ist es sinnvoll, möglichst früh eine Therapie zu beginnen. Das ist allerdings leichter gesagt als getan: Psychotherapieplätze in Deutschland sind allgemein Mangelware und Wartezeiten von sechs Monaten keine Seltenheit. Zudem sind Missbrauchspatienten als stark belastete und schwierige Gruppe bekannt, was viele Therapeuten von einer Behandlung abschreckt. Häufig werden die Symptome einer PTBS auch nicht richtig erkannt und es erfolgt keine traumaspezifische Psychotherapie. Doch selbst wenn eine PTBS-Diagnose vorliegt, wird oftmals falsch behandelt, da den Therapeuten das Wissen über effektive Methoden fehlt. Dabei gibt es gerade für Erwachsene und Kinder Verfahren, deren gute Wirksamkeit bereits in Studien belegt wurde.

Problematisch wird es allerdings bei dem Altersbereich zwischen diesen beiden Gruppen: Für Jugendliche mit einer PTBS sind die kinder- oder erwachsenenspezifischen Verfahren nur schwer anwendbar, dennoch gibt es kaum überprüfte Therapien für diese Altersgruppe. Jene Lücke zu schließen und die Versorgungssituation zu verbessern hat sich das Team um Prof. Rita Rosner mit einem Projekt zur Aufgabe gemacht, das die Wirksamkeit einer neuen Therapie für traumatisierte Jugendliche und junge Erwachsene untersucht. Hierbei handelt es sich um eine kognitive Verhaltenstherapie, welche bereits bei erwachsenen Traumapatienten gute Erfolge gezeigt hat und auf dem Konzept der Amerikanerin Patricia Resick beruht. Diese Behandlung wurde von der Forschergruppe für Jugendliche angepasst und mit zusätzlichen Therapiebausteinen erweitert. Die neue Behandlung besteht aus vier Phasen: In einem ersten Schritt soll eine Beziehung zum Therapeuten aufgebaut und die Motivation der Jugendlichen gefestigt werden. Die zweite Therapiephase beinhaltet ein sogenanntes Emotionsregulationstraining. Dies ist notwendig, da Jugendliche häufig auf die mit dem Trauma verbundenen schmerzhaften Emotionen und Erinnerungen mit selbstverletzendem Verhalten wie Schneiden, Ritzen oder Verbrennen von Körperstellen reagieren. In dieser Therapiephase lernen die Patienten, wie sie mit intensiven Gefühlen umgehen können ohne sich selbst zu verletzen. Hierzu dienen sogenannte "Skills" - darunter werden Ersatzhandlungen verstanden, die den Jugendlichen helfen, aus negativen emotionalen Zuständen herauszukommen ohne schädlich zu handeln. Beliebte Skills sind beispielsweise Beißen auf eine Chilischote, Riechen an Ammoniak oder Kneten von Massagebällen. Das Emotionsregulationstraining dient auch der Vorbereitung auf die dritte Therapiephase, in welcher eine intensive Beschäftigung mit dem Trauma erfolgt. Die Jugendlichen schreiben hier über ihr Traumaerlebnis, um sich willentlich und gezielt an die traumatischen Situationen zu erinnern. Doch nicht nur Verdrängung und mangelhafte Erinnerung sind ein großes Problem von Traumpatienten: Häufig werden diese auch von falschen, schädlichen Annahmen gequält wie beispielsweise, dass das Erleben des Traumas ihre Schuld sei. Diese sogenannten "Stuck Points" werden gemeinsam mit dem Therapeuten herausgearbeitet und zu verändern versucht. In der letzten Therapiephase werden schließlich typische Entwicklungsaufgaben der Jugendlichen aufgegriffen. Hierzu gehören das Erlangen eines Schulabschlusses, der Abschluss einer Berufsausbildung, sowie die Ablösung von der Ursprungsfamilie und die Wahl eines Partners. Besonders wichtig ist es, den Jugendlichen zu vermitteln, wie sie sich schützen können, damit ihnen in Zukunft ähnlich schlimme Erfahrungen erspart bleiben. Die Kombination der verschiedenen Therapiebausteine macht das Besondere der sogenannten Entwicklungsangepassten Kognitiven Verhaltenstherapie, kurz E-KVT, aus und ermöglicht eine Anpassung an diese spezielle Altersgruppe: Durch die stabilisierende Anfangsphase wird der für Jugendliche typischen schwankenden Motivation begegnet. Zusätzlich soll die kurze Therapiezeit - in der Regel vier bis fünf Monate - die Patienten darin bestärken, die Therapie abzuschließen. Weiter erhofft man sich, dass durch das Emotionsregulationstraining rechtzeitig Probleme angegangen werden, die bei Jugendlichen häufig zu Therapieabbrüchen führen. Zudem widmet sich ein eigener Baustein den ganz speziellen Problemen und Fragen dieser Altersgruppe. Die neue Therapieform wurde bereits in einer Pilotstudie überprüft - mit großem Erfolg: Es zeigte sich eine deutliche Verbesserung der Symptomatik. Patienten berichteten nicht nur weniger PTBS-Symptome, auch andere Störungen wie z.B. Depressionen nahmen deutlich ab.

Jetzt wird die Therapie in einer großen Studie mit verschiedenen Behandlungszentren überprüft. Zu den Standorten gehören dabei die Hochschulambulanz der Freien Universität Berlin, die Verhaltenstherapie-Ambulanz der Goethe-Universität Frankfurt und die Psychotherapeutische Hochschulambulanz der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Seit knapp fünf Monaten gibt es das neue Angebot an den Ambulanzen. Über mangelnde Nachfrage können sich diese dabei nicht beklagen - in allen drei Städten ist das Projekt vielversprechend angelaufen und hat das Interesse von Therapeuten, Ärzten, Beratungsstellen und Betroffenen geweckt.

Neben der Wirksamkeit der Therapie werden in dem Multicenterprojekt aber noch verschiedene andere Fragestellungen untersucht: Eine Arbeitsgruppe der Goethe-Universität Frankfurt am Main analysiert Moderatoren und Mediatoren des Therapieerfolges, Wissenschaftler der Universität Bielefeld beschäftigen sich mit der neurophysiologischen Verarbeitung von bedrohlichen Reizen sowie deren Veränderungen durch die jeweilige Behandlungsform. Hierfür werden mithilfe des sogenannten Elektroenzephalogramms (EEG) elektrische Aktivitäten im Gehirn abgeleitet. Beim EEG handelt es sich um ein sogenanntes non-invasives Verfahren, bei dem der Patient keiner Strahlung ausgesetzt ist oder irgendwelche Substanzen zu sich nehmen muss, sondern bei dem die Ableitung in Form von einer mit Elektroden versehenen Kappe geschieht. Außerdem wird anhand von Speichelproben am Max-Planck-Institut für Psychiatrie München untersucht, ob und wo PTBS zu einer Veränderung des Genmaterials führt. Teil dieses epigenetischen Projekts ist auch die Frage, ob durch Psychotherapie möglicherweise PTBS-spezifische epigenetische Veränderungen wieder rückgängig gemacht werden können. In einem gesundheitsökonomischen Teilprojekt am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf werden des Weiteren direkte und indirekte Kosten der Störung für das Gesundheitssystem ermittelt.

Das gesamte Forschungskonsortium wird vom Bundesforschungsministerium mit knapp 1,4 Millionen Euro gefördert. Noch bis ins Jahr 2015 soll das Projekt laufen. Hierfür werden durchgehend Interessenten gesucht. Gerne kann man sich für ein erstes unverbindliches Gespräch an die Ambulanz in Ingolstadt wenden. Mit langen Wartezeiten ist bei diesem Termin nicht zu rechnen. Vielmehr soll hier baldmöglichst abgeklärt werden, ob die angebotene Traumatherapie zu den Problemen des Interessenten passt. Hierfür wird eine psychologische Untersuchung durchgeführt, die ein umfassendes Bild über dessen Beschwerden gibt. Ist die Therapie für den Patienten geeignet, kann relativ schnell die Behandlung, die von allen Krankenkassen finanziert wird, begonnen werden. Der Vorteil: Die Wartezeit ist geringer als sonst üblich. Da die Studie den Standards wissenschaftlicher Forschung genügen muss, werden die therapeutische Arbeit und die Entwicklung des Patienten stärker beobachtet als im normalen Praxisalltag, was eine hohe Qualität der Behandlung sicherstellt. Mitmachen können Jugendliche und junge Erwachsene, die körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt haben, dadurch belastet und zwischen 14 und 21 Jahre alt sind.

www.traumatherapie-jugendliche.de


Eline Rimane ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der psychotherapeutischen Hochschulambulanz des Lehrstuhls für Klinische und Biologische Psychologie.

Prof. Dr. Rita Rosner ist an der KU seit 2011 Inhaberin des Lehrstuhls für Klinische und Biologische Psychologie.

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Quelle:
Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ausgabe 2/2013, Seite 20-21
Herausgeber: Der Präsident der Katholischen Universität, Prof. Dr. Richard Schenk
Redaktion: Presse- und Öffentlichkeitsreferat der KU, 85071 Eichstätt
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. November 2013