Schattenblick → INFOPOOL → SOZIALWISSENSCHAFTEN → PSYCHOLOGIE


VERBAND/161: Berufsverbot bei Depression? (BDP)


Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP)
Pressemitteilung vom 14. April 2015

Berufsverbot bei Depression?


Angesichts des vom bayrischen Innenminister Joachim Herrmann geforderten pauschalen Berufsverbots für die an einer Depression leidenden Menschen warnt der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen vor Aktionismus. "Diese Forderung klingt wohlfeil und drückt vor allem Hilflosigkeit im Umgang mit nicht zu kontrollierenden Situationen aus", erklärt BDP-Präsident Prof. Michael Krämer. "Berufsverbote bergen das große Risiko, dass Depressionen und andere psychische Erkrankungen noch stärker verheimlicht werden und daher die Chance der Heilung durch eine verfügbare und wirksame Therapie sinkt."

Deshalb fordert der Verband, dass statt uneffektiven Maßnahmen wie der Forderung nach Berufsverboten endlich die psychotherapeutische Versorgung in ausreichendem Maße sicher gestellt wird.

Der Bayrische Innenminister Joachim Herrmann hatte am Wochenende im Nachtmagazin der ARD und im Focus ein Berufsverbot für Menschen mit Depressionen gefordert.

Dazu nimmt der BDP Stellung: Den Menschen, die in verantwortungsvollen Berufen tätig sind, pauschal ein Berufsverbot bei Vorliegen einer Depression zu erteilen zu wollen, wirft viel mehr Probleme auf als es löst. Warum?

1. Nicht jeder, der im Verlauf seines Lebens einmal über einen Suizid nachgedacht hat, ist auch suizidal.

2. Bei weitem nicht jeder, der unter einer Depression leidet, beschäftigt sich mit suizidalen Gedanken oder ist aktuell suizidal.

3. Die 12-Monats-Prävalenz (d. h. Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens innerhalb eines Jahres) für Depressionen liegt für die Gesamtbevölkerung bei 9,3%. Ein Zusammenhang mit Suizidalität besteht hier nur bei einem sehr geringen Teil und die Konstellation eines erweiterten Suizids mit Fremdgefährdung ist äußerst selten. Vor diesem Hintergrund ist der Vorschlag, einen entsprechenden Prozentsatz der Angehörige dieser Berufe pauschal von einer Berufsausübung auszuschließen nicht zielführend.

4. Die Differenzialdiagnose einer akuten Suizidgefährdung ist eine der schwierigsten Aufgaben psychotherapeutischer/psychiatrischer Diagnostik. Patientinnen und Patienten sind durchaus in der Lage, eine akute Suizidneigung auch gegenüber einem erfahrenen Psychologischen Psychotherapeuten bzw. Psychiater und insbesondere gegenüber Ärzten wirksam zu verschleiern. Die mit dem Vorschlag beabsichtigte Erfassung der Risiken würde demnach ins Leere laufen. In der Folge würden nicht nur weniger Menschen erfasst werden können, sondern auch viele aus Angst vor Stigmatisierung die notwendige Hilfe nicht mehr in Anspruch nehmen. Gleiches gilt für Einschränkungen bei der so genannten Schweigepflicht für Psychotherapeuten, Psychologen und Ärzte. Erfahrungen aus den USA weisen deutlich darauf hin, dass damit die Inanspruchnahme von professioneller Hilfe sinkt.

Grundsätzlich muss man darauf hinweisen, dass bei sehr seltenen Erkrankungen schon aus methodischen Gründen die Vorhersagekraft von jeglicher körperlichen oder psychischen Diagnostik Grenzen hat und keine sicheren Ergebnisse liefern kann.

Ein Berufsverbot für Depressive in den genannten Berufsgruppen würde daher unweigerlich dazu führen, dass eine hohe Zahl von Angehörigen dieser Berufe, Lokführer, Berufskraftfahrer, Busfahrer, Straßenbahnfahrer und nicht zuletzt Piloten, von einer Berufsausübung ausgeschlossen würde, die weder für sich noch für andere ein Risiko darstellen. Ihre berufliche Existenz damit wäre jedoch zerstört.

Analog dazu müsste man dann wahrscheinlich auch für alle Angehörigen dieser Berufsgruppen, die im Verlauf ihres Lebens einmal unter einer Herz-/Kreislauferkrankung gelitten haben, ein Berufsverbot aussprechen, weil ja das Risiko bestehen könnte, dass sie im Rahmen ihrer Berufsausübung einen Herzinfarkt erleiden und dann die ihnen anvertrauten Passagiere in einen Unfall verwickeln könnten. Ähnliches könnte dann für Menschen mit Diabetes gelten, denen eine Unterzuckerung drohen könnte.

Eine Frage, die zu stellen wäre, betrifft die Definition der Gruppe der verantwortungsvollen Berufe: Handelt es sich hier nur um die von ihm in der aktuellen Situation wahrscheinlich im Focus gesehenen Piloten und ähnliche Berufe wie die genannten Berufskraftfahrer etc. oder sind dabei vielleicht auch Berufsgruppen gemeint wie etwa Ärzte, Politiker, Aufsichtsräte - alles Menschen, die bei ihrer beruflichen Tätigkeit häufig auch eine große Verantwortung tragen und Entscheidungen treffen haben, die sei es für den Einzelnen, einzelne Gruppen oder die gesamte Gesellschaft sehr weitreichende Folgen haben? Brauchen wir in diesen Bereichen etwa auch entsprechende Berufsverbote oder müssen wir als Individuen oder als Gesellschaft damit leben, dass die Vertreter dieser Berufsgruppen bei ihrer Tätigkeit ggf. durch psychische Störungen oder Belastungen beeinträchtigt sind und die Tragweite ihrer Entscheidungen vielleicht nicht übersehen oder Risiken bewusst in Kauf nehmen?

Viele der von Depressionen Betroffenen erhalten lange keine adäquate Behandlung. Der Leidensdruck ist enorm - gerade wenn die Störung unerkannt und unbehandelt bleibt.


Über den Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP):

Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP) vertritt die beruflichen und politischen Interessen der niedergelassenen, angestellten und beamteten Psychologen und Psychologinnen aus allen Tätigkeitsbereichen. Diese sind unter anderem: Gesundheitspsychologie, Klinische Psychologie, Psychotherapie, Schulpsychologie, Rechtspsychologie, Verkehrspsychologie, Wirtschaftspsychologie, Umweltpsychologie und Politische Psychologie. Der BDP wurde 1946 gegründet und ist Ansprechpartner und Informant für Politik, Medien und Öffentlichkeit. Rund 11.500 Mitglieder sind im BDP organisiert.


Hintergrundinformationen zur psychotherapeutischen Versorgung in Deutschland gibt es in diesem Interview mit Prof. Dr. Frank Jacobi.
www.report-psychologie.de/fileadmin/user_upload/Thema_des_Monats/1-15_Jacobi.pdf

*

Quelle:
Pressemitteilung 4/2015 vom 14. April 2015
Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP)
Alenka Tschischka, Pressesprecherin
a.tschischka@bdp-verband.de
Am Köllnischen Park 2, 10179 Berlin
Tel. 030 - 209 166 620
Fax: 030 - 209 166 680
a.tschischka@bdp-verband.de
Internet: www.bdp-verband.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang