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BERICHT/007: Technik, Mensch und Selbstbestimmung - das Märchen von der Netzneutralität (SB)


Tagung "(Un-)Sicherheit, (Bio-)Macht und (Cyber-)Kämpfe: Kritische Theorieperspektiven auf Technologien als Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzung"

Aus Anlaß der Schlaglichter zu "Technologiekritik und Internet-Netzpolitik, Aneignung und Materialitäten des Internets" - Teil 1 - Netzneutralität



Im vierten Panel der Frühjahrstagung dreier universitärer Einrichtungen [1] an der TU Hamburg-Harburg wurden unter der Rubrik "Schlaglichter" vier Kurzreferate zum Themenkomplex "Technologiekritik und Internet-Netzpolitik, Aneignung und Materialitäten des Internets" [2] gehalten. Sie sollen hier zum Ausgangspunkt genommen werden, um Aspekte der Vorträge und auch das, was nicht gesagt wurde, aber zum Thema beitragen könnte, zu vertiefen. Als gemeinsamen Nenner der Vorträge waren Ein- und Ausschluß, fachsprachlich die In- und Exklusion, sozialer Gruppen vom Netz durch Technologien.

Ein zentrales Narrativ in der Techniksoziologie, auf das sich Thomas Heimann in seinem Vortrag bezog, ist ausgerechnet eine Geschichte, die nicht nur widerlegt wurde, sondern darüber hinaus eine, welche die Wissenschaftler eigentlich in keinem guten Licht erscheinen läßt. Denn die Geschichte wurde oftmals verfälscht, von einer "stillen Post" spricht gar der Sozialwissenschaftler Bernward Joerges. [3]

1980‍ ‍hatte der US-Politikwissenschaftler Langdon Winner behauptet, der berühmte US-amerikanische Städteplaner Robert Moses habe in New York rund 200 Brücken über die von ihm konzipierten Parkways so niedrig bauen lassen, daß sie nur von Autos, nicht aber von Bussen passiert werden könnten. Die Moses unterstellte Absicht: Damit wolle er die vorwiegend auf den öffentlichen Busnahverkehr angewiesene schwarze Bevölkerung von New York davon abhalten, zu den Stränden von Long Island zu fahren. Die weiße Mittelschicht sollte dort unter sich bleiben.

Diese Brückenparabel hält allerdings nicht, was sie verspricht. Einige der Argumente gegen Langdon Winners Behauptung lauten: Es gab durchaus Wege außerhalb der Parkways zu den Stränden, die mit öffentlichen Mitteln erreichbar waren; die Parkways führten, wie ihr Name schon sagt, durch die Parks, folgten bewußt landschaftlichen Vorgaben und waren grundsätzlich nicht für die Benutzung durch den Berufs- und öffentlichen Nahverkehr, also nicht für Busse und Lastwagen, gedacht, sondern sollten der Entspannung dienen; die Brücken höher zu bauen hätte daher Gelder für einen unnötigen Zweck verschlungen; Moses hatte eine Bahnverbindung zu den Stränden bauen lassen. Diskriminierende Absichten lassen sich jedenfalls nicht an seinen Brücken über den Parkways festmachen.

Aber die Vorstellung, daß die Stadtplanung politischen Maßgaben folgt und daß sich das in einzelnen Bauwerken niederschlägt, wird in den Sozialwissenschaften nicht zuletzt deshalb immer wieder vorgebracht, weil sie keineswegs abwegig ist. Sucht man in Stadtplanungskonzepten nach Formen der Diskriminierung, so lassen sich allerdings treffendere Beispiele finden als ausgerechnet die Parkways von New York. Allein daß dem individuellen Fortbewegungsmittel Priorität eingeräumt und der öffentliche Nahverkehr an den Rand gedrängt wurde, hatte und hat fundamentale Auswirkungen auf die Möglichkeiten der Stadtbevölkerung, sich fortzubewegen.

Diskriminierend wirkt sich hier von vornherein der Einkommensunterschied in der Bevölkerung aus. Obwohl Henry Ford mit dem T-Modell ein Auto entwickelt hatte, das sich auch die Arbeiter in den USA in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts leisten konnten, gab es damals und gibt es heute viele Menschen, für die ein eigener fahrbarer Untersatz unerschwinglich ist. Es gibt also Stadtbewohner, die kommen aus ökonomischen Gründen nicht aus ihrem Viertel heraus. Man könnte im Sinne jenes beliebten techniksoziologischen Narrativs sagen, daß Moses' Brücken zu regelrechten Mauern erweitert wurden, aber daß diese viel schwerer zu greifen sind als handfeste architektonische Hürden. Man müßte schon das vorherrschende Wirtschaftsmodell und die damit einhergehenden Produktions- und Reproduktionsverhältnisse in Frage stellen, um die Bedingungen der ökonomischen Diskriminierung in Angriff nehmen zu können.

Dabei ist Ökonomie sicherlich nicht die einzige Kategorie zur Beschreibung, wie soziale Unterschiede manifest werden, aber eine, mit der man schon recht weit kommt. Beispielsweise sind Grundstücke in landschaftlich attraktiven Lagen teurer als Grundstücke in der Nähe von Industrievierteln oder Verkehrsknotenpunkten. Entsprechend sortieren sich die Anwohner nach reich und arm. Da in Deutschland West die Hauptwindrichtung ist, wird man kaum auf reiche Viertel stoßen, die im Osten von Industriegebieten liegen. Denn dorthin weht die schlechte Luft. Reiche Viertel bzw. Vorstädte liegen nicht immer, aber sehr häufig im Westen, wo die Luft noch nicht so verschmutzt und von städtischen oder industriellen Abgasen verpestet ist.

Heute schlagen sich politische Absichten im Städtebau sozial unter anderem in Formen nieder, die unter dem Stichwort Gentrifizierung behandelt werden: Die Aufwertung von Grundstücken und Bausubstanz durch die Vertreibung der Geringverdienenden und den Einzug der kreativen Klasse bis dahin, daß sich Investoren nach und nach die gentrifizierten Stadtviertel aneignen.

Tanja Carstensen, Susanne Schultz, Kathrin Ganz und Joscha Wullweber - Foto: © 2012 by Schattenblick

Das Internet - für die einen ein Befreiungsraum, für andere ein hegemoniales Projekt fremdnütziger Interessen Foto: © 2012 by Schattenblick

Thomas Heimann hat in seinem Kurzreferat die Brückenparabel, von der er selber sagte, daß sie widerlegt worden sei, dennoch gewählt, weil sie sich seiner Meinung nach aufs Internet anwenden läßt. Auch dort seien technische Barrieren zum sozialen Ausschluß denkbar. Mit diesem Ansatz macht er allerdings ein Faß auf, das ziemlich groß ist. Schließlich kennt das Internet viele Formen von Zensur oder Diskriminierung, also Formen der sozialen In- und Exklusion. Ein Stichwort dazu ist Netzneutralität, die auf mehreren Ebenen und auf zahlreichen Schauplätzen umkämpft ist. So berichtete die Stiftung Warentest im vergangenen Oktober, daß die Provider schnelle Internetverbindung verkaufen, ihre Zusage aber nicht unbedingt einhalten. [4] Auch wenn sich das noch nicht unbedingt diskriminierend gegen eine bestimmte Gruppe auswirkt, zeigt es grundlegend, was zwar jeder weiß, aber sich nicht unbedingt klar macht, daß die Netzgeschwindigkeit nicht immer gleich ist. Auch gaben Provider bestimmten Datenübertragungen wie beispielsweise der Internettelefonie den Vorrang vor anderen Nutzungsformen wie dem Herunterladen von Filmen. Die EU-Kommission hatte bereits im April 2011‍ ‍angekündigt, sie wolle die Vorwürfe, daß die Datenübertragung mitunter gezielt verlangsamt werde, überprüfen. [5]

Und im Mobilen Internet, das immer beliebter wird, schlägt die Ökonomie dergestalt zu, daß Flatrate-Angebote zwar ein unbegrenztes Datenvolumen anbieten, aber vertraglich geregelt ab einer bestimmten Grenze die Zugangsgeschwindigkeit der Kunden reduzieren. Da diese Speed-Drosselung bis zu 98 Prozent betragen kann, bedeutet dies faktisch Zugangssperre - es sei denn, jemand schöpft sein Guthaben nicht aus oder wechselt zu einem - in der Regel - teureren Flatrate-Anbieter.

Eine regelrechte Zensur des Internets, mit der massive technische Barrieren der sozialen Exklusion verbunden sind, findet vor allem auf staatlicher Ebene statt. Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) veröffentlicht seit einigen Jahren jeweils am 12. März zum "Welttag gegen Internetzensur" eine Liste mit Ländern, die eine exzessive Zensur der im Internet verbreiteten Inhalte betreiben. Das sind vor allem China, Iran, Birma, Nordkorea, Turkmenistan, Kuba, Saudi-Arabien, Ägypten, Usbekistan, Syrien, Tunesien und Vietnam. Eine weitreichende Zensur wird auch der Türkei und Rußland vorgeworfen.

Deutschland verbietet Websites beispielsweise mit nationalsozialistischen Inhalten, die in den USA, unbehelligt von den Behörden, betrieben werden bzw. werden könnten. Ein 2010 von der Bundesregierung gegen die Verbreitung von Kinderpornographie beschlossenes Gesetz (Zugangserschwerungsgesetz), das auf breiten Widerstand in der Öffentlichkeit und zu einer sehr erfolgreichen Bundestagspetition führte, deren Unterzeichner darauf hinwiesen, daß das Gesetz ein Türöffner für weitere zensorische Maßnahmen werden könne, wurde im Dezember 2011 wieder aufgehoben.

Es hat immer mal wieder Versuche gegeben, den Datenverkehr im Internet einzuschränken. Ebenso häufig wurden solche Ansinnen gestoppt. Beispielsweise ist vor kurzem das Stop Online Piracy Act (SOPA), ein am 26. Oktober 2011 im US-Repräsentantenhaus eingebrachtes Gesetz zur Durchsetzung von Urheberrechten, [6] gescheitert. Im Falle ihres Inkrafttretens hätte es zu erheblichen Einschränkungen der Meinungsfreiheit im Internet geführt. Am 14. Januar 2012 wurde eine offizielle Stellungnahme von drei Mitarbeitern des Weißen Hauses veröffentlicht, die sich trotz der Gefahren der Online-Piraterie gegen den Gesetzentwurf aussprachen, der Meinungsfreiheit einschränke, Sicherheitsrisiken erhöhe und die Dynamik und Innovation im Internet untergrabe. [7]

Andererseits wird in den USA ab Juli dieses Jahres eine Einschränkung des Internetverkehrs vorgenommen. Es geht dabei wieder einmal um den Schutz von Urheberrechten. Die Recording Industry Association of America (RIAA - der Verband der Musikindustrie in den USA) und die Motion Picture Association of America (MPAA - ein Verband der amerikanischen Filmproduzenten und -verleiher) haben mit allen großen US-amerikanischen Internet-Providern eine vertragliche Zusammenarbeit beschlossen. Demnach können ab 1. Juli 2012 diverse Internet-Anbieter die Aktivitäten ihrer Kunden hinsichtlich mutmaßlicher illegaler Downloads überwachen. Bei einem Verstoß soll der Anschlußinhaber automatisch eine Warn-Email erhalten. Ändert er sein Verhalten nicht, wird ihm eine zweite Email ebenfalls automatisch zugeschickt. Eine dritte Email, auf die geantwortet werden muß, folgt bei weiteren mutmaßlichen illegalen Download-Aktivitäten. Zuwiderhandlungen sollten dann mit einer Drosselung der Netzgeschwindigkeit oder einer Komplettsperrung des Internetzugangs geahndet werden. [8]

In der Praxis sind solche Maßnahmen technisch zu umgehen, aber langfristig dürfte sich der Effekt durchsetzen, daß die Zahl der illegalen Downloads sinkt. Darüber hinaus zeigt dieses Beispiel, wie sich Regierung bzw. Governance (Ordnungspolitik) heute "materialisiert": Das Internet wird eingeschränkt, aber wiederum nicht so stark, wie es manche Kritiker befürchten. In dem eben beschriebenen Beispiel wollen bestimmte gesellschaftliche Gruppen, die Inhaber von Urheberrechten, ihr Verwertungsinteresse durchsetzen. Das gelingt ihnen auch, aber keineswegs so reibungslos und weitreichend, wie sie es gerne hätten. Der Widerstand gegen ACTA, das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen), das nach Einschätzung der Kritiker sogar das bloße kostenlose Kopieren von Inhalten verbieten würde, ist hierfür ein gutes Beispiel. [9]

Bei der Frage, ob und inwiefern die Nutzung des Internets mittels Technologien eingeschränkt wird, sollte die Angabe nicht fehlen, daß von sieben Milliarden Erdenbewohnern sowieso nur 1,8 Milliarden Zugang zum Internet haben. Von diesen können laut der "PC Welt" [10] 1,7 Mrd. nicht im Netz surfen, ohne daß ihnen staatlicherseits Inhalte verwehrt werden. Beispielsweise China. Das Reich der Mitte hat eine große Mauer errichtet, die Chinese Firewall, dessen Kernstück die Deep Packet Inspection (DPI) ist. Das ist eine sehr weitgehende Form von Zensur, denn dabei öffnet die Aufsichtsbehörde die Datenpakete und überprüft sie nach unliebsamen Inhalten. Das ist so, als wenn die Post sämtliche Pakete öffnet, die sie transportieren soll. Das chinesische System kann bestimmte Adressen und Dateninhalte sperren, aber auch austauschen oder überschreiben. Selbstverständlich werden die Inhalte auch gespeichert zwecks einer möglichen späteren Auswertung. Frankreich will eine zentrale Stelle einrichten, um Webseiten sperren zu können, und in Deutschland ringt man noch mit der Vorratsdatenspeicherung und dem Spähdienst Bundestrojaner.

Zwar ist damit zu rechnen, daß die Bemühungen der Regierungen, das Internet zu regulieren, in Zukunft weiter zunehmen werden. Daß damit zugleich eine Kultur des Widerstands wächst, wird in Kauf genommen, denn es ist fraglich, ob das die Mehrheit der von den Einschränkungen Betroffenen sein wird. Dennoch wird das Netz in absehbarer Zeit nicht allzu sehr eingeschränkt. Der Grund für die relative Freizügigkeit des Netzes ist nicht etwa ein überraschender Hang der politischen Entscheidungsträger zum Anarchismus, sondern hat mit den ungeheuren Möglichkeiten zu tun, Kontrolle auszuüben und zu verankern. In der Zeit vor der Einführung des Internets und der massenhaften Verbreitung von Mobiltelefonen war die Vorstellung, daß jeder Mensch einen Chip trägt, über den er geortet werden und mit dem sein Bewegungsverhalten aufgezeichnet werden kann, Bestandteil düsterer Science-fiction-Romane. Heute ist diese Horrorvision fast verwirklicht, da beinahe alle Menschen Mobiltelefone mit sich herumschleppen und ohne ihre geliebten Kontrolleure nicht mehr aus dem Haus gehen. Das gilt für die nachwachsenden Generationen um so mehr.

Schwarze Spinne im Netz - Foto: © 2012 by Schattenblick

Netzneutralität? ... fragt sich nur, was der Konstrukteur des Netzes unter 'Neutralität' versteht Foto: © 2012 by Schattenblick

Gleichzeitig wickeln die Menschen viele Dinge via Internet ab. Man muß nur den Blickwinkel etwas verändern und schon wandelt sich diese bequeme Möglichkeit, in sozialen Netzwerken miteinander zu kommunizieren, sich Informationen zu beschaffen, einzukaufen oder sich Filme anzuschauen, in eine Infrastruktur der Überwachung, die in beinahe jeden Haushalt reicht. Und aus der Sicht der Behörden äußerst gelegen: Immer mehr Menschen können ohne die modernen Kommunikationsmittel nicht mehr leben!

Wer sich der Überwachung verweigert, erregt genau dadurch den Verdacht der Behörden. So soll sich vor einigen Jahren der Berliner Stadtsoziologe Andrej Holm, dem die Bundesanwaltschaft anlasten wollte, er sei Urheber einiger der von der sogenannten "militanten Gruppe" (mg) verbreiteten Schreiben und auch Mitglied dieser Gruppe, in der angeblich terroristische Handlungen betrieben und gutgeheißen werden, dadurch auffällig geworden sein, daß er bei einem vermeintlich konspirativen Treffen "möglicherweise" kein Handy dabei hatte. Das berichtete jedenfalls die Verteidigung Holms unter Berufung auf die Strafverfolgungsbehörden. Die Bundesanwaltschaft dagegen hat eigenen Angaben zufolge die Verabredung von Terminen über Nachrichten in anonymen Mailaccounts, die bei Besuchen in Internetcafés hinterlassen wurden, als konspirativ angesehen. [11] Holm hatte zwar "über" die mg geschrieben, aber das besagte nicht, daß er ihre Texte verfaßte. Kleines Schmankerl am Rande: In der sogenannten Militanzdebatte zu den Aktivitäten der mg hatte das Bundeskriminalamt selber kräftig mitgemischt und mindestens zwei Beiträge geliefert.

Die Möglichkeiten der Überwachung der Menschen mittels Technologien wurde mit dem Internet und der Verbreitung von Mobiltelefonen erheblich weiterentwickelt. Trifft der Bericht des investigativen Journalisten James Bamford in "Wired" [12] zu, errichtet die National Security Agency (NSA) in Utah für über zwei Milliarden US-Dollar ein riesiges Spionagezentrum, in dem sämtliche Informationen weltweit, von Google-Anfragen über Emails zu Telefonanrufen, aber auch verschlüsselte Daten, analysiert werden sollen.

Wäre einem Geheimdienstmitarbeiter vor 50 Jahren von seinen Vorgesetzten der Auftrag erteilt worden, das Konzept für ein perfektes Überwachungssystem zu etablieren, das aber von den Menschen nicht als solches wahrgenommen werden sollte, hätte er womöglich genau das erfunden, was heute vorliegt oder geplant wird. Das Verteufelte daran: Unabhängig von den Überwachungsoptionen sind Mobiltelefone und Internet wahnsinnig praktische Einrichtungen, auf die kaum jemand verzichten will. Die Falle sitzt wie angegossen. Sie kann sogar abgelegt werden, denn niemand muß ein Handy besitzen oder im Internet surfen. Der soziale Kontext sorgt jedoch für einen gewissen Druck, sich der Entwicklung nicht zu entziehen, will man nicht ins (soziale) Abseits geraten.

Summa summarum: Nicht allein in der Beschränkung, sondern auch in der Freigabe des Internets qualifiziert sich die administrative Verfügungsgewalt. Eine Beschränkung würde auf Dauer womöglich nur zu Meidmanövern der davon Betroffenen führen, die dadurch viel schwerer zu kontrollieren wären. In George Orwells Dystopie "1984" bestand der Schrecken nicht allein darin, daß der Staat (Big Brother) alles beobachtet, sondern daß die Menschen ihn erstens gar nicht mehr als allgegenwärtiger Wächter wahrgenommen und zweitens die herrschaftstabilisierenden Werte verinnerlicht haben.

Das Internet fungiert demnach zwar als Mittel der sozialen Ex- und Inklusion, wie die etwas verunglückte Brückenparabel verdeutlichen soll, aber als viel weitreichender muß die ordnungspolitische Funktion des Netzes hinsichtlich der Vereinnahmung möglichst vieler Nutzer bewertet werden. In diesem Sinne sind nicht zu niedrige Brücken das Problem, die den Internetverkehr behindern könnten, sondern es ist die Matrix selbst, durch welche die sozialen Verhältnisse gemäß den vorherrschenden Interessen gestaltet werden. Sicherlich hat es jede(r) in der Hand zu beweisen, daß sich eine emanzipatorische Position davon nicht bestimmen lassen muß.


Fußnoten:

[1]‍ ‍Die Frühjahrstagung der Sektion "Wissenschafts- und Technikforschung" der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS), des Arbeitskreises "Politik, Wissenschaft und Technik" der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) und der Arbeitsgruppe Arbeit-Gender-Technik der TU Hamburg-Harburg (TUHH) fand am 23./24. März 2012 an der TUHH unter dem Titel "(Un-)Sicherheit, (Bio-)Macht und (Cyber-)Kämpfe: Kritische Theorieperspektiven auf Technologien als Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzung" statt.

[2]‍ ‍Thomas Heimann (Hamburg), Silke Meyer (Berlin), Sigrid Kannengießer (Bremen), Corinna Bath (Berlin)

[3]‍ ‍Bernward Joerges: "Die Brücken des Robert Moses. Stille Post in der Stadt- und Techniksoziologie", in: Leviathan, 27 (1), 1999, S. 43-63.
http://www2000.wzb.eu/alt/met/pdf/stille_post.pdf

[4]‍ ‍"Stiftung Warentest Provider tricksen bei Internetgeschwindigkeit", Focus Online, 8. Oktober 2011.
http://www.focus.de/digital/internet/stiftung-warentest-provider-tricksen-bei-internetgeschwindigkeit_aid_671741.html

[5]‍ ‍"Digitale Agenda: Kommission bekräftigt ihre Entschlossenheit, die praktische Anwendung der Grundsätze des offenen Internets sicherzustellen", IP/11/486, 19. April 2011.
http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/11/486&format=HTML&aged=0&language=DE&guiLanguage=en

[6]‍ ‍"112TH CONGRESS, 1ST SESSION. To promote prosperity, creativity, entrepreneurship, and innovation by combating the theft of U.S. property, and for other purposes", eingebracht von dem Abgeordneten Smith aus Texas und anderen Abgeordneten, 26. Oktober 2011.
http://judiciary.house.gov/hearings/pdf/112%20HR%203261.pdf

[7]‍ ‍"OFFICIAL WHITE HOUSE RESPONSE TO Stop the E-PARASITE Act. and 1 other petition. Combating Online Piracy while Protecting an Open and Innovative Internet", Victoria Espinel, Aneesh Chopra und Howard Schmidt. Aus dem Netz abgerufen am 30. April 2012.
https://wwws.whitehouse.gov/petition-tool/response/combating-online-piracy-while-protecting-open-and-innovative-internet

[8]‍ ‍"RIAA chief: ISPs to start policing copyright by July 1", Greg Sandoval, 14. März 2012.
http://www.onlinewelten.com/link.php?url=http%3A%2F%2Fnews.cnet.com%2F8301-31001_3-57397452-261%2Friaa-chief-isps-to-start-policing-copyright-by-july-12

[9]‍ ‍Näheres zu ACTA hier im Schattenblick unter:
BERICHT/002: Technik, Mensch und Selbstbestimmung - Die Netzbewegung mobilisiert (SB)
http://schattenblick.com/infopool/sozial/report/sorb0002.html
und
INTERVIEW/002: Technik, Mensch und Selbstbestimmung - Kathrin Ganz (SB)
http://schattenblick.com/infopool/sozial/report/sori0002.html

[10]‍ ‍"ÜBERWACHUNGSAPPARAT Staatliche Zensur des Internets greift um sich", PC Magazin, 12. September 2011.
http://www.pc-magazin.de/ratgeber/staatliche-zensur-des-internets-greift-um-sich-1152897.html

[11]‍ ‍"BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS StB 34/07 vom 18. Oktober 2007 in dem Ermittlungsverfahren gegen ... wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung", aus dem Netz abgerufen am 30. April 2012.
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&Datum=2007&Sort=3&anz=154&pos=0&nr=41487&linked=bes&Blank=1&file=dokument.pdf

[12]‍ ‍"The NSA Is Building the Country´s Biggest Spy Center (Watch What You Say)", James Bamford, Wired, 15. März 2012.
http://www.wired.com/threatlevel/2012/03/ff_nsadatacenter/all/1

1.‍ ‍Mai 2012