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BERICHT/046: Die Enkel der Frankfurter Schule - der Wecker ist gestellt ... (SB)



Auf der Suche nach Gegenöffentlichkeit
Kongress der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NGfP) vom 8. bis 11. März 2018 in Berlin macht die in Deutschland heute vorherrschende Paralyse der Kritik zum Ausgangspunkt.


Titelseite des Programmflyers -Quelle: Neue Gesellschafat für Psychologie (NGfP)

Quelle: Neue Gesellschafat für Psychologie (NGfP)

Die Diagnose ist niederschmetternd: 50 Jahre nach 1968 sieht die Neue Gesellschaft für Psychologie (NGfP) wieder eine "bleierne Zeit gekommen, die keine Alternative jenseits der neoliberal genannten kapitalistischen Entwicklung vorstellbar macht". Sie gibt ihrem diesjährigen Kongress den bei Marcuse entlehnten Titel "Die Paralyse der Kritik: Eine Gesellschaft ohne Opposition". Dass sie darunter nicht das Ende der Geschichte versteht, sondern aus der Analyse dringenden Handlungsbedarf ableitet, macht das Programm des Kongresses deutlich. "Der Kongress will keine Hommage an Marcuse sein, keine Historiker-Veranstaltung", sagt Prof. Dr. Klaus-Jürgen Bruder, erster Vorsitzender der NGfP. "Als politische Psychologen, die wir hier und heute leben und als Intellektuelle Verantwortung tragen, den Zustand der Oppositionslosigkeit zu beenden, schauen wir auf die Gegenwart und versuchen, aus dem Vergleich mit der Lage 1968 Handlungsoptionen für die Herstellung einer Gegenöffentlichkeit abzuleiten."

Für dieses Ziel gelang es, eine große Zahl von Referenten aus Wissenschaft und Praxis sowie aus verschiedenen Berufsgruppen zu gewinnen. Zu ihnen gehört der Arzt und Historiker Karl-Heinz Roth. Er wird die - wie er in seinem Abstract schreibt - wesentlichen Aspekte der konterrevolutionären Metabolisierungsprozesse seit 1968 beschreiben, die verfeinerte repressive Toleranz, den autoritären Umbau der politischen Regulationssysteme und am Ende trotz all dieser Widrigkeiten einige Thesen zu der Perspektive einer antisystemischen Alternative präsentieren.

Mit ihrem Vortrag ganz nah an der Gegenwart ist Dr. Elke Stevens, die im Auftrag des Grundrechtekomitees den G20-Gipfel in Hamburg beobachtet hat und seit vielen Jahren für die Wahrung des Rechts auf Versammlungsfreiheit streitet. Sie wird beim Kongress schildern, wie dieses im Verlauf von Jahrzehnten immer mehr ausgehöhlt worden ist, wie die Polizei mit riesigen Aufwand für die Öffentlichkeitsarbeit die Deutungshoheit über die Ereignisse in Hamburg aber auch bei anderen vergleichbaren Veranstaltungen erobert hat, wie sie aufgerüstet wurde und wie Proteste dadurch immer mehr zu einem Kampf "David gegen Goliath" geworden sind.

Klaus-Jürgen Bruder und Dr. Christoph Bialluch haben ihren Vortrag mit einem Wort von Derrida überschrieben. Der Intellektuelle von morgen, so zitieren sie ihn in ihrem Abstract, "werde lernen müssen zu leben, indem er lernt sich mit dem Gespenst zu unterhalten, ihm das Wort zu lassen und sei es auch in sich selbst, im anderen, dem anderen in sich". Im Detail befassen sie sich mit der Diagnose für den Zustand der Gesellschaft zur Zeit Marcuses und heute sowie mit den Verhallen der "radikal"-demokratischen Forderungen und Versprechungen von damals. Sie schauen auf die Konterrevolution danach, der Resignation folgte und bekennen sich zu Hölderlins Appell, "wieder ganz von vorn anzufangen".

An den Nachmittagen konkurrieren zum Teil parallel stattfindende Panels, die sich u.a. der Kritik des Neoliberalismus, Utopien und oppositionellen Subjekten widmen. Es gilt sich zu entscheiden zwischen Dr. Josef Berghold, der Überlegungen zur atemberaubenden Lähmung der politischen Phantasie anstellt, und Prof. Dr. Burkhard Bierhoff, der versucht, Befreiungspotenziale und -tendenzen von heute neu zu beurteilen; zwischen Dr. Regina Girod, die sich der Frage widmet, wie man heute überhaupt eine Oppositionelle wird und Dr. Christa Händle, die zum Widerstand gegen die Ökonomisierung des Privaten aufruft. Zur Diskussion herausgefordert mag sich auch mancher Teilnehmer fühlen, wenn Daniel Jakubowski die Frage stellt, ob es Kritik im virtuellen Diskurs gibt, Dr. Mechthild Klingenburg-Vogel über den Umgang mit Ohnmacht spricht und Anton Perzy zum organisierten Widerstand aufruft, ohne den es keine Opposition geben kann.

Der Kongress findet vom 8. bis 11. März 2018 in Berlin statt. Das komplette Programm ist auf der Webseite der NGfP veröffentlicht
(https://www.ngfp.de/wp-content/uploads/2017/12/GoO_Programm.pdf)

Anmeldungen online unter:
https://www.ngfp.de/kongresse/ngfp-kongress-2018/

Am Anfang des Kongresses steht eine öffentliche Veranstaltung, bei der der Kabarettist Arnulf Rating Ausschnitte aus seinem aktuellen Programm "Tornado" zeigen wird.

27. Februar 2018


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