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BERICHT/049: Die Enkel der Frankfurter Schule - Bewußtseinsveränderung ... (SB)



Transformation statt Revolution - Kontrastprogramm mit dem Ökonomen und Psychiater Prof. Stefan Brunnhuber auf dem Kongress der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NGfP) in Berlin

In seinem Buch "Die Kunst der Transformation - Wie wir lernen die Welt zu verändern." analysiert Stefan Brunnhuber, welche (sozial-)psychologischen Mechanismen diese Transformation verhindern und welche sie fördern. Er zeigt neue Wege auf, wie die Gesellschaft seines Erachtens wirklich verändert werden kann. Kostproben daraus lieferte Brunnhuber, der auch Mitglied des "Club of Rome" ist, während des Kongresses der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NGfP) in Berlin.

Die Gesellschaft ohne Opposition, von der die NGfP im Titel ihres Kongresses spricht, besteht seiner Meinung nach aus veränderungsresistenten Individuen. Veränderung sei aber erforderlich und machbar. Allerdings unterscheidet sich sein Weg stark von dem im gleichen Panel referierenden Prof. Friedrich Voßkühler (*), und das hat ganz sicher nichts mit dem Altersunterschied zwischen beiden Referenten zu tun.

Auch Brunnhuber hat eine Vision: "Wenn es uns gelänge, die richtigen Gesetze und Regeln aufzustellen, können wir die Transformation schaffen. Jedoch werden wir nur dann nachhaltig zusammenleben können, wenn wir anfangen, die psychologischen Realitäten anzuerkennen, die uns alle ständig antreiben und umgeben." Mit Realitäten meint er nicht die herrschenden Produktionsverhältnisse, nicht die kapitalistische Gesellschaftsordnung. Er meint den Klimawandel und damit verbunden die Verschwendung der Ressourcen, die Finanzkrisen und andere Dinge mehr. "Das innere Bild, das wir von der Wirklichkeit haben, und die reale Welt fallen immer weiter auseinander. Um die Unsicherheiten, unbequemen Wahrheiten und Widersprüche auszuhalten, erzählen wir Geschichten, die unser Gewissen beruhigen: Vielleicht ist es doch alles nicht so schlimm. Die Statistik ist gefälscht. Oder: Mal sehen, was die anderen so machen. Damit wird das aktuelle Verhalten bestätigt, aber nicht verändert."

Diese Geschichten seien durch das westliche Wohlstandsmodell geprägt, das die mediale und parteipolitische Aufmerksamkeit tagtäglich bestimmt. "Jedem ist klar, dass unendliches Wachstum in einer endlichen Welt nicht möglich ist. Doch es wird immer wieder das Substituts-Argument vorgebracht. Demnach würde zusätzliches Wachstum über eine gesteigerte Produktivität neue Technologien ermöglichen, die effizienter sind und damit den Spielraum des Klimawandels hinauszögern. Das ist aber eine Illusion. Psychologen nennen es eine Wachstums-Illusion."

Tatsächlich sind zwei Prozent Wachstum in den OECD Ländern heute vielmehr als die acht bis zehn Prozent in den 50er und 60er Jahren. Wir wachsen exponentiell. Das wissen wir spätestens seit der Veröffentlichung der Studie über die Grenzen des Wachstums 1972. Seitdem habe sich laut Brunnhuber viel verändert. "Wir leben im Zeitalter des Menschen. Im Jahre 2000 hat der niederländische Chemiker und Atmosphärenforscher Paul Crutzen den Begriff Antropozän geprägt. Das bedeutet, dass wir erstmals in einer Epoche der Weltgeschichte leben, in dem der Mensch als Spezies die geologischen Zusammenhänge für die Zukunft kausal bestimmt. Die Wissenschaft hat mittlerweile neun solcher Grenzen aufgezeigt, innerhalb derer wir uns eigentlich ökologisch und geoökologisch bewegen müssten, um innerhalb des Nachhaltigkeitskorridors zu bleiben. Drei von neun haben wir bereits überschritten und es ist relativ unrealistisch, dass wir mit einem expansiven Wachstumspfad innerhalb des Korridors bleiben. Betrachtet man die internationalen Zahlen hinsichtlich der CO2 Belastungen bis ins Jahr 2050, müssten wir als Weltgemeinschaft diese Belastung um 50 Prozent bis ins Jahr 2050 senken. Wenn wir aber gleichzeitig bedenken, dass sich in den nächsten Jahren die globale Mittelschicht verdreifachen wird, ist das völlig abenteuerlich."

Politiker und Ingenieurwissenschaftler berufen sich Brunnhuber zufolge gern auf Technologien und argumentieren: Wenn wir alternative erneuerbare Energien einsetzen, dann gelingt uns nicht nur die Energiewende, sondern auch ein nachhaltiges Zusammenleben im 21. Jahrhundert. "Das ist falsch. Es gibt derzeit auf der Welt keine einzige Technologie, die eine C02 Senke darstellt, und selbst Wirtschaftsmodelle wie "Cradle to Cradle" (Vision einer abfallfreien Wirtschaft) ignorieren den enormen Energiebedarf, der beim Umbau der Industrie oder der Landnutzung entsteht. Erschwerend komme der Rebound-Effekt hinzu. Der bezeichnet den mengenmäßigen Unterschied zwischen den möglichen Ressourceneinsparungen, die durch bestimmte Effizienzsteigerungen entstehen und den tatsächlichen Einsparungen. "Immer dann, wenn neue Technologien auf dem Markt erscheinen, die effizienter sind, wie zum Beispiel ein Drei-Liter Auto gegenüber einem Sechs-Liter Auto, passiert Folgendes: Wir verwenden das ersparte Geld nicht etwa dazu, nachhaltiger zu leben, sondern in der Regel fahren wir dann mehr Auto und steigern die Mobilität. Solche Rebound-Effekte sind empirisch gut untersucht. Es gibt systematisch ungefähr sechs verschiedene Rebound-Effekte. Im Extremfall können diese sogar so weit führen, dass der Rebound die Einspareffekte, die durch erneuerbare Technologien in den Prozess implementiert werden, übersteigt."

Nachhaltigkeit im Zeitalter des Menschen heißt für Brunnhuber, ein bewusstes Leben innerhalb von äußeren und inneren Grenzen zu führen. Äußere Grenzen seien uns durch planetarische Grenzen wissenschaftlich vorgegeben. Darüber gebe es einen robusten Konsens. Die inneren Grenzen seien uns gegeben durch die Art und Weise, wie wir denken, wie wir wahrnehmen und welche Entscheidungen wir treffen. Er ist optimistisch, dass die Transformation geschafft und die Erde gerettet werden kann; vorausgesetzt, soziale und spirituelle Dimensionen würden mitgedacht. Nachhaltigkeit ohne Veränderung im Bewusstsein und damit eine Veränderung der Entscheidungen und des Denkens werde nicht möglich sein. "Die Idee der Standardargumente, wir wachsen und verteilen um und implementieren erneuerbare Energien ist uns sympathisch, weil es auf der Verhaltensebene den Vorteil mit sich bringt, dass sich niemand verändern muss. Ich glaube, dass der Mensch extrem anpassungsfähig, aber träge ist. Doch wir brauchen eine Debatte zur wirklichen Transformation und Veränderung unseres Bewusstseins. Er ist anscheinend überzeugt, das Marx sich irrt wenn er schreibt: "Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt."


Anmerkung:
(*) siehe BERICHT/048: Die Enkel der Frankfurter Schule - Konfrontationseinbrüche ... (SB)

18. März 2018


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