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GESELLSCHAFT/206: Alte und neue Generation - Schein und Zeit (DJI)


DJI Bulletin 2/2009, Heft 86
Deutsches Jugendinstitut e.V.

Das Generationen-Geheimnis
Schein und Zeit

Von Andreas Lange


Das Gerede über den Kampf zwischen Alt und Jung verschleiert ein drängendes Problem unserer Gesellschaft: die soziale Ungleichheit. Wer von dem Ablenkungsmanöver profitiert und warum die Diskussion über eine Neugestaltung des Lebenslaufes überfällig ist.


Seit langer Zeit taucht das Thema eines Konfliktes, zuweilen eines Kriegs zwischen der »alten« und »neuen« Generation auf, mit ausgeprägten Konjunkturen in Zeiten rascher sozialer Umbrüche (Fietze 2009). Es dominieren Szenarien, welche die Konsequenzen der demografischen Alterung der Gesellschaft drastisch und mit einer reichen Metaphorik, bis hin zur »tickenden Zeitbombe« ausmalen (Bräuninger/Lange/Lüscher 1998). Wurde dies lange Zeit vor allem aus Position der Älteren vorgebracht, so setzt aktuell und öffentlichkeitswirksam der junge Politik- und Sozialwissenschaftler Wolfgang Gründinger (Jahrgang 1984) mit seinem Buch »Aufstand der Jungen. Wie wir den Krieg der Generationen vermeiden können« einen markanten Gegenakzent.

Wolfgang Gründinger nimmt die Generationendiskurse in ihren vielfältigen Schattierungen in seine Darstellung auf, um sich selbst in eine vermittelnde Position zu platzieren - ausdrücklich zwischen Dramatisierung und Verharmlosung des Verhältnisses von Alt und Jung. Allerdings spielt er im Verlauf seines Buches immer wieder denjenigen in die Hände, die unter dem Deckmantel von »Generationengerechtigkeit« Arbeitsplätze noch stärker deregulieren und noch mehr Sozialabbau betreiben wollen. So heißt es unter der provokanten Zwischenüberschrift »Senioritätsprivilegien: Sitzprämien für Alte«: Ältere bekommen mehr Lohn, genießen einen deutlich besseren Kündigungsschutz, haben mehr Urlaub und müssen weniger Arbeitsstunden pro Wochen leisten als ihre jüngeren Kollegen, obwohl alle die gleiche Arbeit erledigen. Das ist nicht fair gegenüber den Jungen, die sich eine Existenz aufbauen müssen, die vielleicht eine Familie gründen wollen und die sichere Perspektiven für ihr Leben brauchen (Gründinger 2009, S. 197). Als typisches Muster fällt die dichotome Gegenüberstellung der Generationen als solche ohne Binnendifferenzierung auf, die hier in Anschlag gebracht wird. Ferner wird mit unspezifischen Mengenprädikaten wie »mehr« und »weniger« operiert. Damit steht dieses Werk von Gründinger nicht alleine in der Publikationslandschaft.


Zwischen Alarmismus und Aufklärung

Es ließen sich viele Beispiele für diese Inszenierungsformate beibringen, insbesondere auch für die permanente Verquickung der Argumentationen über die Beziehungen der Generationen in Familien mit den bevölkerungswissenschaftlichen Befunden des Geburtenrückgangs und des Alterns. Typisch für die öffentliche Auseinandersetzung mit dem demografischen Wandel sind Krisen- und Katastrophenszenarios (Barlösius 2007). Eine wichtige Aufgabe von kritischen Auseinandersetzungen mit dem »Alarmismus« der Bevölkerungs- und Generationendebatten (Holland-Cunz 2007) ist es, deutlich zu machen, dass in höchstem Maße individualisiert und moralisiert wird. Die einzelnen Menschen und Familien sollen den gesellschaftlichen Wandel in Eigenregie bewältigen und dies möglichst so, dass sie die immer knapper werdenden Ressourcen des Staates und des Gemeinwesens schonen.

Spätestens dann, wenn es um die Ressourcen geht, wird klar, dass die Beschwörung des Generationenkriegs ein wohlfeiles Mittel darstellt, um von Schieflagen in der Verteilung von Geld, Besitz, Macht und Einfluss abzulenken. Mottos wie mehr Generationengerechtigkeit, Familienfreundlichkeit und vor allem Nachhaltigkeit dienen nicht selten dazu, die Privatisierung der Sozialversicherungen, überhaupt mehr Eigenleistungen und die Bestrafung der Kinderlosen zu fordern.

Vergegenwärtigt man sich dies, dann wird eine zentrale Funktion vieler Debatten und Diskurse über Demografie, Generationengerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Familien-Ausbeutung hinsichtlich ihres Verhältnisses zur sozialen Polarisierung zwischen (Kinder-)Armut und Reichtum deutlich. Sie suggerieren, dass der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, zwischen armen und reichen Bevölkerungssegmenten, durch einen neuen Widerspruch, nämlich den zwischen Jung und Alt, abgelöst wird und der Klassenkampf einem Krieg der Generationen weicht (Klundt 2007). Dem ist aber entgegenzusetzen: »Die soziale Polarisierung, Folge der Globalisierung ... wirkt sich auf jede Altersgruppe gleich aus; Armut geht mit wachsendem Wohlstand und vermehrtem Reichtum einher ...« (Butterwegge 2009, S. 221).


Reiche werden reicher, Arme bleiben arm

Konfrontiert man also die diskursive Konstruktion der sich scheinbar gegenüber stehenden Generationen, die um begrenzte Ressourcen ringen, mit den Befunden der soziologischen Analyse der aktuellen gesellschaftlichen Ressourcenverteilungen, dann wird deutlich: Schlagwörter wie »Generationengerechtigkeit« führen die soziale Ungleichheit auf ein Verhältnis von formalen Altersgruppen zurück und reduzieren damit deren komplexes Zustandekommen. Der Berliner Soziologe Martin Kohli (2009) hält demgegenüber fest, dass Generationenungleichheit und Klassenungleichheit keine unabhängigen Konfliktlinien bilden; es geht vielmehr um die vertiefende Erforschung ihrer Wechselwirkungen. Analysen des sozio-ökonomischen Panels (SOEP) und des Alterssurveys liefern deutliche Hinweise darauf, dass die schon bestehende soziale Ungleichheit durch Generationentransfers in Form von Schenkungen und Erbschaften nicht nur im Sinne eines Matthäus-Effekts (»Wer hat, dem wird gegeben«) reproduziert (Künemund/Vogel 2008, S. 229), sondern eventuell zu einer weiterreichenden Polarisierung führen könnte. »Wer maximal über einen Hauptschulabschluss verfügt und damit beispielsweise am Arbeitsmarkt häufiger mit Problemen rechnen muss, hat nicht nur in der Vergangenheit wenig geerbt, sondern erwartet auch zukünftig erheblich seltener Vermögenszuwächse. Schichthöhere Eltern können ihre Kinder hingegen lebenslang wesentlich stärker unterstützen, als dies bei Müttern und Vätern mit geringen Ressourcen der Fall ist« (Schupp/Szydlik 2004, S. 262).

Es sind also Überlegungen notwendig, wie Bedingungen geschaffen werden können, damit die gesellschaftlich erwünschten und auch geschätzten Generationenbeziehungen, nicht zuletzt auch zwischen erwachsenen Familienmitgliedern, aktiv unterstützt und gefördert werden können.

Generationenbeziehungen sind eingebettet in einen ganzen Kranz von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Vorstellungen von »guten« und »gelingenden« Relationen zwischen Jung und Alt. Das Potenzial unterschiedlicher generationaler Perspektiven und Erfahrungen ist umso wichtiger einzuschätzen, als sich aktuelle Prozesse sozialen Wandels vor allem als Beschleunigung deuten lassen. Ein permanenter Dialog der Generationen trägt dazu bei, sozialen Wandel produktiv zu bewältigen - Momente der Tradition mit denjenigen von Innovation zu vermitteln und auszuhandeln.

Als maßgebliche Ressourcen zur Realisierung des Dialogs der Generationen sind Zeit und Aufmerksamkeit zu nennen. Beide Ressourcen, so die These, verknappen sich derzeit tendenziell aufgrund sozioökonomischer Entwicklungen: Die Beschleunigungskräfte der Modernisierung höhlen das Grundversprechen der Moderne auf ein nach eigenen Maßstäben selbstbestimmtes Leben aus. Viele Akteure machen die Erfahrung, dass sie ihr Leben und die sozialen Verhältnisse weniger gestalten können und dass sie den von ihnen selbst teilweise mit produzierten Zwängen ohnmächtig gegenüberstehen (Rosa 2009). Diejenigen Menschen, die Erwerbsarbeit haben, arbeiten länger an allen möglichen Orten und können sich oftmals auch in ihrer vermeintlichen Freizeit nicht mental und emotional von ihrer Arbeit lösen. Dass dieser Sachverhalt die intergenerationalen Kontakte wesentlich tangiert, dürfte auf der Hand liegen.


Längere und flexiblere Arbeitsphasen

Will man, wie es immer wieder programmatisch verlautbar wird, mehr Zeit für Generationenbeziehungen ermöglichen, dann müssen auf der Ebene des Alltags wie auf der Ebene des Lebenslaufs die Weichen anders gestellt werden. Zum einen ist offensichtlich, dass der Alltag für viele Menschen ein anstrengender Balanceakt ist und es, besonders für Teilgruppen wie Paare Hochqualifizierter und Alleinerziehende, forcierte Zeitzwänge und Zeitnöte gibt (Jurczyk 2009).

Zum andern ist es offensichtlich, dass die starre Dreiteilung klassischer Lebensverläufe, die das Lernen in der ersten Lebensphase, das Arbeiten in der Mitte des Lebens und die Freizeit in den späten Jahren konzentriert, schon heute nicht mehr zeitgemäß ist. Gegenwärtig sind in Deutschland die Ausbildungszeiten lang, der Weg in das Erwerbsleben ist bisweilen steinig. Menschen mittleren Alters, also zwischen 30 und 50 Jahren, sind durch die gleichzeitigen Anforderungen des Familienlebens und der Erwerbstätigkeit in einem sich verändernden Arbeitsmarkt nicht selten überlastet.

Wenn dagegen die Arbeitsleistung gleichmäßiger über den Lebenslauf verteilt würde, wäre viel mehr in einem langen Leben zu erreichen: Bildung, Arbeit, Freizeit, Familie und soziales Leben ließen sich freier und flexibler nach Lebensphasen gewichten. Die Sachverständigenkommission des 7. Familienberichts (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2006) hat hierzu beispielsweise das Instrument der Optionszeiten vorgeschlagen - Zeiten, die zum Zwecke der Erziehung, der Weiterbildung, aber auch der intensiven Pflege der eigenen Eltern steuerfinanziert genommen werden können. Eine solche innovative Lebenszeitpolitik ist auch ein Beitrag zu einer »Generationenpolitik« (siehe DJI Bulletin Plus). Verlässliche Zeiträume für intergenerativen Austausch zu schaffen, wäre zwar nicht deren einziger, aber doch ein wichtiger Baustein für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für intergenerationale Beziehungen - innerhalb wie auch außerhalb von Familien. Diese innovativen Elemente einer Lebenszeitpolitik werden aber nur dann greifen können, wenn gleichzeitig die soziale Ungleichheit durch politische Maßnahmen abgemildert wird. Dabei müsste unter gerechtigkeitstheoretischen Gesichtspunkten auch über eine stärkere Belastung sozioökonomisch gut ausgestatteter Bevölkerungsgruppen nachgedacht werden.


Kontakt: lange@dji.de

Literatur :

Barlösius, Eva (2007): Die Demographisierung des Gesellschaftlichen. Zur Bedeutung der Repräsentationspraxis. In:

Barlösius, Eva / Schiek, Daniela (Hrsg.). Demographisierung des Gesellschaftlichen. Analysen und Debatten zur demographischen Zukunft Deutschlands. Wiesbaden, S. 9-34

Bräuninger, Bettina / Lange, Andreas / Lüscher, Kurt (1998): »Alterslast« und »Krieg zwischen den Generationen«? Generationenbeziehungen in aktuellen Sachbuchtexten. Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, Heft 1/1998, S. 3-17

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2006): Familie zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit. 7. Familienbericht. Berlin: BMFSJ

Butterwegge, Christoph (2009): Sozialstaat, demografischer Wandel und Generationengerechtigkeit - Betrachtungen aus der Perspektive einer kritischen Politikwissenschaft. In: Künemund, Harald / Szydlik, Marc (Hrsg.). Generationen. Multidisziplinäre Perspektiven. Wiesbaden, S. 209-228

Fietze, Beate (2009): Historische Generationen. Über einen sozialen Mechanismus kulturellen Wandels und kollektiver Kreativität. Bielefeld

Gründinger, Wolfgang (2009): Aufstand der Jungen. Wie wir den Krieg der Generationen vermeiden können. München

Holland-Cunz, Barbara (2007): Alarmismus. Die Struktur der öffentlichen Debatte über den demographischen Wandel in Deutschland. In: Auth, Diana / Holland-Cunz, Barbara (Hrsg.): Grenzen der Bevölkerungspolitik. Strategien und Diskurse demographischer Steuerung. Opladen, S. 63-79

Jurczyk, Karin (2009): Familienzeit - knappe Zeit? Rhetorik und Realitäten. In: Heitkötter, Martina / Jurczyk, Karin / Lange, Andreas / Meier-Gräwe, Uta. (Hrsg.). Zeit für Beziehungen? Zeit und Zeitpolitik für Familien. Opladen, S. 37-66

Kohli, Martin (2009): Ungleichheit, Konflikt und Integration - Anmerkungen zur Bedeutung des Generationenkonzepts der Soziologie. In: Künemund, Harald / Szydlik, Marc (Hrsg.). Generationen. Multidisziplinäre Perspektiven. Wiesbaden, S. 229-236

Klundt, Michael (2007): Von der sozialen zur Generationengerechtigkeit? Polarisierte Lebenslagen und ihre Deutung in Wissenschaft, Politik und Medien. Wiesbaden

Künemund, Harald / Vogel, Claudia (2008): Erbschaften und soziale Ungleichheit. In: Harald Künemund / Schroeter, Klaus R. (Hrsg.). Soziale Ungleichheiten und kulturelle Unterschiede in Lebenslauf und Alter. Wiesbaden, S. 221-231

Rosa, Hartmut (2009): Kritik der Zeitverhältnisse. Beschleunigung und Entfremdung als Schlüsselbegriffe der Sozialkritik. In: Jaeggi, Rahel (Hrsg.): Was ist Kritik? Frankfurt am Main, S. 23-54

Schupp, Jürgen / Szydlik, Marc (2004): Zukünftige Vermögen - wachsende Ungleichheit. Generation und Ungleichheit. Opladen, S. 243-264


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Quelle:
DJI-Bulletin Nr. 2/2009, Heft 86, S. 7-9
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2009