Schattenblick →INFOPOOL →SOZIALWISSENSCHAFTEN → SOZIOLOGIE

GESELLSCHAFT/214: Schwarze Schafe als Sündenböcke (planet)


planet - ZEITUNG DER GRÜNEN BILDUNGSWERKSTATT # 58
Juni-August 2009

Schwarze Schafe als Sündenböcke

Von Katya Buchleitner


Gefängnis droht als Strafe für abweichendes Verhalten. Es werde so Gerechtigkeit geübt - heisst es. Bei näherer Betrachtung wird klar, dass hier gesellschaftliche Probleme individualisiert und weggesperrt werden.


Am 1. März 2008 befanden sich in den insgesamt 28 österreichischen Justizanstalten 8.600 Personen in Haft. Rund 5% der derzeitigen InsassInnen sind Frauen, circa 3% jugendliche StraftäterInnen zwischen dem 14. und 18. Lebensjahr und ungefähr 8% sind junge Erwachsene zwischen dem 18. und 21. Lebensjahr. Soweit die Angaben von http://strafvollzug.justiz.gv.at.

Was sind allerdings die Realitäten hinter diesen Zahlen? Einerseits existiert die Idee, dass Gefängnisse der Gesellschaft zu Gerechtigkeit verhelfen. Zugrunde liegt dem ein Weltbild, in welchem Recht und Unrecht normiert sind und all jene, die gegen diese Normen verstoßen, bestraft werden müssen. Andererseits verstecken sich hinter diesen Zahlen die Lebensgeschichten von Menschen und damit die Frage, wem es nun tatsächlich hilft Individuen für einen bestimmten Zeitraum aus der Gesellschaft auszuschließen.


Besserungsanstalt

Die ins Treffen geführten Argumente für die Existenz von Gefängnissen sind vielfältig: Schutz der Gesellschaft durch Verhinderung erneuter Straffälligkeit, Bestrafung, Resozialisierung, Einsicht durch Rückzug aus der Gesellschaft und schließlich Gerechtigkeit. Zwei weniger häufig genannte Gründe für Gefängnisse sind Abschreckung und wirtschaftlicher Nutzen. Abschreckung insofern, dass jenen, die dem Gesetz nicht gehorchen, Freiheitsentzug droht. Wirtschaftlicher Nutzen im Sinne, dass nicht nur große Konzerne von Gefängnissen profitieren, da diese Institutionen zum einen verlässliche Abnehmer großer Mengen von Gütern und Lebensmittel sind und gleichzeitig die möglicherweise preiswerteste Quelle billiger Arbeitskraft im Inland. (So wirbt eine Online-Broschüre des Justizministeriums mit dem Titel "Österreichische Justizanstalten - Ihre Wirtschaftspartner" um Unternehmen, die den Justizanstalten Aufträge geben sollen.)

Was bewirkt mehrmonatiger oder langjähriger Gefängnisaufenthalt bei den InsassInnen? Die Wahrscheinlichkeit, dass Häftlinge im Gefängnis, der "Hochschule des Verbrechens" wie es manchmal bezeichnet wird, mehr über den Gebrauch von Drogen und das Begehen von Verbrechen lernen als irgendwo anders, kann nicht geleugnet werden. Ebenso offensichtlich ist die Tatsache, dass das Eingesperrt-Sein in den allermeisten Fällen Frustration und Aggression hervorruft und somit den Menschen, die Verbrechen begangen haben, mehr Schaden zufügt anstatt zu ihrer Läuterung beizutragen.

Eine langfristige Haft hat unterschiedliche negative Konsequenzen. Zum einen ist der Entzug von Eigenverantwortung eine gängige Praxis. Die InsassInnen haben kein Mitbestimmungsrecht über ihren Tagesablauf, keine Bewegungsfreiheit und ebenso wenig die Freiheit, ihre Beziehungen zu nahe stehenden Menschen nach ihren Bedürfnissen zu gestalten. Telefonats- und Besuchszeiten werden von der Institution bestimmt und überwacht. Einerseits wird ihnen in den gefängnisinternen, zumeist sehr eintönigen Arbeiten, wie beispielsweise Kuvertieren, Falten oder Mülltrennen, "Verantwortung" übertragen. Andererseits wird ihnen die Verantwortung für die kleinsten, alltäglichen Entscheidungen aus der Hand genommen.

All das, um sie eines Tages relativ unvorbereitet als "gebesserte, verantwortungsvolle" BürgerInnen zurück in eine Gesellschaft zu stoßen, von der sie jahrelang isoliert wurden? Wie kann jemand lernen Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen und sich selbst sowie die Mitmenschen zu respektieren, in einer Gefängnisinstitution ohne Respekt und Wertschätzung den InsassInnen gegenüber?


Reform oder abschaffen

Eine weitere Konsequenz langfristiger Haft kann sein, dass InsassInnen innerlich "brechen". Es kommt zu häufig vor, dass Häftlingen ab einem gewissen Zeitpunkt die Hoffnung fehlt das eigene Leben so gestalten zu können, dass es befriedigend ist und ihnen Freude macht. Resignation und die aussichtslose Vorahnung auf ein Leben nach dem Gefängnis, in dem noch weitere Schwierigkeiten auf sie zukommen, führt dazu, dass manche sich selbst aufgeben und die Motivation verlieren jeden Morgen aufs Neue aufzustehen.

Neben der persönlichen, menschlichen Ebene, auf der Gefängnisaufenthalte meist schwerwiegende Auswirkungen haben, stellt sich die strukturelle Kritik am Gefängnis. Diese Kritik wird aus unterschiedlichen Positionen geäußert. Manche befürworten Reformen, die das Leben im Gefängnis lebenswerter und den Umgang mit den Häftlingen respektvoller gestalten sollen. Dabei wird die Zeit der Haft nicht als Bestrafung, sondern als Chance zum Lernen über sich selbst verstanden. Diverse Therapien, Kunst- und Theaterprojekte, kreative Schreibwerkstätten, Yoga-Unterricht und andere Methoden zielen auf die Heilung des individuellen Häftlings ab und auf die Entdeckung des innewohnenden, kreativen Potentials des Einzelnen.

Eine andere Herangehensweise ist das radikale in Frage stellen der Institution Gefängnis. Wer definiert, was strafbar ist? Welche Instanzen entscheiden zwischen legitimem Verhalten und Verbrechen? Wie kann sich der Staat das Recht anmaßen über Individuen und deren Verhalten zu richten? Wer sind diejenigen, die richten und Gesetze entwerfen und wer gelangt letztendlich hinter Gitter? Selten gehören VertreterInnen des Justizsystems den gleichen sozialen Schichten an, wie die Mehrheit der Gefangenen. Eine weitere Perspektive der Gefängniskritik besteht darin, sich mit Alternativen zu Gefängnis und Strafe auseinanderzusetzen. Versöhnungsarbeit und auf persönlicher Ebene geregelter Ausgleich sind in diesem Zugang relevante Möglichkeiten.


Spiegel der Gesellschaft

Zusätzlich zur Gefängniskritik stellt sich die Frage: Macht es Sinn, auf die Resozialisierung des individuellen Kriminellen zu fokussieren, oder wäre es nicht nachhaltiger an der Entkriminalisierung der Gesellschaft zu arbeiten? Es ist an der Zeit, dass wir uns nicht länger vor jeglicher Verantwortung für die Vergehen von Einzelnen drücken. Wie wäre es, wenn wir erkennen würden, dass kriminelle Taten die skrupellos aufrichtigen Spiegel unserer Gesellschaft sind?

Wen wundert es denn, dass Einbrüche, Diebstähle und Betrug auf der (nicht nur) österreichischen Tagesordnung stehen, wenn wir uns gesamtgesellschaftlich gesehen dermaßen stark mit unserem Besitz, unserem Haben, identifizieren? Zum einen tragen soziale Verteilungsunterschiede zu jenen Eigentumsdelikten bei. Auf der anderen Seite sind es die Werte des Wohlstands und Konsums, die von vielen angestrebt und von manchen nur auf illegale Weise erreicht werden.

Dürfen wir uns wundern, dass Gewalt und Aggression unvorhersehbar aus Menschen herausbricht, wenn wir als Gesellschaft auf einem Vulkan aus christlich-moralischen oder kapitalistischen Idealen tanzen? Wohin mit all der Irrationalität und dem inneren emotionalen Chaos, welche in einer Arbeitswelt in der Effizienz und Rationalität die goldenen Werte sind, unterdrückt werden müssen?

Wieso sind wir so überrascht, wenn Sexualverbrechen an die Öffentlichkeit gelangen? Sind wir denn nicht als Gesellschaft meilenweit davon entfernt tabulos und angstfrei über Sexualität zu denken, zu sprechen und sie zu leben? Wo lernen wir, dass wir Sexualität in Natürlichkeit leben können, fernab medial konstruierter Ideale, die menschliche Körper zu Objekten voll Makel und Problemzonen degradieren?

Ich denke, dass jenes scheinbar individuelle Fehlverhalten von Verbrechen oft nur der sichtbare Gipfel eines Eisbergs ist, dessen Großteil unter der Oberfläche schwimmt. Gefängnis bedeutet Wegsperren, von der Gesellschaft ausschließen und von der menschlichen Gemeinschaft isolieren - als Strafe für Verstoß gegen die Spielregeln. Wir drängen dadurch Menschen aus den Augen und aus dem Sinn, die möglicherweise nur unsere eigenen inneren Konflikte sichtbar machen. Dies ist kein Plädoyer für eine ideale Gesellschaft, in der es keine Verbrechen mehr gibt. Es ist vielmehr ein Anstoß, uns unserer kollektiven Verantwortung bewusst zu werden und aufzuhören schwarze Schafe zu kreieren, nur um uns als die weißen Unschuldslämmer zu vergewissern.


(1) http://strafvollzug.justiz.gv.at/_downloads/
Broschuere%20Unternehmerarbeiten.pdf%20Unternehmerarbeiten.pdf


*


Quelle:
planet - Zeitung der Grünen Bildungswerkstatt # 58,
Juni-August 2009, S. 13
Medieninhaberin/Herausgeberin: Grüne Bildungswerkstatt,
vertreten durch den Bundesvorstand
Neubaugasse 8, 1070 Wien, Österreich
Telefon: 0043/1/526 91 16
Telefax: 0043/1/526 91 15
Mail: planet@gruene.at
Web: www.planet-zeitung.at

"planet - Zeitung der Grünen Bildungswerkstatt" ist
den Grundsätzen der Grünen inhaltlich verpflichtet
und wendet sich an alle politisch Interessierten.
Einzelpreis: 1,00 Euro, Normalabo: 5,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. November 2009