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GESELLSCHAFT/233: Islamfeindlichkeit in Europa und ihre gesellschaftlichen Folgen (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 4/2011

Kein Gespür für Rassismen
Islamfeindlichkeit in Europa und ihre gesellschaftlichen Folgen

Von Kai Hafez


Islamfeindlichkeit ist in Europa ein altes Phänomen, das in der Wissenschaft aber erst in den letzten Jahren ausreichend Beachtung gefunden hat. In der Öffentlichkeit besteht in dieser Hinsicht noch ein enormer Nachholbedarf. Ein Überblick zum Stand der Diskussion.


Immer mehr sozialwissenschaftliche Studien bestätigen, was unstrittig den Kern einer jeden Definition von im politischen Raum gelegentlich umstrittenen Begriffen wie "Islamfeindlichkeit" oder "Islamophobie" ausmacht: Ein großer Teil, wenn nicht die Mehrheit europäischer Bevölkerungen, lehnt den Islam generell ab, identifiziert ihn mit negativen Attributen wie Gewalt und Unterdrückung und hält die Religion für unvereinbar mit westlichen Werten und westlicher Kultur.

Die Attentate von 9/11 waren nicht der Auslöser islamfeindlicher Einstellungen, haben aber ihre sozialen Konsequenzen verschärft. Islamophobie spielt eine nicht unbeträchtliche Rolle - etwa bei Konflikten um Moscheebauten -, und sie wird zum Ausgangspunkt einer neuen Form rassistischer Gewalt auf muslimische Einrichtungen und auf Muslime selbst.

Von der Europäischen Union und von Bundesbehörden mittlerweile auch statistisch erfasst, ist dieses Phänomen von der Öffentlichkeit bislang wenig beachtet worden. Relativ im Verborgenen breiten sich trotz der generellen Ächtung von Fremdenfeindlichkeit in weiten Teilen der Gesellschaften Einstellungen und diskriminierende Handlungen gegenüber einer großen Migrantengruppe aus, die sozialen und politischen Sprengstoff bergen. Die Kluft zwischen dem politischen System, das liberale Freiheiten garantiert, und den weitaus intoleranteren europäischen Gesellschaften wächst und könnte sich zu einer ernsten Gefahr für die liberale Demokratie entwickeln.


Europäisches Phänomen mit Deutschland als "Spitzenreiter"?

Nicht jede Form von Islamkritik ist auch islamfeindlich, nicht jeder Diskurs über den Islam, sondern vor allem generelle Ablehnungen des und Distanzierungen vom Islam sind der harte Kern dessen, was die sozialwissenschaftliche Einstellungsforschung seit Jahren intensiv untersucht. Zwar sind auch Islamdiskurse etwa in den Massenmedien häufig einseitig, aber die textkritische Interpretation ist oft schwierig und theorieabhängig. Die theoretischen Konstrukte der Einstellungsforschung - Stereotype, Feindbilder, Vorurteile - sind hingegen in der Regel simpler, ihre Methoden dafür aber repräsentativer und verlässlicher, so dass wir heute wissenschaftlich abgesicherte Ergebnisse zu einigen Grundkonstanten des Islambildes der Europäer vorweisen können.

Das bekannte amerikanische Meinungsforschungsinstitut PEW zum Beispiel legte 2005 eine Studie im Rahmen des Pew Global Attitudes Projects vor, nach der in Ländern wie Frankreich und Großbritannien positive Einstellungen gegenüber Muslimen immerhin noch leicht überwogen, in Deutschland und den Niederlanden hingegen negative Haltungen vorherrschten. Die Mehrheit in diesen Ländern etwa hielt ein Kopftuchverbot für eine gute Idee oder war der Meinung, der Islam sei grundsätzlich gewaltsamer als das Christentum oder Judentum. Mehrheiten in Ländern wie Frankreich, Deutschland und den Niederlanden waren gegen muslimische Einwanderung. Kein Wunder, dass eine Studie des World Economic Forum "Islam and the West: Annual Report on the State of Dialogue" (2008) ergab, dass Europäer vielfach kein Interesse an verbesserten Dialogbeziehungen zum Islam haben.

In Deutschland haben Untersuchungen des Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer und seiner Kollegen etwa in der Langzeitstudie Deutsche Zustände ähnliche Ergebnisse hervorgebracht. Eine zum Teil beträchtliche Mehrheit der Deutschen etwa möchte keine muslimischen Nachbarn haben und ist der Meinung, der Islam passe nicht zum Westen. Eine neue Untersuchung in mehreren europäischen Ländern, an der das Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Universität Münster unter Leitung von Detlef Pollack beteiligt war, ergab, dass etwa 60% der Deutschen den Islam ablehnen. Die Werte liegen fast doppelt so hoch wie in Frankreich, Portugal oder beim Nachbarn Dänemark. Den Bau von Moscheen befürworten hierzulande nur etwa 20%, in Dänemark immerhin 50% der Menschen.

Trotz gewisser Grauzonen bei den Studien hinsichtlich Fragestellungen und Methoden, die sich zum Teil unterscheiden, verfestigt sich doch ein unangenehmer Trend: Deutschland ist bei Islamfeindlichkeit in allen untersuchten Ländern der amtierende "Europameister". Vorurteile gegenüber Muslimen sind dabei allerdings in ganz Europa und nicht nur bei unteren Schichten präsent, sondern sie sind in den Bürgergesellschaften fest verankert. Das eigentliche Phänomen sind nicht elitäre islamfeindliche Thesen wie jüngst die von Thilo Sarrazin, sondern die weit in die Mitte europäischer Gesellschaften reichende Ablehnung des Islam.

Neu an Sarrazin ist allenfalls, dass er mit seinen Ansichten von der genetischen Bedingtheit türkisch-islamischer Rückständigkeit Argumente eines "alten Rassismus" benutzt. Für ihn ist nicht mehr nur kulturelle Prägung sondern die Herkunft entscheidend - ein biologistisches Weltbild, das auch bei Autoren wie Oriana Fallaci oder Peter Sloterdijk anklingt und das eine Rückentwicklung in den Motivlagen von Fremdenfeindlichkeit anzeigt. Der massenhafte Erfolg von Büchern dieser Autoren zeigt, dass auch Vorstellungen einer tiefgreifend anthropologischen Differenz der Muslime - Ideen, die in der Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus einigermaßen überwunden schienen - immer noch virulent sind.

Können Entwicklungen wie der jüngste "arabische Frühling" das negative Islambild verbessern? Ein Potenzial ist sicher vorhanden, paradoxe Interventionen - hier ein unerwartet positives Ereignis in der muslimischen Welt - haben Nationen- und Religionsstereotype schon immer kurzfristig beeinflussen können. Möglich aber ist auch, dass gerade die fehlende islamische Dominanz in den arabischen Demokratiebewegungen Europäer dazu verleitet, den Islam nach wie vor pauschal für eine extremistische Religion und Ideologie halten zu dürfen.

Anders als islamfeindliche Einstellungen selbst, sind deren Ursachen noch kaum erforscht. Elitenrassismus unter Intellektuellen und Politikern, oft ideologie- und lagerübergreifend (selbst grüne Wähler haben Sarrazin vielfach zugestimmt), dürfte dabei ebenso eine Rolle spielen wie soziale Abstiegserfahrungen und Ängste. In manchen Mittelschichtmilieus entsteht eine wachsende Spannung zwischen sinkenden oder gefährdeten Einkommen und Habitusansprüchen, etwa dort, wo in Schulen vermeintlich die Einwanderer "überhand nehmen" und den eigenen Nachwuchs "gefährden". Diese Konstellation erklärt, warum Islamfeindlichkeit kein Privileg des konservativen Milieus ist, sondern längst einen Teil der liberalen Milieus erreicht hat. Beim Thema "Islam" funktioniert zudem Bildung nicht als dämpfender Faktor. Zwar ist es eine alte Erkenntnis, dass Rassismus mit wachsender Bildung abnimmt. Der westliche Bildungskanon beinhaltet aber so wenig konkretes Wissen über den Islam und die islamische Welt, dass grundlegende Dinge - etwa dass Jesus im Koran als Prophet des Islam anerkannt wird und in der islamischen Welt in den meisten Ländern zahlreiche Kirchen und Kathedralen zu finden sind - unbekannt sind. Eine letzte Ursache ist sicher mangelnder Kontakt: eine Studie etwa des Open Society Institutes "Muslims in the European Union" aus dem Jahr 2007 hat gezeigt, dass beispielsweise Niederländer mehrheitlich keinen Kontakt mit Muslimen haben.


Soziale Konflikte, rassistische Gewalt

Tröstlich ist, dass Vorurteilstrukturen weder deckungsgleich mit gesellschaftlichen Einstellungen von Menschen sein müssen noch automatisch in Handlungen umschlagen. Einstellungen und Meinungen sind komplexe Gebilde, bei denen neben Bildern auch zentrale Werte eine Rolle spielen. So gehen einige Forscher etwa davon aus, dass der liberale Wert der Religionsfreiheit trotz ähnlich ausgeprägter Islamfeindlichkeit in den USA dazu beiträgt, dass aufgeregte Debatten über Moscheebauten und Kopftücher, wie wir sie aus Europa kennen, dort weniger vehement geführt werden. Die Vereinigten Staaten sind deswegen noch lange nicht der melting pot der Kulturen, den die offizielle Politik dort so gern propagiert, und sie haben sicher größere Probleme bei der strukturellen Gewalt, sichtbar etwa bei den zahlreichen staatlichen Verhaftungen, Verhören und Internierungen von Muslimen nach den Attentaten von 2001.

Dennoch zeigen Beispiele wie die USA oder Großbritannien, dass etwa ausgeprägte liberale Werte einen dämpfenden Einfluss auf Islamfeindlichkeit haben können. Es ist vor einem Alarmismus zu warnen, wonach Vorurteile automatisch zu gesellschaftlicher Diskriminierung oder gar zu Gewalt gegen Minderheiten führen müssen. Dieser reduktionistische Fehlschluss ist eine verbreitete Gefahr der Stereotypen- und Feindbildforschung, die Vorurteile zwar ermitteln, ihre gesellschaftlichen Folgen aber selten erklären kann.

Das gleiche muss bei der Frage gelten, ob und wie Vorurteile in Handlungen umschlagen. Subtile Alltagsdiskriminierung, wie sie etwa in einer Studie der Europäischen Union "Wahrnehmung von Diskriminierung und Islamfeindlichkeit" (2006) von vielen Muslimen gerade im Zusammenhang mit dem Kopftuch beklagt wird, kann die Folge von Islamfeindlichkeit sein. Im persönlichen Kontakt aber können sie ebenso nebensächlich werden. Städtische Moscheebaukonflikte wiederum haben eine andere Dynamik. Untersuchungen etwa von Claus Leggewie haben gezeigt, dass hier eine spezifische Kräftekonstellation am Wirken ist, die aus rechten Bürgerinitiativen und islamfeindlichen Meinungsführern (wie Ralph Giordano) besteht, die in der Regel ohne direkten Kontakt mit Muslimen und Moscheebefürwortern bleiben.

Der Streit über Moscheebauten ist letztlich ein von politischen Machtstrukturen durchwobener sozialer Territorialkonflikt, in dem die Islamfeindlichkeit die Grenze zwischen In- und Out-Group markiert. Hier zeigt sich, dass ein erheblicher Teil europäischer Bevölkerungen zwar Integration predigt und muslimische "Parallelgesellschaften" verhindern möchte, zu einem nachbarschaftlichen Miteinander aber nicht bereit ist. Daher ist es auch zweifelhaft, ob solche Konflikte integrationsfördernd sein können, wie einige Experten vermuten, nach dem Motto "Streit verbindet". Die Konfliktsituation ist asymmetrisch angelegt, Muslime sind in der Rolle, selbstverständliche Rechte verteidigen zu müssen. Es geht hier um die Absicherung von Territorien, um Gruppenmacht, nicht um Dialog.


Islamfeindliche Gewalt

In Deutschland bislang wenig zur Kenntnis genommen oder zumindest nicht breit diskutiert worden ist das Thema der islamfeindlichen Gewalt. Anders als Diskriminierung und Moscheeproteste stellt diese zwar ein extremistisches Randphänomen dar, das allerdings seit 2001 kontinuierlich erkennbar ist. Untersucht wurde das Phänomen vom European Monitoring Centre in verschiedenen Studien 2001 (Anti-Muslim Reactions in the European Union) und 2006 (Muslime in der Europäischen Union). Die ausführlichen Berichte registrierten in Ländern wie Deutschland, Griechenland, Spanien, Frankreich, Irland, Italien, den Niederlanden oder Großbritannien Gewalttaten gegenüber Muslimen und islamischen Einrichtungen: Sprengstoff- und Brandanschläge auf Moscheen, islamische Vereine und Einrichtungen wie Friedhöfe, Vandalismus, Blut- und Hakenkreuzschmierereien, Schüsse auf Moscheen. In jüngsten Jahren werden auch immer mehr Menschen attackiert - ein muslimischer Taxifahrer in Großbritannien etwa ist gelähmt, junge Muslime werden geschlagen. Den vorläufigen Höhepunkt bildete der islamfeindliche Mord an der Ägypterin Marwa El-Sherbini in Dresden im Jahr 2009.

Gemäß einer Anfrage der Universität Erfurt beim Bundeskriminalamt (BKA) im November 2009 lassen sich politisch motivierte Gewalttaten etwa nach dem Angriffsziel "Moschee" seit dem Jahr 2001 auswerten. Das BKA führt eine entsprechende Statistik mit Rubriken wie "Brandstiftungsdelikte", "Sachbeschädigung", "Propagandadelikte", "Volksverhetzung" und andere Straftaten und registrierte zwischen 2001 und 2008 insgesamt 153 entsprechende Delikte mit einem über die Jahre relativ gleichbleibenden Niveau. Die mögliche Annahme, dass es sich bei solchen Taten lediglich um spontane Gewaltausbrüche nach Attentaten wie in New York, Madrid oder London handele, ist also falsch. Islamfeindliche Gewalt hat sich auf einem erkennbaren Niveau dauerhaft in europäischen Gesellschaften etabliert, wobei die Dunkelziffer weitaus höher liegen dürfte als dies offizielle Statistiken ausweisen. Die Harvard-Professorin Jocelyne Cesari spricht daher auch von einem "besorgniserregenden Anstieg anti-muslimischer Gewalt in Europa".

All diese Phänomene islamfeindlich fundierter sozialer Konflikte und Gewalt werden bisher in der deutschen Öffentlichkeit zu wenig wahrgenommen und erörtert. Während der Ermordung von Sherbini oder der Anschlagsserie auf Berliner Moscheen Ende 2010 kam erstmals so etwas wie eine mediale Debatte auf. Die Wahrnehmung der Probleme ist aber weitaus weniger ausgeprägt als bei Gewalt durch Muslime, die einen wesentlichen Teil der Berichterstattung über die islamische Welt ausmacht. Diese Unausgewogenheit einer Weltsicht, die Gewalt immer nur der anderen Seite zuschreibt und das Verhalten der nicht-muslimischen europäischen Mehrheitsgesellschaften verharmlost, sollte schnellstens durchbrochen werden. Derzeit sieht es noch nicht so aus, als habe, wie der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frank Schirrmacher, einmal behauptet hat, Deutschland tatsächlich ein ausreichendes "Gespür für Rassismen und Totalitarismen aller Art" entwickelt.


Kai Hafez (* 1964) ist seit 2003 Professor für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt Vergleichende Analyse von Mediensystemen/Kommunikationskulturen an der Universität Erfurt und 2010/11 zugleich Visiting Fellow der American University in Cairo. (kai.hafez@uni-erfurt.de)


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 4/2011, S. 38-42
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Siegmar Gabriel,
Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka und Thomas Meyer und Peter Struck
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Mai 2011