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GESELLSCHAFT/234: Erwerbsmodelle junger Paare - Versorger und Verlierer (DJI Impulse)


DJI Impulse
Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 1/2011 - Nr. 92/93

Versorger und Verlierer

Von Heike Wirth und Sabina Schutter


Das traditionelle Ernährermodell wird seltener. Vor allem junge Frauen arbeiten genausoviel wie ihre Partner. Doch sind Kinder da, steigen die Mütter ganz oder teilweise aus dem Erwerbsleben aus - mit erheblichen Risiken für ihre Alterssicherung.


Familie und Erwerbstätigkeit stehen in einer engen wechselseitigen Beziehung. Nicht zuletzt durch die demografische Entwicklung, die Veränderungen der Erwerbsstrukturen und den Wandel der Lebensformen von Familien ist diese Beziehung zu einem zentralen Bezugspunkt sozial-, familien- und arbeitsmarktpolitischen Handelns geworden (Keddi 2010). Erwerbstätigkeit gilt dabei nicht nur als zentrale Existenzsicherung für Familien. Sie hat sich auch durch die Arbeitszeiten und die veränderten Arbeitsmodalitäten zu einem maßgeblichen Einflussfaktor auf das Familienleben entwickelt. Hier sind insbesondere die Zunahme unsicherer und prekärer Beschäftigungsverhältnisse, diskontinuierliche Erwerbsbiografien und zunehmende Anforderungen beruflicher Mobilität zu nennen.

Gleichzeitig verändern sich Arbeitsprozesse: Die klassische Industrie- und Produktionstätigkeit nimmt ab. Stattdessen ist eine Orientierung an der sogenannten »dienstleistungsorientierten Wissensgesellschaft« zu beobachten. Das bedeutet, dass ein subjektives Engagement, ein Einbringen der ganzen Person in die Erwerbstätigkeit, von wachsender Bedeutung ist. Arbeitszeiten werden flexibler, lassen damit aber auch weniger verlässliche Zeitorientierungen zu. Unter dem Stichwort der Entgrenzung (Jurczyk u. a. 2009) wird diskutiert, dass es nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich zu zunehmenden Verflechtungen von Familie und Erwerbstätigkeit kommt. »Wenn die Arbeit zum Zuhause wird und zu Hause nur Arbeit wartet« lautet der Untertitel der Untersuchung »Keine Zeit« von der amerikanischen Soziologin Arlie Russell Hochschild (2006), der diese Beobachtungen auf den Punkt bringt. Ein zentrales Element der Veränderungen der Erwerbsstrukturen ist die zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen, insbesondere von Müttern.

»Derzeit wird [...] ein starker Druck auf Familien spürbar aufgrund sich verändernder Erwerbsbedingungen und Organisationsmuster, vor allem aufgrund des Rückgangs des Normalarbeitsverhältnisses in den letzten Jahrzehnten« (Keddi 2010). Der Wandel der Erwerbsarrangements, hin zu räumlich und zeitlich, aber auch biografisch flexibleren Berufsbiografien trifft auf einen Wandel der Familien. Rückläufige Geburtenzahlen, eine steigende Lebenserwartung, zunehmende Trennungen und Scheidungen verdeutlichen, dass Familien heute von vielfältigen Veränderungen im Familienverlauf gekennzeichnet sind. Auch die Zusammensetzung ist anders geworden. Neben die Paarfamilie mit zwei miteinander verheirateten Elternteilen und gemeinsamen Kindern gesellen sich mehr und mehr Alleinerziehende, mehr Patchwork-Familien oder alternative Formen wie Familien mit gleichgeschlechtlichen Eltern. Kinder stehen dabei im Zentrum heutiger Familien. Ob die Eltern verheiratet sind, zusammenleben oder überhaupt eine Partnerschaft führen, scheint demgegenüber von nachrangiger Bedeutung. Neue Herausforderungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bringen die zunehmende Verantwortung von Erwachsenen für die Sorge der eigenen Eltern sowie die steigende Erwerbsbeteiligung von Müttern mit sich.


Vielfältige Herausforderungen

Es treffen also zwei Tendenzen des Wandels aufeinander, die zu Ungleichzeitigkeiten, Friktionen und Herausforderungen auf privater, gesellschaftlicher und politischer Ebene führen. Auf der Ebene des familiären Alltags bedeutet die Erwerbsbeteiligung beider Elternteile, dass in der Koordination von Beruf, Familie und Partnerschaft erhöhte Gestaltungsleistungen abverlangt werden. Die zeitlichen Herausforderungen betreffen damit die Koordination von Zeiten der Kopräsenz aller Familienmitglieder, der Schaffung von Paarzeiten aber auch von Eigenzeit, also jener Zeit, die lediglich der Verfolgung eigener Interessen und Ziele oder der Erholung dient. Dies kann jedoch nicht nur als Belastung betrachtet werden, schafft diese Flexibilisierung doch auch Freiräume der individuellen Lebensgestaltung und -planung.

Fasst man diese Phänomene modellhaft zusammen und betrachtet die empirischen Verteilungen, so lassen sich drei typische Erwerbsarrangements identifizieren: das männliche Ernährermodell, das modernisierte Ernährermodell und das egalitäre Modell. Die Analyse der AID:A-Daten geht den Fragen nach, wie diese Arrangements verteilt sind und welchen Einfluss das Vorhandensein und das Alter der Kinder auf diese Verteilungen hat (Tölke 2010). Ausgewählt wurden aus dem Datensatz Frauen, die mit einem Partner im gemeinsamen Haushalt leben und die zwischen 25 und 55 Jahre alt sind. Diese Personen wurden sowohl nach ihrer Qualifikation wie nach ihrer Kinderzahl und der Erwerbstätigkeit untersucht.

Das männliche Ernährermodell, bei dem der Mann Vollzeit arbeitet, die Frau hingegen nicht erwerbstätig ist, ist in der untersuchten Altersgruppe zu 24 Prozent vertreten und bildet damit das dritthäufigste Modell. 35 Prozent der Frauen leben das modernisierte Ernährermodell, bei dem die Hauptverantwortung für die Erwerbsarbeit beim Mann liegt, die Frau jedoch zudem in Teilzeit arbeitet. Bei dem egalitären Modell sind beide Partner vollzeit erwerbstätig. Es wird mit 29 Prozent sogar häufiger von Paaren gelebt als das männliche Ernährermodell, was auf einen Wandel der Geschlechterarrangements hindeutet. In diesen drei Modellen leben zusammen 88 Prozent der untersuchten Paare. Mit nur vier Prozent bildet das weibliche Ernährerinnenmodell ebenso eine Minderheit wie weitere Erwerbsarrangements, die jeweils mit drei beziehungsweise zwei Prozent vertreten sind.

Diese Befunde weisen auf einen Bedeutungsverlust des traditionellen Ernährermodells zugunsten des modernisierten Modells hin. Den größten Anteil bilden Partnerschaften, in denen ein modernisiertes Ernährermodell gelebt wird, gefolgt von jenen Paaren, welche ein egalitäres Modell leben. Wobei die Verteilung dieser drei Gruppen wesentlich durch eine westdeutsche Perspektive geprägt ist. Denn in Hinblick auf Erwerbsarrangements von Paaren bestehen nach wie vor deutliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Würde nur Ostdeutschland betrachtet werden, würde sich sowohl eine andere Größenordnung wie auch Rangfolge zeigen: In fast der Hälfte der Partnerschaften findet sich das egalitäre Erwerbsarrangement, gefolgt vom modernisierten Ernährermodell mit unter 30 Prozent. Weniger als ein Fünftel der Paare in Ostdeutschland leben das traditionelle Ernährermodell.


Kinder geben den Ausschlag

Werden die gleichen Daten nach dem Alter der befragten Personen ausgewertet, so ergibt sich ein differenzierteres Bild: Bei den Frauen zwischen 25 und 32 Jahren dominiert das egalitäre Modell mit einem Anteil von 44 Prozent. Im Unterschied hierzu leben Frauen im mittleren (33 bis 44 Jahre) und höheren Alter (45 bis 55 Jahre) verstärkt in einem modernisierten Erwerbsarrangement. Dieser Unterschied in den Altersgruppen kann einerseits darauf hindeuten, dass sich das Erwerbsverhalten von jungen Frauen geändert hat. Es kann aber gleichfalls bedeuten, dass sich die Erwerbsbeteiligung von Frauen mit fortschreitendem Alter, bedingt durch die Geburt von Kindern, verändert.

Werden die gleichen Daten für Paare mit und ohne Kinder ausgewertet, so erweist sich, dass die gelebten Arrangements offenbar in einem ganz wesentlichen Zusammenhang damit stehen, ob Kinder unter 18 Jahren im gemeinsamen Haushalt leben. 81 Prozent der Frauen in einem traditionellen Ernährermodell leben mit mindestens einem minderjährigen Kind im Haushalt. Unter den Frauen im modernisierten Modell sind es immerhin noch 69 Prozent. Im egalitären Modell leben hingegen nur 26 Prozent der Paare mit einem Kind, bei 74 Prozent hingegen leben keine minderjährigen Kinder im Haushalt.

Aufschluss über die Zusammenhänge gibt eine multivariate Analyse, die den Einfluss einzelner Faktoren wie minderjährige Kinder im Haushalt, den Familienstand der Eltern, die Ausbildung, das Alter und den Migrationshintergrund der Frau, das Alter der Kinder oder auch das Bundesland untersucht. Es zeigt sich, dass das traditionelle Ernährermodell mit dem männlichen Partner als Alleinverdiener durch die klassischen Faktoren charakterisiert ist: Vor allem die in einer ehelichen Gemeinschaft lebenden Frauen mit ein oder mehreren Kindern und insbesondere jene mit Kindern unter drei Jahren, weisen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit auf, das traditionelle Modell zu leben. Gleichfalls macht das Fehlen einer Berufsausbildung ein traditionelles Erwerbsarrangement wahrscheinlich. Umgekehrt verringert ein hohes Ausbildungsniveau der Frau die Wahrscheinlichkeit, dass sie in einem traditionellen Arrangement lebt.

Grundsätzlich sind auch modernisierte Arrangements dadurch gekennzeichnet, dass die Paare überwiegend in einer Ehegemeinschaft und mit Kindern leben. Ein zentraler Unterschied zu dem traditionellen Modell ergibt sich jedoch aus dem Alter der Kinder. Leben Kinder unter drei Jahren im Haushalt, verringert sich die Wahrscheinlichkeit für eine modernisierte Lebensform des Paares.


Wer aussteigt, ist im Nachteil

Hier schließt sich unmittelbar die Frage an, inwieweit die von den Paaren realisierten Erwerbsmodelle den von ihnen gewünschten Arrangements entsprechen. Welche Freiheitsgrade haben Paare, um ihre Ideale zu verwirklichen und in welchem Umfang müssen sie sich monetären oder strukturellen Restriktionen unterordnen? Was sind die Vor- und Nachteile dieser Erwerbsmodelle aus der Perspektive der Eltern und Kinder? Die AID:A Daten bieten ein reichhaltiges Potenzial für die Untersuchung weiterführender Fragen.

Die Verbreitung des traditionellen und des modernisierten Ernährermodells zeigt, dass die Anforderungen der Aufgaben in Familien, vor allem wenn Kinder im Haushalt leben, nur durch den zeit- oder teilweisen Ausstieg eines Elternteils bewältigt werden können. Familien müssen ihre Beziehungen, Zeiten der Kopräsenz und der Alltagsgestaltung vielfältig austarieren.

Derzeit ist vor allem zu beobachten, dass - gewünscht oder nicht - noch immer ein hoher Anteil von Frauen in traditionellen Erwerbsarrangements lebt. Angesichts fragilerer Ehen und des geänderten Unterhaltsrechts ist dies riskant. Frauen steuern, sofern sie länger aus dem Erwerbsleben aussteigen, aber auch wenn sie vorwiegend Teilzeit arbeiten oder geringfügig beschäftigt sind, nicht nur auf eine prekäre Einkommenssituation zu, falls sie alleinerziehend werden, weil die Ehe oder Lebensgemeinschaft endet. Sie haben auch im Alter häufig sehr geringe Rentenansprüche. Hierbei muss besonders bedenklich stimmen, dass gerade Frauen ohne berufliche Ausbildung mit einer höheren Wahrscheinlichkeit im traditionellen Erwerbsmodell leben und damit die ohnehin bereits ungünstige Einkommenslage weiter verschlechtern. Unabhängig von der normativen Bewertung von Erwerbsarrangements schränken sich die Arbeitsmarktchancen ebenso wie die Erwerbseinkommen und damit auch die Rentenansprüche durch lange Phasen der Nichterwerbstätigkeit oder kontinuierlicher Teilzeitarbeit massiv ein - ein Problem, dem politisch bislang kaum begegnet wird. Bislang sind weder Betreuungslandschaft noch Arbeitswelt darauf eingestellt, dass Mütter tatsächlich in Vollzeit arbeiten, wenn auch der Partner in Vollzeit erwerbstätig ist.


DIE AUTORINNEN

Dr. Heike Wirth arbeitet am Leibniz Institut für Sozialwissenschaften in Mannheim. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die Sozialstrukturanalyse mit Fokus auf die Entwicklung der sozialen Differenzierung zwischen Haushalten und Familien im Kontext der Bildungsangleichungen zwischen Frauen und Männern sowie der zunehmenden Erwerbspartizipation von Frauen.
Dr. Sabina Schutter ist Grundsatzreferentin für Familienpolitik und familienbezogene Leistungen am Deutschen Jugendinstitut. Zu ihren Schwerpunkten gehören Familien- und Geschlechtersoziologie, Kindheitsforschung
und die Themengebiete Männlichkeit und Väterlichkeit.
Kontakt: schutter@dji.de, heike.wirth@gesis.org


LITERATUR

HOCHSCHILD, ARLIE RUSSELL (2006): Keine Zeit. Wenn die Firma zum Zuhause wird und zu Hause nur Arbeit wartet. Wiesbaden

JURCZYK, KARIN / SCHIER, MICHAELA / SZYMENDERSKI, PEGGY / LANGE, ANDREAS / VOSS, GÜNTER G. (2009): Entgrenzung von Arbeit - Entgrenzung von Familie. Grenzmanagement im Alltag als neue Herausforderung. Berlin

KEDDI, BARBARA (2010): Wenn beide arbeiten gehen: Neue Familien- und Erwerbsarrangements. Unveröffentlichtes Manuskript des Vortrags bei der wissenschaftlichen DJI-Fachtagung »Aufwachsen in Deutschland« am 17. und 18.11.2010 in Berlin. Weitere Informationen sind erhältlich bei keddi@dji.de.

TÖLKE, ANGELIKA (2010): Lebensformen und Erwerbskonstellationen. AID:A-Befunde. Unveröffentlichtes Manuskript des Vortrags bei der wissenschaftlichen DJI-Fachtagung »Aufwachsen in Deutschland« am 17. und 18.11.2010 in Berlin. Weitere Informationen sind erhältlich bei toelke@dji.de.


DJI Impulse 1/2011 - Das komplette Heft finden Sie im Internet unter:
www.dji.de/impulse


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Quelle:
DJI Impulse - Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 1/2011 - Nr. 92/93, S. 28-30
Herausgeber: Deutsches Jugendinstitut e.V.
Nockherstraße 2, 81541 München
Telefon: 089/623 06-0, Fax: 089/623 06-265
E-Mail: info@dji.de
Internet: www.dji.de

DJI Impulse erscheint viermal im Jahr.
Die Hefte können kostenlos unter www.dji.de/impulsebestellung.htm
abonniert oder unter vontz@dji.de schriftlich angefordert werden.


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juni 2011