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GESELLSCHAFT/255: Über die Schwierigkeit des Vergleichens in der Liebe (BI.research - Uni Bielefeld)


BI.research 39.2011
Forschungsmagazin der Universität Bielefeld

Eine Beziehung ist kein Einkaufsbummel
Über die Schwierigkeit des Vergleichens in der Liebe

von Julia Siekmann



Menschen haben heute eine andere Idee von Liebe als früher. Damit hängt laut dem Soziologen André Kieserling auch zusammen, wie bei der Partnersuche und in Partnerschaften verglichen wird.


Auch wenn die Auswahl unendlich scheint und die eigenen Ansprüche hoch sind - "Preis-Leistungs-Vergleiche" wie beim Einkaufsbummel sind bei der Partnerwahl tabu. Oder nicht? Geht es in der Liebe überhaupt ohne Vergleichen? Für den Bielefelder Soziologie-Professor André Kieserling ist das vor allem eine Frage des Wandels der Idee von Liebe. "Früher musste die Partnerwahl Notwendigkeiten respektieren, zum Beispiel Territorien vergrößern. Das waren handfeste Vergleiche wie bei einer Firmenfusion", sagt Kieserling. Nach unserem modernen Beziehungskonzept ist man nicht mehr für seine Partnerwahl verantwortlich, sie "passiert einfach". Trotzdem verlieben sich Menschen nicht völlig wahllos, sagt der Soziologe. So kommt der Partner häufig aus derselben Bildungsschicht. "Zum Beispiel hier an der Uni begegnet man ja nur Menschen mit einem ähnlichen Bildungshintergrund. Oder die Verständigung untereinander klappt einfach besser als mit Personen aus anderen Schichten."


Entscheiden Vergleiche oder diffuse Gefühle?

Begrenzt wird die Auswahl an möglichen Partnern vor allem dadurch, dass man nur eine bestimme Menge von Leuten kennt oder eher schüchtern ist. Aber das Internet oder Online-Partnerbörsen weiten das "Angebot" aus - und machen die Suche damit nicht einfacher. "Auf solchen Seiten kann man einfach Filter setzen wie 'sollte Abitur haben' oder 'bitte Kunstverständnis und bei Klee nicht an Gartenbau denken'." Doch Theorien darüber, welcher soziale Typus bei der Partnersuche ausgewählt wird, erklären nur die Suche, nicht das Finden eines Partners, sagt Kieserling. "Die Frage ist, ob auch die Endauswahl eines Partners durch Vergleiche geschieht oder eher durch ein diffuses Gefühl, weil 'der Abend ganz schön war'." Das sei wahrscheinlich keine rationale Entscheidung. Generell kennt die Soziologie zwei Arten des Vergleichens: universalistisch und partikularistisch. Während sich der universalistische Vergleich an fachlichen Kriterien orientiert ("Den Bauauftrag bekommt die günstigere Firma"), richtet sich der partikularistische an persönlicher Nähe aus ("Den Bauauftrag bekommt mein Schwager"). Sei man noch auf der Suche nach einem Partner, vergleiche man häufig eher universalistisch. "Aber die Frage am Ende, wer am besten zu einem passt, hat zwei Sprichwörter: 'Gleich und gleich gesellt sich gern' und 'Gegensätze ziehen sich an'. Jeder wird in seinem Bekanntenkreis Beispiele für beide Möglichkeiten finden."


Motiv des ungerechten Tauschs

Nicht nur bei der Partnersuche, auch in die Beziehung selbst können sich Vergleiche einschleichen. War unsere Beziehung früher schöner? Gibt es jemanden, der noch besser zu mir passen würde? "Partner könnten sich fragen: Was gebe ich? Was kommt von dem anderen zurück? Wie komme ich zu einer 'positiven Nettobilanz'?", sagt Kieserling. Soziologisch gesehen handelt es sich hierbei um eine Form des Tausches, "die beteiligten Partner nehmen diese 'Tarifverhandlungen' aber als Erkalten der Beziehung wahr". Das Motiv des ungerechten Tauschs trete daher vor allem gegen Ende einer Beziehung auf. Wer dann noch dem Partner gegenüber das Vergleichen anspricht, riskiert Konflikte. "Offen zu sagen, dass man seinen Partner mit potenziellen anderen Partnern vergleicht, könnte das Gegenüber mehr als irritieren ..." Selbst wenn das Ergebnis des Vergleichs positiv für den aktuellen Partner ausfällt. "Auch eine Formulierung wie 'Mit dir bin ich viel glücklicher als mit meinem Ex' hört man nicht gerne."


Vorstellung einer "richtigen" Beziehung

Denn generell widerspricht der Vergleich unserer Vorstellung von Liebe. Schließlich verfolgt er das Ziel, eine rationale Entscheidung zu treffen. "Die Vernunft, mit der eine Ehe eingegangen wird, ist zwar ein Stabilitätsfaktor für die Beziehung, aber dennoch lieben Paare in Vernunftehen nach unserer Idee von Liebe 'falsch'." Auch Hollywoodfilme und Liebesromane können zu der Vorstellung einer "richtigen" Beziehung beitragen und Erwartungen auslösen, denen die eigene Partnerschaft im Vergleich nicht standhält.


Luhmanns Sicht auf Liebe

Ganz und gar unromantisch klingt Niklas Luhmanns Verständnis von Liebe, zumindest auf den ersten Blick. Der Bielefelder Soziologe vergleicht Liebe mit Geld. "Luhmann arbeitete dabei mit einem funktionalen Vergleich", erklärt Kieserling. So gebe es Handlungen, bei denen es wahrscheinlich ist, dass sie abgelehnt werden - wie jemanden zu bitten, einem sein Auto zu schenken. Ermöglicht wird das laut Luhmann erst durch das Kommunikationsmedium Geld. Ähnlich ist es bei der Liebe: "Auch wer seine eigenen Launen, Empfindlichkeiten und seine Individualität jemandem mitteilt und dafür Verständnis erwartet, müsste eigentlich mit Ablehnung rechnen", sagt Kieserling. Doch die Liebe lässt einen die Macken des anderen nicht nur tolerieren, sondern sogar unterstützen, denn möglicherweise sind gerade sie es, die den Partner so liebenswert machen. "Für unsere Idee von Liebe ist ja vor allem das Individuum wichtig. Und Individualität bedeutet quasi Unvergleichbarkeit", erklärt Kieserling. "Luhmann meint dazu: Wenn Liebe überhaupt etwas mit Geben zu tun hat, dann, dass der andere dadurch geben kann, dass er so ist, wie er ist. Und nicht, weil er besser ist als jemand anderes."

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Quelle:
BI.research 39.2011, Seite 20-23
Herausgeber:
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BI.research erscheint zweimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2012