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GESELLSCHAFT/306: Vorsichtige Familiengründer (DJI Impulse)


DJI Impulse
Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 1/2016 - Nr. 112

Vorsichtige Familiengründer

von Anna Buschmeyer


Obwohl die meisten jungen Männer Kinder wollen, werden nicht alle Väter. Manche scheitern am Druck der Gesellschaft, andere an ihren eigenen Ansprüchen. Das DJI-Projekt »Wege in die Elternschaft« untersucht den Entscheidungsprozess.


Über 90 Prozent der deutschen Männer unter 23 Jahren wünschen sich Kinder, dennoch bleibt etwa jeder fünfte Mann dauerhaft kinderlos (Zerle/Krok 2008; Schmitt/Winkelmann 2005). Kinder zu bekommen ist zunächst ein selbstverständlicher Teil der Lebensvorstellung der meisten Männer, verliert dann aber für viele an Bedeutung oder wird überlagert von Lebensumständen, die gegen Kinder sprechen. Verschiedene Studien zeigen, dass es bei der tatsächlichen Umsetzung des Kinderwunschs vor allem die Frauen sind, die dies vorantreiben - Männer bremsen eher und argumentieren häufiger gegen Kinder (Cuyvers/Kalle 2002). Wie, wann und warum sich Männer und Frauen für das Kinderkriegen entscheiden, ist mit den quantitativen Daten großer Studien wie zum Beispiel dem Beziehungs- und Familienpanel »pairfam« nur schwer nachzuzeichnen. Sie gehen häufig von einer Kosten-Nutzen-Kalkulation aus und sprechen von Verhandlungen (»Bargaining«) zwischen Partner und Partnerin (Bauer/Kneip 2013).


Verunsicherung kann dazu führen, dass der Kinderwunsch vage bleibt

Qualitative Untersuchungen wie das Projekt »Wege in die Elternschaft« des Deutschen Jugendinstituts (DJI) können genauer nachzeichnen, welche Prozesse bei der Entstehung und Umsetzung eines gemeinsamen Kinderwunschs wirken. Neben medizinischen Faktoren, die die Zeugung von Kindern verhindern, kann auch die zunehmende Verunsicherung der Männer dazu führen, dass der Kinderwunsch vage bleibt, aufgeschoben oder nicht realisiert wird. In der Geschlechterforschung wird seit Jahrzehnten in regelmäßigen Abständen die »Krise des Mannes« oder die »Krise der Männlichkeit« thematisiert. Aktuell wird damit vor allem verbunden, dass die sogenannte männliche Normalbiografie häufig nicht mehr zutrifft: Eine Ausbildung zu absolvieren und sich im Job zu etablieren, zu heiraten und Kinder zu bekommen (und diese finanziell versorgen zu können) entspricht längst nicht mehr der Realität aller Männer (Lengersdorf/Meuser 2010).

In dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten DJI-Projekt »Wege in die Elternschaft« wurden zwischen den Jahren 2014 und 2016 25 Paare, die vor kurzem Eltern geworden waren beziehungsweise bei denen die Partnerin schwanger war, nach ihrem Weg in die Elternschaft befragt. In ausführlichen Einzelinterviews thematisierten die (werdenden) Väter auch ihre Zweifel und die Gründe für Verzögerungen. Dabei zeigt sich, dass für den grundsätzlich geäußerten Kinderwunsch der meisten Väter viele Faktoren stimmen müssen: die finanzielle Absicherung, die Stabilität der Partnerschaft und die Bereitschaft der Männer dazu, ihr eigenes Leben zu verändern. Frauen zeigten sich dagegen schneller bereit, auch dann Kinder zu bekommen, wenn nicht alle Kriterien erfüllt waren. Das DJI-Projekt fragte danach, wie die Paare in solchen Situationen zu einem Konsens über den Kinderwunsch gelangten. Dabei stellte sich heraus, dass häufig mühsame und langwierige Prozesse stattfinden, wodurch sich die Partner aufeinander zubewegen. Einige Männer, die sich zunächst nicht vorstellen konnten, Vater zu werden, entwickelten erst durch die Auseinandersetzung mit der Partnerin einen Kinderwunsch oder wurden dazu bereit, dem Kinderwunsch der Partnerin zu folgen.


Männlichkeit ist heute nicht mehr zwingend mit Vatersein verknüpft

Ein Grund dafür, dass sich Männer auf dem Weg in die Vaterschaft verunsichert zeigen, sind die damit verbundenen hohen Erwartungen. Vaterschaft ist heute - ähnlich wie die Mutterschaft - mit zahlreichen Anforderungen, normativen Vorstellungen sowie politischen und ideologischen Erwartungen verbunden. Während die Frage, was eine »gute Mutter« auszeichnet, schon seit Generationen diskutiert wird (Tolasch 2016), hat sich das Bild des »guten Vaters« in den letzten 15 Jahren gewandelt: Väter sollen und wollen heute einerseits Zeit für ihre Kinder haben und sich an der Hausarbeit beteiligen, sind aber andererseits nach wie vor häufig für die Erwirtschaftung des Familieneinkommens zuständig. Dies führt dazu, dass Männer das Vatersein als eine starke Veränderung des eigenen Lebensstils verstehen und die Entscheidung für oder gegen Kinder bewusst getroffen werden kann und muss.

Das Projekt »Wege in die Elternschaft« deutet darauf hin, dass die zögernden Männer eine Vaterschaft nicht ablehnen, sondern vielmehr besonders gute Väter sein wollen. Sie grenzen sich dadurch von der Generation ihrer Väter und Großväter ab, für die das Kinderkriegen ein selbstverständlicher Teil von Männlichkeit war, die aber gleichzeitig als Väter wenig präsent waren. Der Anspruch an sich selbst und die Definition von Männlichkeit haben sich gewandelt: Da zuverlässige Verhütungsmittel und eine große Akzeptanz von Lebensmodellen ohne Kinder existieren, besteht die Option kinderlos zu bleiben, ohne dadurch seine Anerkennung als Mann in der Gesellschaft zu verlieren. Die in der DJI-Studie befragten Männer sorgen sich selten um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern eher darum, ob sie eine Familie ernähren könnten und ob sie dazu bereit wären, ihre Freizeitgestaltung zu verändern. Ihre Überlegungen zeigen, dass Vaterschaft heute nicht mehr nur als Statusveränderung, sondern als eine Veränderung der gesamten Lebensform verstanden wird. Sehen die Männer eine Umsetzung dieser Vorstellung als unrealistisch an, sind sie bereit, auf Kinder zu verzichten.


Kinder kommen für Männer nur bei einer stabilen Beziehung in Frage

Die befragten Männer berichten von mühsamen Entscheidungen, von Umwegen und Konflikten rund um das Thema Vaterschaft. Deutlich wird, dass die Grundvoraussetzung für die Entscheidung für ein Kind bei fast allen Vätern war, dass sie die Partnerschaft als stabil genug einschätzten. Eine antizipierte Trennung oder instabile Beziehung ist für die befragten Männer ein deutlicher Hinderungsgrund, Vater zu werden. Darin unterscheiden sie sich von ihren Partnerinnen, die durchgängig und grundsätzlich dazu bereit wären, ein Kind auch allein großzuziehen. Insbesondere diejenigen Männer, die selbst ohne einen (anwesenden) Vater oder als Scheidungskind aufgewachsen sind beziehungsweise die Trennung von einer Ex-Partnerin und gemeinsamen Kindern erlebt haben, stehen einer (neuen) Vaterschaft in instabilen Beziehungen sehr skeptisch gegenüber.

Dennoch zeigen sich die befragten Väter offen für die Argumente ihrer Partnerinnen, die sie häufig davon überzeugen konnten, dennoch Kinder zu bekommen (Cuyvers/Kalle 2002). Vaterschaft und Elternschaft sind damit von einer Selbstverständlichkeit im männlichen Lebenslauf zu einer Aushandlungssache geworden, in der letztlich verschiedene Argumente, individuelle Vorstellungen und mindestens zwei unterschiedliche Lebensentwürfe miteinander in Einklang gebracht werden müssen. Wenn der Partner kein Kind möchte und seine Partnerin davon überzeugt, oder wenn das Paar keinen Konsens auf dem Weg in die Elternschaft findet, bleibt es kinderlos - was häufig zu dauerhaften Konflikten oder auch zur Trennung führt. Alleingänge wie etwa das unabgesprochene Absetzen der Verhütung werden als nicht legitim angesehen, auch wenn sie im Einzelfall vorkommen (Cornelissen u.a. 2016).

Kinder zu haben wird aus einem institutionalisierten männlichen Lebenslauf herausgelöst. Sich trotz dieser Unsicherheit für Kinder zu entscheiden, erfordert nicht nur Mut, sondern auch die Bereitschaft, sein eigenes Leben komplett zu verändern.


Die Autorin

Dr. Anna Buschmeyer ist Soziologin und wissenschaftliche Referentin der Arbeitsstelle Gender des Deutschen Jugendinstituts. Sie forscht unter anderem über Männer und Männlichkeit, etwa im Feld der Kinderbetreuung, und hat in den letzten Jahren unter anderem im Forschungsprojekt »Wege in die Elternschaft« mitgearbeitet und dort die Perspektive auf Gender und insbesondere Männlichkeit eingebracht.
Kontakt: buschmeyer@dji.de


Literatur

BAUER, GERRIT / KNEIP, THORSTEN (2013): Fertility from a couple perspective: A test of competing decision rules on proceptive behaviour. In: European Sociological Review, Heft 29, S. 535-548

CORNELISSEN, WALTRAUD / ABEDIEH, JASMIN / LANGMEYER-TORNIER, ALEXANDRA (2016): Wege in die Elternschaft. Kein Kind ohne Kinderwunsch seiner Eltern? Im Erscheinen

CUYVERS, PETER / KALLE, PIETER (2002): Caring for the next generation. Family life cycle, income and fertility decisions. Netherlands Family Council Study Series

LENGERSDORF, DIANA / MEUSER, MICHAEL (2010): Wandel von Arbeit - Wandel von Männlichkeiten. In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie, Heft 2, S. 89-103

SCHMITT, CHRISTIAN / WINKELMANN, ULRIKE (2005): Wer bleibt kinderlos? Sozialstrukturelle Daten zur Kinderlosigkeit von Frauen und Männern. Discussion Paper 473, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung. Im Internet verfügbar unter:
www.diw.de/sixcms/detail.php?id=diw_02.c.230829.de
(Zugriff 24.05.2016)

TOLASCH, EVA (2016): Die protokollierte gute Mutter in Kindstötungsakten. Eine diskursanalytische Untersuchung. Wiesbaden

ZERLE-ELSÄSSER, CLAUDIA (2015): Wer wird Vater und wann? Zur Kinderlosigkeit von Männern und dem Timing einer ersten Vaterschaft im Lebenslauf. Berlin

ZERLE, CLAUDIA / KROK, ISABELLE (2008): Null Bock auf Familie? Der schwierige Weg junger Männer in die Vaterschaft. Gütersloh

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Quelle:
DJI Impulse - Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 1/2016 - Nr. 112, S. 23-25
Herausgeber: Deutsches Jugendinstitut e.V.
Nockherstraße 2, 81541 München
Telefon: 089/6 23 06-140, Fax: 089/6 23 06-265
Internet: www.dji.de, www.dji.de/impulse
 
DJI Impulse erscheint viermal im Jahr.
Die Printausgabe von DJI Impulse kann kostenlos bestellt
und auf Wunsch auch abonniert werden unter impulse@dji.de.


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. August 2016

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