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JUGEND/042: Jugendliche - eine aussterbende Spezies? (Portal - Uni Potsdam)


Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung 4-5/2007

Jugendliche - eine aussterbende Spezies?
Potsdamer Forscher nehmen junge Generation ins Blickfeld

Von Dr. Barbara Eckardt


Nur jeder zweite Deutsche konnte 2003 etwas mit dem Begriff demographischer Wandel anfangen. Heute ist dieses Phänomen in aller Munde. Die Bevölkerung in Deutschland wird nach statistischen Berechnungen bis zum Jahre 2050 um rund sieben Millionen, also auf 75 Millionen, schrumpfen. Die Jugend wird zum knappen Gut. Diese Entwicklung verändert die Gesellschaft in nahezu allen Bereichen spürbar.

Bisher standen in diesem Zusammenhang vor allem die ökonomischen und kommunalpolitischen Aspekte im Vordergrund der Diskussion. Prof. Dr. Wilfried Schubarth aus dem Institut für Erziehungswissenschaft möchte andere Akzente setzen und die Perspektiven der Jugendlichen in den Mittelpunkt rücken.

Zu den Fragen, die dabei interessieren, gehört, wie sich der Stellenwert der Jugend angesichts des demografischen Wandels verändert. Wird ihr Einfluss schwinden? Werden Betriebe, Institutionen, Parteien stärker um Jugendliche konkurrierend Fraglich ist ebenso, wie sich der demografische Wandel auf verschiedene Gruppen von Jugendlichen auswirkt, beispielsweise auf die junge Elite oder auf bildungsferne Jugendliche.

Der Professor für Erziehungs- und Sozialtheorie möchte den Blick für Jugendliche, für ihre Lebenslagen, Lebenskonzepte und Ängste schärfen. "Wir wollen damit zugleich dem Strukturproblem von Demokratien, der generellen Bevorzugung der Gegenwart und der Vernachlässigung der Zukunft, also dem Denken in Wahlperioden, begegnen", so Schubarth. In Gesprächen und Interviews in der brandenburgischen Uckermark wird die Alltagswelt junger Leute untersucht. Für eine Studie befragt Wilfried Schubarth gemeinsam mit Studierenden nicht nur die Jugendlichen selbst, sondern ebenso Bürgermeister, Pfarrer, Jugendvertreter und Lehrer. Es soll herausgefunden werden, wie Jugendliche in schwach entwickelten Regionen mit dieser Situation umgehen, wie sie sich auf ihre Lebenssituation, ihre Perspektive auswirkt. "Es ist jetzt schon so, dass sich viele Jugendlichen nicht wahr genommen fühlen, dass sie keine Lobby haben", sagt Schubarth. Andererseits würden ihnen immer mehr Lasten aufgebürdet, sie hätten es schwer, eigene Wege zu finden.

Bleiben oder Weggehen, das sei die zentrale Frage für die meisten von ihnen. Die Deindustrialisierung der Flächenländer beschleunigt den Abwanderungsprozess. Viele gehen weg, aber Tatsache sei auch, dass ein nicht geringer Teil aus Heimatverbundenheit bleiben wolle. Den Jugendlichen gefällt es in ihrem Dorf oder ihrer Stadt, sie haben soziale Kontakte und sind familiär verwurzelt. Aber die Suche nach einem Job oder einer Lehrstelle gestalte sich so schwer, dass auch diese jungen Leute häufig aus Perspektivlosigkeit wider eigenem Willen ihre Heimat verlassen. Hier müsse angesetzt werden und nach Freizeit- und Bildungsangeboten für die Jugendlichen gesucht werden, etwa in Jugendclubs, in der Feuerwehr oder in der Schule. Gerade auch angesichts des drohenden Fachkräftemangels in Ostdeutschland sei die Investition in Bildung von existenzieller Bedeutung.

Forschungen in dieser Region zeigen, so Schubarth, dass Jugendliche zu wenige Informationen darüber erhalten, wie sie ihre Perspektiven gestalten können, oft habe die Region ein schlechtes Image. So arbeite beispielsweise die Wirtschaft ungenügend mit den Schulen zusammen, um Zukunftschancen aufzuzeigen und damit den Abwanderungstrend zu stoppen. Schubarth ist sich sicher, dass motivierte Jugendliche, die Unterstützung erfahren, zumindest eine bestimmte Zeit in der Region gehalten werden können. Jugendliche seien viel stärker beispielsweise in Gemeinderäte einzubinden, damit ihre Interessen Gehör finden.

Wichtig ist den Forschern die Untersuchung des Verhältnisses der Generationen. Auch wenn nach den neuesten Ergebnissen der Shell-Jugendstudie kein "Krieg der Generationen" zu befürchten ist, gibt es alarmierende Signale. Denn 70 Prozent der Jugendlichen sehen in der Überalterung der Gesellschaft ein großes Problem und rund die Hälfte beurteilt das Verhältnis zur älteren Generation als angespannt. Deshalb erachten es die Forscher als unabdingbar, den Dialog zwischen jüngeren und Älteren, zwischen Wissenschaft und Praxis, zwischen unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen zu fördern. "Das solidarische Miteinander der Generationen und die Suche nach Ansätzen für gemeinsame Perspektiven sind dabei wichtige Ansätze", so Schubarth. In diese Richtung sind in der letzten Zeit im Land Brandenburg eine Reihe von Initiativen entwickelt worden, so beispielsweise das Jugendprogramm "Zeitensprünge", in dessen Rahmen sich Jugendliche mit der Geschichte ihrer Heimatregion auseinandersetzen. Es gibt weiterhin Projekte zur Berufsfrühförderung, beispielsweise die "MädchenZukunftsWerkstatt", oder Projekte zu Berufsperspektiven in Brandenburg, wie "Perspektiven für junge qualifizierte Frauen in Brandenburger Unternehmen" oder "Aktionen für Jugend und Arbeit" und "junge Leute machen sich selbstständig".


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Quelle:
Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung Nr. 4-5/2007, Seite 33
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2007