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JUGEND/086: Treffpunkt Facebook (DJI Impulse)


DJI Impulse
Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 3/2013 - Nr. 103

Treffpunkt Facebook
Soziale Netzwerke sind bei Jugendlichen das wichtigste Kommunikationsmittel. Dass sie dadurch vereinsamen könnten, muss aber nicht befürchtet werden.

von Michael Holzmayer



Soziale Netzwerke werden in erster Linie nicht dazu genutzt, neue Freunde zu finden, sondern um bereits vorhandene »Offline-Freunde« im sogenannten realen Leben auch in der »Online-Welt« zu treffen (Boyd/Ellison 2007). Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass es so zu einer Verschmelzung dieser beiden scheinbar getrennten Lebenswelten kommt (Neumann-Braun/Autenrieth 2011; Bundesministerium für Frauen, Senioren, Familie und Jugend 2013). Ereignisse in realen Lebenswelten werden häufig online nachbesprochen, während die nächsten Party-, Konzert- oder Kinobesuche vorbesprochen und organisiert werden.

Die Daten der Studie »Medien, Kultur und Sport bei jungen Menschen« (MediKuS), die vom Deutschen Jugendinstitut und dem Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung durchgeführt wurde, bestätigen diese Annahme der Entgrenzung (Grgic/Züchner 2013). Demnach haben die Befragten im Alter von 9 bis 24 Jahren zu 90 Prozent Freundschaften, die sie auf Sozialen Netzwerkseiten pflegen und auch persönlich treffen. Dies zeigt, dass junge Menschen die Medien dazu nutzen, sich mit Gleichaltrigengruppen zu vernetzen und mit ihnen zu kommunizieren.

Mit Freunden können junge Menschen auf einer anderen Ebene Erfahrungen sammeln und Verhaltensweisen einüben, als sie dies in hierarchisch strukturierten Gruppen wie Familie oder Schule könnten (Alt/Bayer 2012). Peergroups tragen deshalb wesentlich zur Identitätsentwicklung bei. Neue Medien unterstützen diesen Prozess sowohl durch ihre nahezu ständige Verfügbarkeit als auch durch ihr attraktives Angebot: Es schafft im Leben junger Menschen neue Lebensräume, in die diese sich zurückziehen und abseits der Erwachsenenwelt ihre Persönlichkeit formen können (Süss/Hipeli 2010). Soziale Netzwerke bieten über Kommentarfunktionen und Statusmeldungen zusätzlich eine Art »Peer-Review-System«, in dem Jugendliche Identitätsentwürfe und Lebensstile austesten und Feedback von Gleichaltrigen bekommen (Neumann-Braun/Autenrieth 2011). Sie können etwa das YouTube-Video vom neuen Lieblingslied auf die Pinnwand stellen, das von Freundinnen und Freunden angesehen und kommentiert wird. Dadurch entstehen halb-öffentliche Diskussionen, die zur Identitätsentwicklung beitragen.


Soziale Netzwerke werden vor allem von Jugendlichen in Cliquen benutzt

In der MediKuS-Studie wurde die Zugehörigkeit zu einer Clique als Indikator für die Vernetzung junger Menschen in Gleichaltrigengruppen verwendet. Diese Vorgehensweise hat sich bereits bei der Studie »Medienhandeln Jugendlicher« (Meister u.a. 2009) oder dem Kindersurvey (Zinnecker/Silbereisen 1996) bewährt. Als Cliquen werden Gleichaltrigengruppen verstanden, die lokal begrenzt sind und sich in der Regel aus Freundinnen und Freunden aus der Schule, der Nachbarschaft oder dem Sportverein zusammensetzen (Tillmann/Vollbrecht 2006).

Im Folgenden werden die 13- bis 17-Jährigen genauer analysiert, da Soziale Netzwerke und Peers bei Jugendlichen eine wichtige Rolle für die Identitätsentwicklung spielen: 72 Prozent der Mädchen und Jungen dieser Altersgruppe fühlen sich einer Clique zugehörig. Jugendliche, die einer Clique angehören, sind zu einem höheren Anteil täglich online (70 Prozent) als jene, die sich keiner Clique zugehörig fühlen (61 Prozent). Auch übt die Cliquenzugehörigkeit einen größeren Einfluss auf die Internetnutzung aus als andere Faktoren wie Alter, Geschlecht oder »kulturelles Kapital« im Elternhaus. So nutzen 62 Prozent der Cliquenmitglieder Soziale Netzwerke wie Facebook, Google+ oder Xing häufig, während diese nur von 46 Prozent derjenigen Jugendlichen genutzt werden, die sich keiner Clique zugehörig fühlen. Das treibende Motiv für die Nutzung von Sozialen Netzwerken ist, Kontakt mit Freunden zu haben. Motive wie Langeweile oder das Kennenlernen neuer Freunde spielen dagegen eine untergeordnete Rolle.

Soziale Netzwerke bieten Möglichkeiten, die vor einigen Jahren noch undenkbar waren. Durch sie können viele Bekannte auch online erreicht und sichtbar gemacht werden. Über Facebook und andere Netzwerke ist es wesentlich einfacher, mit Freundinnen und Freunden in Verbindung zu treten, zu denen man nur selten persönlichen Kontakt hat. Ebenso lassen sich frühere Mitschülerinnen und Mitschüler wiederfinden oder »eingeschlafene« Freundschaften zu neuem Leben erwecken.


Stärkere Mediennutzung führt nicht zur Vereinsamung Jugendlicher

Persönliche Treffen sind nach wie vor die häufigste Kommunikationsform für junge Menschen. 75 Prozent der 13- bis 17-Jährigen treffen sich »häufig« mit Freundinnen und Freunden. Die face-to-face-Kommunikation ist demnach die beliebteste Art, sich auszutauschen. Das zeigt, dass die zunehmende Mediennutzung nicht als Gefahr für die Vereinsamung junger Menschen gesehen werden kann. Es sollte deshalb weniger von »Vereinsamung durch das Internet« gesprochen werden, sondern vielmehr von »Verstärkung sozialer Beziehungen durch das Internet« und der damit verbundenen »Verwurzelung der 'Online-Welt' mit der 'Offline-Welt'«. Es überrascht aber, dass Soziale Netzwerke für die Kommunikation mit Freundinnen und Freunden mittlerweile häufiger genutzt werden als SMS oder Telefonate, die bei Jugendlichen weiterhin sehr beliebt sind.

Offensichtlich findet gegenwärtig ein Bedeutungswandel der verschiedenen Kommunikationsformen statt, bei dem internetabhängige Dienste wie Soziale Netzwerke und »Instant Messaging« (Programme wie etwa »WhatsApp« oder »Skype«, mit denen sich Nutzerinnen und Nutzer gratis Kurznachrichten schicken können) herkömmliche Dienste wie SMS oder Telefonate in ihrer Wichtigkeit ablösen. Zwar werden SMS-Nachrichten voraussichtlich auch in den nächsten Jahren nicht verschwinden, es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die internetabhängige Kommunikation weiter an Bedeutung gewinnen wird. Die Gründe für diese Verschiebung in der Rangfolge liegen in der ansteigenden Verbreitung von Smartphones, den dazugehörigen Internetflatrates und den damit verbundenen Downloads von Apps der jeweiligen Netzwerkdienste (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2012).

Viele Eltern sind besorgt, wenn ihre Kinder stundenlang vor dem Computer sitzen. Das Internet bietet viele Möglichkeiten für nicht-altersgerechte und auch gefährliche Inhalte und Kontakte. Im Zusammenhang mit negativen Erfahrungen im Internet zeigen sich große Altersunterschiede, die sich mit der stärkeren Nutzung der »Online-Welt« mit zunehmendem Alter erklären lassen. Laut einer Studie des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) sind 6 Prozent der 10- bis 12-Jährigen und bereits 29 Prozent der 16- bis 18-Jährigen im Internet beleidigt oder belästigt worden (Bitkom 2011).

Cybermobbing ist ein Phänomen, das wegen der Anonymität und der enormen Reichweite und Schnelllebigkeit des Internets für mögliche Täterinnen und Täter eine besondere Plattform bietet. Die Anonymität erleichtert auch die Kontaktaufnahme und das Arrangieren von persönlichen Treffen mit Jugendlichen. Nach den Daten der MediKuS-Studie sind in der Altersgruppe von 13 bis 17 Jahren 11 Prozent der Mädchen und 2 Prozent der Jungen sexuell belästigt worden (Holzmayer 2013).


Je mehr Medienkompetenz Jugendliche haben, desto geringer sind die Risiken

Dennoch dürfen Neue Medien nicht von Grund auf als negativ betrachtet werden. Wenn sich junge Menschen in der »Online«-Welt bewegen, sind sie - wie auch in der »Offline«-Welt - Gefahren und Risiken ausgesetzt. Aber: »Nicht das Netz als solches ist gut oder böse - allenfalls seine Inhalte« (Begemann u.a. 2011, S. 29). Die Ergebnisse verschiedener Studien machen deutlich, dass verstärkte Aufklärungsarbeit notwendig ist, sowohl bei den Kindern und Jugendlichen als auch bei deren Eltern. Risikoreiches Verhalten im Internet, wie etwa der offene Umgang mit persönlichen Daten, ist zumeist Resultat mangelnder Medienkompetenz, die gefördert werden muss. Sowohl Jugendliche als auch Eltern sollten sich dieser Gefahren im Netz bewusst sein und über die notwendige Vorsicht und Kompetenz verfügen, um solche Risiken zu erkennen und folglich auch zu vermeiden.

Neue Medien werden nicht selten als Beziehungs- und Sozialitätsstifter gesehen (Lange/Theunert 2008). Teilweise wird sogar vermutet, dass der Einfluss der klassischen Sozialisationsinstanzen wie Familie oder Schule stark geschmälert wird und die Neuen Medien neben den Gleichaltrigengruppen ins »Zentrum aller Erziehungs- und Sozialisationsmilieus« rücken (Ferchhoff 2010, S. 192). Berücksichtigt man die Ergebnisse der MediKuS-Studie, so zeigt sich, dass Neue Medien weniger als eigenständige Sozialisationsinstanz gesehen werden können, sondern ein Kommunikationsmedium sind, durch das der Einfluss der Gleichaltrigengruppe gestärkt wird.


DER AUTOR

Michael Holzmayer war wissenschaftlicher Referent am Deutschen Jugendinstitut im Projekt »Medien, Kultur und Sport« (MediKuS). Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Medien und Sport in Kindheit und Jugend sowie in der Identitäts- und Sozialisationsforschung.
Kontakt: michael.holzmayer@gmx.at


LITERATUR

ALT, CHRISTIAN/BAYER, MICHAEL (2012): Aufwachsen in Disparitäten. Zur Armut von Kindern und ihren Folgen. In: Rauschenbach, Thomas/Walter Bien (Hrsg.): Aufwachsen in Deutschland. AID:A - Der neue DJI-Survey. Weinheim/Basel, S. 100-118

BITKOM (2011): Jugend 2.0. Eine repräsentative Untersuchung zum Internetverhalten von 10- bis 18-Jährigen. Im Internet verfügbar unter:
www.bitkom.org/files/documents/bitkom_Studie_Jugend_2.0.pdf
(Zugriff: 06.08.2013)

BOYD, DANAH/ELLISON, NICOLE B. (2007): Social network sites: Definition, history, and scholarship. In: Journal of Computer-Mediated Communication, Nr. 1, Artikel 11. Im Internet verfügbar unter:
jcmc.indiana.edu/vol13/issue1/boyd.ellison.html
(Zugriff: 22.05.2013).

BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND (BMFSFJ; 2013): 14. Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Bestrebungen und Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Berlin

FERCHHOFF, WILFRIED (2010): Mediensozialisation in Gleichaltrigengruppen. In: Vollbrecht, Ralf/Wegener, Claudia (Hrsg.): Handbuch Mediensozialisation. Wiesbaden, S. 192-200

GRGIC, MARIANA/ZÜCHNER, IVO (2013): Medien, Kultur und Sport. Was Kinder und Jugendliche machen und ihnen wichtig ist. Die MediKuS-Studie. Weinheim/Basel

HOLZMAYER, MICHAEL (2013): Neue Medien im Aufwachsen junger Menschen. In: Grgic, Mariana/Züchner, Ivo (Hrsg.): Medien, Kultur und Sport. Was Kinder und Jugendliche machen und ihnen wichtig ist. Die MediKuS-Studie. Weinheim/Basel, S. 139-191

LANGE, ANDREAS/THEUNERT, HELGA (2008): Popularkultur und Medien als Sozialisationsagenturen. Jugendliche zwischen souverän-eigensinniger und instrumentalisierender Subjektivierung. In: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, Heft 3, S. 231-242

MEDIENPÄDAGOGISCHER FORSCHUNGSVERBUND SÜDWEST (MPFS) (2012): JIM-Studie 2012. Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. Stuttgart. Im Internet verfügbar unter:
www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf12/JIM2012_Endversion.pdf
(Zugriff: 07.08.2013)

MEISTER, M. DOROTHEE/MEISE, BIANCA/NEUDERT, SIEGLINDE (2009): Das Handy als Technologie sozialer Raumaneignung Jugendlicher. Empirische Befunde zum Medienhandeln Jugendlicher. In: Tully, Claus J. (Hrsg.): Multilokalität und Vernetzung. Beiträge zur technikbasierten Gestaltung jugendlicher Sozialräume. Weinheim/München, S. 41-58

NEUMANN-BRAUN, KLAUS/AUTENRIETH, ULLA P. (2011): Zur Einleitung: Soziale Beziehungen im Web 2.0 und deren Visualisierungen. In: Neumann-Braun, Klaus/Autenrieth, Ulla P. (Hrsg.): Freundschaft und Gemeinschaft im Social Web: bildbezogenes Handeln und Peergroup-Kommunikation auf Facebook & Co. Baden-Baden, S. 9-30

SÜSS, DANIEL/HIPELI, EVELINE (2010): Medien im Jugendalter. In: Vollbrecht, Ralf/Wegener, Claudia (Hrsg.): Handbuch Mediensozialisation. Wiesbaden, S. 142-150

TILLMANN, ANGELA/VOLLBRECHT, RALF (2006): Cliquen, Jugendkultur und Medien. In: medien+erziehung. Zeitschrift für Medienpädagogik, Heft 4, S. 22-27

ZINNECKER, JÜRGEN/SILBEREISEN, RAINER K. (1996): Kindheit in Deutschland. Aktueller Survey über Kinder und ihre Eltern. Weinheim/München


DJI Impulse 3/2013 - Das komplette Heft finden Sie im Internet als PDF-Datei unter:
www.dji.de/impulse

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Quelle:
DJI Impulse - Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 3/2013 - Nr. 103, S. 33-35
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2013