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MELDUNG/042: Literaturhinweis - Behutsame Einführung in die sagenumwobene Systemtheorie (idw)


Universität Witten/Herdecke - 09.03.2016

Behutsame Einführung in die sagenumwobene Systemtheorie

Dirk Baecker stellt in seinem neuen Buch "Wozu Theorie?" seine schon traditionelle Wozu-Frage diesmal an die Wissenschaft


In seinem neuen Buch "Wozu Theorie?" stellt Prof. Dr. Dirk Baecker, Soziologe und Inhaber des Lehrstuhls für Kulturtheorie und Management an der Universität Witten/Herdecke (UW/H) die Frage nach der Rolle der Wissenschaft: Wie kann Wissenschaft in einer Gesellschaft ihre Unabhängigkeit bewahren und gleichzeitig immer wieder offen sein, ihre Funktion und Leistung für die Gesellschaft hinterfragen zu lassen. Baecker knüpft damit an seine früheren Bücher "Wozu Kultur?" "Wozu Systeme?", "Wozu Soziologie?", Wozu Gesellschaft?" und "Wozu Theater?" an. Selbstironisch verweist er im Vorwort auf die eigentliche Frage dahinter: "Wozu Baecker?"


Die Antwort auf die so einfach und nach Kinderfernsehen klingenden Fragen wird dann aber doch schnell komplex, und darum braucht es eben Baecker: Als Schüler von Niklas Luhmann darf er als Vertreter der Systemtheorie gelten, die ja liebgewordene Denkmuster wie zielgerichtetes, kausales Handeln noch dazu eines Subjektes über den Haufen geworfen hat. Und so darf man erwarten, dass einem die neuen Ideen auch mal neu und im Detail erklärt werden. Daran arbeitet Baecker auch in diesem Band. An Theorien ist für ihn praktisch, dass sie Erklärungen bieten. Aber bitte nicht so trivial wie "Die Tasse ist kaputt, weil sie runtergefallen ist." Erklärungen möchte Baecker immer als Hypothese verstanden wissen, die innerhalb klar definierter Grenzen so lange gilt, bis eine bessere gefunden ist. Er lädt dazu ein, Theorien auf die Stichhaltigkeit ihrer Grundannahmen hin abzuklopfen und auch ruhig mal bis in die feinsten Verästelungen nachzuvollziehen. Denn schließlich wäre es ja grob fahrlässig anzunehmen, dass sie ausgerechnet in ihrem Kern ihre Schwäche hätten. Nein, um eine Theorie zu zerpflücken, müsse man sich schon etwas mehr Mühe geben.

Und Baecker führt die Kategorie des Misstrauens ein: In der Systemtheorie ist das, was der Beobachter sieht, nicht unabhängig von eben diesem Beobachter zu denken. Eine ordentliche Theorie also misstraut den Gegenständen und dem Beobachter, vulgo Forscher, gleichermaßen. Und schon hat sie nicht mehr ein, sondern schon zwei Probleme. Was also kann Systemtheorie leisten? Was nicht? Wie ist das mit den rekursiven Zirkeln, die jede frisch gewonnene Unterscheidung von Funktionen erster, zweiter oder dritter Ordnung prompt im nächsten Augenblick zusammenbrechen lassen und den Forscher mit einer Paradoxie ausbremsen?

Fragen dieser Art bewegt der Band, der sich mit der Handlungstheorie ebenso auseinandersetzt wie mit der Netzwerktheorie, der nach der Rolle von Selbstreferenz und Negation ebenso fragt wie nach der Bedeutung von Autoren wie Georg Wilhelm Friedrich Hegel oder George Spencer-Brown. Ein neues Zeichen gelte es einzuführen, so vielleicht die praktischste Konsequenz aus Baeckers Überlegungen, das von Spencer-Brown eingeführte Zeichen für die Zweiseitenform einer Unterscheidung. Und dann gibt es da noch ein Kapitel unter der Überschrift "Es gibt keine sozialen Systeme". Kündigt Baecker seinem Lehrer Luhmann die Gefolgschaft? Natürlich nicht, aber lesen Sie selbst.


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Die Universität Witten/Herdecke (UW/H) nimmt seit ihrer Gründung 1982 eine Vorreiterrolle in der deutschen Bildungslandschaft ein: Als Modelluniversität mit rund 2.200 Studierenden in den Bereichen Gesundheit, Wirtschaft und Kultur steht die UW/H für eine Reform der klassischen Alma Mater. Wissensvermittlung geht an der UW/H immer Hand in Hand mit Werteorientierung und Persönlichkeitsentwicklung.

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Witten/Herdecke, Kay Gropp, 09.03.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2016

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