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MELDUNG/112: Nach erbittertem Kampf gewinnt Susianna Kentikian gegen Nadia Raoui (SB)



Umstrittener Punktsieg und Wortgefecht auf der Pressekonferenz

Vor 5.000 Zuschauern in der ausverkauften Sporthalle Hamburg hat Susianna Kentikian die Titel der Verbände WIBF, WBA und WBO im Fliegengewicht erfolgreich verteidigt. Die 22 Jahre alte Lokalmatadorin besiegte Nadia Raoui aus Herne umstritten nach Punkten (96:94, 96:94, 95:96) und gewann damit auch ihren 27. Profikampf. In ihrem dreizehnten Weltmeisterschaftskampf mußte sich die Favoritin jedoch nicht nur gegen erbitterten Widerstand durchsetzen, sondern sich am Ende auch Pfiffe des Publikums gefallen lassen, das in Teilen mit dem Urteil nicht einverstanden war. Ein Unentschieden, bei dem die Hamburgerin ebenfalls ihre Gürtel behalten hätte, wäre nach Meinung vieler wohl angemessener gewesen.

Die 24 Jahre alte Gegnerin lieferte ihr einen beherzten Kampf, der durchweg von Spannung und hohem Tempo gekennzeichnet war. Nadia Raoui mußte sich in ihrem dreizehnten Profikampf erstmals geschlagen geben, wobei sie im Dezember 2008 unentschieden gegen die US-Amerikanerin Eileen Olszewski geboxt hatte. Trotz der Niederlage behält sie die Titel der Verbände WIBA und WPBO, die nicht zur Disposition standen.

Die Kontrahentinnen gingen von Beginn an furios zur Sache, wobei die Titelverteidigerin leichte Vorteile für sich verbuchen konnte, da ihre Treffer härter und präziser waren. Doch auch Nadia Raoui marschierte beherzt voran und verpaßte Susianna Kentikian etliche Schläge. Beide boxten durchweg verbissen, temporeich und mit hoher Schlagfrequenz. Nadia Raoui zeigte keinen Respekt vor der Erfahrung ihrer Gegnerin und teilte Fuß an Fuß heftig aus, wie sie auch zahlreiche Treffer unbeirrt wegzustecken verstand.

Von der turbulenten sechsten Runde an fand die Herausforderin immer besser in den Kampf und setzte Susianna Kentikian enorm unter Druck, die man selten so in Bedrängnis gesehen hatte. Von ihrer besorgten Ecke angespornt, gelang es der Hamburgerin, im letzten Durchgang die klareren Treffer zu setzen und die Punktrichter zu überzeugen.

Hatten sich die Gegnerinnen unmittelbar nach dem Schlußgong noch herzlich umarmt, so beharkten sie einander auf der nachfolgenden Pressekonferenz leidenschaftlich weiter. "Sie war gut, aber nicht besser. Deshalb hat es nicht gereicht", funkelte Susianna Kentikian die Kontrahentin über die vor ihr aufgebauten drei Weltmeistergürtel hinweg an. "Ich hatte mehr Treffer und habe sie beherrscht", hielt Nadia Raoui dagegen. "Ich habe vorher geahnt, daß ich doppelt gewinnen muß, aber selbst das hat nicht gereicht. Ich habe den Kampf sehr eindeutig gesehen - ich habe den Kampf ganz klar gewonnen und ich denke, das haben die Zuschauer auch so gesehen. Ich war super zufrieden und hätte noch locker ein paar Runden dranhängen können."

"Ich bin sehr zufrieden, es war ein aufregender Tag und ein tolles Gefühl einen Live-Kampf im ZDF zu bestreiten. Ich strebe jetzt eine Titelvereinigung an und möchte auch noch den WBC-Gürtel gewinnen", umriß die Hamburgerin ihre weiteren Pläne. "Bevor sie an den vierten Gürtel denkt, soll sie erstmal besser boxen", widersprach ihr Nadia Raoui angriffslustig.

Der zwischen den Boxerinnen sitzende Promoter Klaus-Peter Kohl versuchte die Wogen zu glätten, indem er eine Revanche in Aussicht stellte: "Wir denken über ein Rematch nach." Dabei zog er auch eine vertragliche Vereinbarung mit Raoui über weitere Kämpfe in Betracht: "Sie hat sich empfohlen."

Trainer Magomed Schaburow sah Susianna Kentikian in Front: "Wir haben den Kampf gewonnen, wir können den Kampf aber besser gewinnen. Nadia hat mitgehalten - mehr nicht. Für mich lag Susi zwei bis drei Punkte vorne. Susi hätte mehr Druck aufbauen können, sie hat noch härter treffen und mehr nachsetzen können. Nadia boxt wie ein Batteriehase und das hat die Punktrichter und die Zuschauer vermeintlich beeindruckt."

Dem widersprach sein Trainerkollege Dietmar Berg: "Zum Ende hatte ich den Kampf für uns mit drei Runden vorne. Ich hatte den Eindruck, daß Nadia alles, was wir im Training geübt hatten, umsetzen konnte und auch mehr Treffer plaziert hat. Vielleicht sieht man sich noch mal wieder im Ring."


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Jürgen Brähmer läßt Mariano Nicolas Plotinski keine Chance

Zuvor hatte Weltmeister Jürgen Brähmer im zweiten Hauptkampf des Abends seinen Titel der WBO im Halbschwergewicht souverän verteidigt. Der Schweriner besiegte Mariano Nicolas Plotinski aus Argentinien durch technischen K.o. in der fünften Runde, da Ringrichter Paul Thomas aus Großbritannien den Kampf nach einer Schlagserie wegen zu großer Überlegenheit abbrach. Durch seine zweite erfolgreiche Titelverteidigung verbesserte der 31jährige Brähmer seine Bilanz auf 37 Siege bei zwei Niederlagen und gewann zum 29. mal vorzeitig. Hingegen verließ der vier Jahre ältere Plotinski in seinem 20. Kampf zum viertenmal als Verlierer den Ring.

Brähmer agierte kühl und überlegt wie selten. Er legte sich den Herausforderer vier Runden lang zurecht, um ihn dann in der fünften Runde derart mit Schlägen einzudecken, daß der Abbruch die angemessene Entscheidung war. "Der letzte Kampf war wohl genau richtig zum Lernen, auch wenn es wehgetan hat. Heute konnte ich von Runde zu Runde immer mehr Tempo machen und mich immer mehr steigern. Ich habe mich sehr gut gefühlt - ich denke, das konnte man auch sehen. Ich habe mich gewundert, wie viele Treffer Plotinsky zu Beginn genommen hat", zog der Schweriner zufrieden Bilanz, auf den nun nach den Worten Klaus-Peter Kohls die richtig großen Gegner warten.

"Mit einem Sieg kann man immer zufrieden sein", fügte sein Trainer Michael Timm hinzu. "Heute war die gewünschte Variabilität und Explosivität da, Jürgen hat den Kampf klar bestimmt."

Der unterlegene Mariano Nicolas Plotinsky sprach von einem großen Kampf, in dem er leider nicht zeigen konnte, was tatsächlich in ihm steckt. "Ich fühlte mich heute auf Grund der anstrengenden Anreise ziemlich schlapp, aber das soll keine Entschuldigung sein."


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Erfreuliche Bilanz des Universum-Boxstalls

Auch mit den Ergebnissen der Vorkämpfe konnte man aus Sicht des Hamburger Universum-Boxstalls sehr zufrieden sein. Der mit viel Vorschußlorbeeren bedachte Jack Culcay machte kurzen Prozeß mit dem überforderten Franzosen Sylvestre Mariani, der sich nach einem heftigen Schlaghagel des Darmstädters bereits in der ersten Runde geschlagen geben mußte. Damit hat der talentierte Halbmittelgewichtler auch seinen dritten Profikampf auf überzeugende Weise gewonnen.

Souverän durchsetzen konnte sich auch Rachim Tschachkijew im Cruisergewicht, obgleich sein letzter Auftritt, bei dem er das Magdeburger Publikum begeistert hatte, erst eine Woche zurücklag. Der Olympiasieger im Schwergewicht 2008 schlug den Slowaken Slavomir Selicky bereits in der ersten Runde nieder und beendete seinen Auftritt in Kurzarbeit. Der 27jährige hat nun fünf Profikämpfe gewonnen und soll seinem Können entsprechend weiter zügig aufgebaut werden.

Im Schwergewicht trafen die Teamkollegen Christian Hammer und Markus Tomala aufeinander. Die beiden begannen ausgeglichen, was sich auch im weiteren Verlauf fortsetzte und in der abschließenden vierten Runde in einem offenen Schlagabtausch gipfelte. Am Ende hatte der von Michael Timm trainierte Christian Hammer knapp die Nase vorn.

Einen Rückschlag hinnehmen mußte der Jungprofi Arthur Matern. Nachdem er zunächst deutlich dominiert hatte, überraschte ihn eine Rechte des erfahren Jurijs Boreiko aus Lettland zum Ende der zweiten Runde. Vom Ringrichter angezählt, konnte sich Matern in die Pause retten. Seine Ecke warf jedoch zum Schutz ihres Boxers das Handtuch, der damit im fünften Kampf die erste Niederlage bezog.

Promoter Klaus-Peter Kohl konnte auf der nachfolgenden Pressekonferenz eine insgesamt positive Bilanz der "Universum Champions Night" ziehen, wobei er sich auch beiläufig zur Zukunft seines Unternehmens äußerte: "Wir haben heute einen tollen Kampfabend vor ausverkauftem Haus erlebt. Das ist natürlich toll. Wir hätten gerne in einer größeren Halle veranstaltet, dann hätten wir noch mehr Karten verkaufen können. Jürgens Stabilität wird immer größer, und dann brauchen wir auch keine Angst vor den ganz großen Kämpfen zu haben. Das Ziel ist sicherlich eine Titelvereinigung. Der Frauenkampf war - wie erwartet - ein toller Kampf. Auf den Punktzetteln stand es nach acht Runden unentschieden. Die neunte Runde hat Susi gewonnen, die zehnte war denkbar knapp. Ich versuche das objektiv zu sehen und nicht durch die rosarote Brille. Ich habe weder Susi noch Nadia mit drei Punkten vorne gesehen, aber gewonnen hat Nadia meiner Meinung nach nicht. Wir denken ernsthaft über ein Rematch nach - beide Kämpferinnen sind sehr, sehr überzeugt von sich. Zu unserer Zukunft momentan nur soviel: Wir werden uns nicht unter Wert verkaufen. Es wird weitergehen. Wir haben unseren adidas-Vertrag um weitere drei Jahre verlängert, die wohl keinen Vertrag verlängern würden, wenn es nicht irgendwie weitergehen würde."

26. April 2010