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MELDUNG/275: Budenzauber - Shannon Briggs wütet, Klitschko kontert kühl (SB)



Fehde mit verteilten Rollen auf der Pressekonferenz

Auch im Alter von mittlerweile 39 Jahren denkt Vitali Klitschko nicht daran, die Boxhandschuhe an den Nagel zu hängen. Zwar gebe es unzählige Gründe, die Karriere zu beenden, doch keiner von ihnen spiele derzeit eine Rolle, versichert der WBC-Weltmeister im Schwergewicht. Zu Beginn seiner Laufbahn habe er gedacht, daß mit 25 Jahren Schluß sein werde. Nun sei er fast vierzig und boxe immer noch, wobei er sich allerdings manchmal frage, ob er nichts anderes zu tun habe, als Leute zu verprügeln.

Verprügeln will er in wenigen Tagen auch Shannon Briggs, der nach einer langen und in jüngerer Zeit recht durchwachsenen Karriere noch einmal ins Rampenlicht eines spektakulären Titelkampfs zurückkehrt. Der US-Amerikaner aus Brooklyn ist knapp sechs Monate jünger als Klitschko, hat aber bereits 57 Profikämpfe bestritten, von denen er 51 gewann, fünf verlor und einen unentschieden beendete. Demgegenüber stand der Ukrainer bei 42 Auftritten zwischen den Seilen und mußte sich nur zweimal geschlagen geben. Wenngleich der Herausforderer mit einer Größe von 1,93 m eine imposante Erscheinung ist, überragt ihn Klitschko noch um neun Zentimeter. Der Weltmeister hat seinen langjährigen Trainer Fritz Sdunek in der Ecke, Briggs wird von Chuck McGregor und Yoel Judah betreut.

Sender RTL, der die Auftritte der Klitschkos überträgt, hat auch diesmal für ein aufwendiges Rahmenprogramm gesorgt und die derzeit populäre deutsche Musikgruppe "Unheilig" für einen Kurzauftritt verpflichtet. Angeführt von ihrem Frontmann, der sich "Der Graf" nennt, gibt sie unmittelbar vor dem Kampf im Ring ihr erfolgreiches Stück "Große Freiheit" zum Besten. Dies kommentierte Klitschko mit den Worten, er freue sich, daß die zur Zeit erfolgreichste deutsche Band die Zuschauer auf seinen Kampf einstimmen wird.

Auf der Pressekonferenz im Hamburger Hotel Interconti setzten Klitschko und Briggs ihre inszenierte Fehde fort, wobei dem Herausforderer der wesentlich aufwendigere Part zufiel, sich künstlich in Rage zu reden und einen Wutausbruch vorzutäuschen. Dies erlaubte es dem Ukrainer, lässig zu kontern und den souveräneren Eindruck zu machen. Die Medien machten das Spiel mit und berichteten von einem Eklat, der mit Mühe und Not abgewendet worden sei. Die Kontrahenten griffen auf ihr bewährtes Schema zurück und ritten auf der Asthmaerkrankung des Amerikaners herum, was recht abgestanden anmutet, aber offenbar der Überzeugung geschuldet ist, daß man die Sache möglichst überschaubar gestalten müsse und das Boulevardniveau nicht überschreiten dürfe.

Herausforderer Briggs riß sich auch diesmal das T-Shirt vom Leib, um eine ansehnliche körperliche Verfassung zu demonstrieren und währenddessen eine minutenlange Schimpftirade gegen den Weltmeister loszulassen. Klitschko habe mit seinen abfälligen Äußerungen alle Menschen beleidigt, die an Asthma leiden. "Ich werde aus dir die Ignoranz herausprügeln, du hast keine Ahnung von Asthma", polterte der US-Amerikaner, der seit seiner Geburt an dieser chronischen Erkrankung der Atemwege leidet. "Er ist kein Doktor, er macht euch allen was vor. Er spielt nur einen Doktor. Du bist kein Doktor, du bist ein Hochstapler!", rief Briggs, als sei ihm der Unterschied zwischen einem promovierten Sportwissenschaftler und einem Mediziner völlig fremd.

Dann breitete er aus, daß seine an dem Champion gescheiterten Vorgänger nichts als Fallobst gewesen seien, während er selbst den Ukrainer vor unlösbare Probleme stellen werde: "Sam Peter, Albert Sosnowski, Kevin Johnson, Chris Arreola - alles Flaschen! Dieses Mal kämpfst du gegen einen Mann! Du hast noch nie jemanden wie mich gesehen! Meine Mutter sagte mir immer, Junge, du hast nicht so viel Luft. Egal, was du tust - mach es kurz. Ich knocke ihn aus, schnappe mir den Gürtel. Der macht sich gut in meiner Stube!"

"Ich war noch nie so gut vorbereitet wie für diesen Kampf. Wenn ich mit Vitali am Samstag fertig bin, kann man mir im Anschluß gleich Wladimir bringen", forderte der Schwergewichtler mit der langen Rasta-Mähne vollmundig. "Wir wollen Geschichte schreiben und zum dritten Mal Weltmeister werden", fügte sein Trainer hinzu, der ein fast achtwöchiges Trainingslager mit ihm absolviert hat.

Das war das Stichwort für Klitschko, sich reserviert und besonnen zu geben, um die aufgeheizte Stimmung wieder abzukühlen. "Sonnabend werden die Fäuste sprechen", verkündete der Ukrainer und schob den mittlerweile halbnackten Briggs vom Mikrofon weg. "Ich habe erst gedacht, der hat Fieber. Aber Briggs scheint wohl körperlich okay. Seine Muskeln sind beeindruckend, aber nützen wird es ihm wenig. Ich werde den Ring als Sieger verlassen!"

Er habe die Krankheit Asthma keineswegs verharmlosen, sondern lediglich ausschließen wollen, daß Briggs bei seiner absehbaren Niederlage sein Leiden als Ausrede vorschieben könne. "Ich bin in Spitzenform vor dieser großen Herausforderung, er ist einer der Besten der Welt", wertete Klitschko seinen Gegner auf, um dem Vorwurf zuvorzukommen, Briggs sei als bloßes Kanonenfutter rekrutiert worden.

Trainer Fritz Sdunek merkte an, daß Briggs dafür bekannt sei, sein Pulver in den ersten Runden zu verschießen. Dessen ungeachtet sei man gut vorbereitet, notfalls über die volle Distanz zu gehen. "Wir sind gewarnt durch seine Bilanz, die ersten Runden werden sehr anstrengend. Wer nach Punkten gewinnt, ist keine Frage, aber Vitali hat auch einen harten Punch", unterstrich Sdunek, daß man sich auch von Shannon Briggs keinesfalls die Butter vom Brot nehmen lasse.

12. Oktober 2010