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MELDUNG/792: Rückzieher der ARD - Haye gegen Chisora wird nicht übertragen (SB)




Öffentlich-rechtlicher Sender bekommt doch noch kalte Füße

Der Kampf zwischen David Haye und Dereck Chisora am 14. Juli in London wird nicht im deutschen Fernsehen ausgestrahlt. Offenbar fürchtet die ARD um ihr Image wie auch das des professionellen Boxsports und verzichtet ungeachtet der Ankündigung vor wenigen Tagen nun doch auf die Übertragungsrechte. Wie es in einer offiziellen Stellungnahme heißt, sei sich die ARD nach Rücksprache mit ihrem Vertragspartner Sauerland Event einig, den Kampf der beiden Briten nicht zu senden.

Im Februar hatte Dereck Chisora im Vorfeld seiner Herausforderung Vitali Klitschkos in München den Ukrainer geohrfeigt und dessen Bruder Wladimir mit Wasser bespuckt. Auf der Pressekonferenz nach dem Kampf kam es dann zu einer Prügelei mit David Haye, bei der die Trainer der beiden Briten Verletzungen davontrugen. In Reaktion auf diesen Eklat wurde Chisora vom Weltverband WBC und der britischen Boxkommission sanktioniert, während man David Haye, der seine Karriere zu diesem Zeitpunkt für beendet erklärt hatte und keine Lizenz mehr besaß, nichts anhaben konnte. Für ihren Kampf im Juli benötigen jedoch beide Boxer eine neue Lizenz, die sie von ihrer nationalen Boxkommission vorerst nicht bekommen. Chisoras Promoter Frank Warren wandte sich daraufhin an Verbände im Ausland und wurde in Luxemburg fündig, dessen Kommission dem Briten eine Lizenz erteilt und den Kampf unter ihrer Regie laufen läßt.

Wenngleich dieser Vorgang so ungewöhnlich nicht ist, hatte er doch im aktuellen Fall einen höchst bitteren Beigeschmack. Ob von vornherein inszeniert, spontan improvisiert oder tatsächlich in einem Akt hochkochender Emotionen eskalierend verwandelt sich die Kontroverse der beiden Heißsporne unversehens in ein lukratives Geschäft, das augenscheinlich beim britischen Boxpublikum auf enormes Interesse stößt. Was beim professionellen Wrestling integrierter Bestandteil der Präsentation ist und weit über den Ring hinaus nach Drehbuch abgewickelt wird, nämlich Fehden aufzubauen und kulminieren zu lassen, hielt sich beim Boxen bislang in relativ engen Grenzen und blieb weitgehend dem schauspielerischen Geschick der beteiligten Akteure überlassen. Wenn man auch davon ausgehen kann, daß bestimmte Rollenverteilungen und Abläufe hinter den Kulissen mehr oder minder deutlich abgesprochen werden, gibt es keine quellensicheren Belege oder gar offizielle Bestätigungen aus berufenem Munde für solche Praktiken.

In Deutschland hatte der Präsident des nationalen Verbands (BDB), Thomas Pütz, von Anfang an harte Strafen bis hin zu einem faktischen Berufsverbot für Chisora gefordert. Pütz macht sich nun dafür stark, den Luxemburgischen Berufsboxverband aus der Europäischen Box-Union (EBU) auszuschließen. Der Manager der Klitschkos, Bernd Bönte, bezeichnete das Duell der beiden Briten vor wenigen Tagen als "Freak Show" und einen Schlag ins Gesicht der Britischen Boxkommission.

Dabei sind offenkundig divergierende Strategien am Werke, den Fortbestand des professionellen Boxsports und nicht zuletzt die aus ihm generierten eigenen Erträge zu sichern. Angesichts verbreiteter Vorbehalte gegen das Boxen und phasenweise erhobener Verbotsforderungen treten manche Fraktionen erklärtermaßen für ein "sauberes" Boxen ein, das klare Grenzen gegen anrüchige Milieus, Verhaltensweisen und Praktiken zu ziehen habe. Andere Sektoren und Akteure spielen hingegen die Karte der Provokation, Pöbelei und im Zweifelsfall auch Handgreiflichkeit aus, um kräftig Werbung für sich selbst und bestimmte Konfliktlinien zu machen. So hatte sich David Haye über mehrere Jahre hinweg als Wunschgegner der Klitschkos ins Gespräch gebracht und schließlich den auch für ihn äußerst lukrativen Kampf gegen Wladimir herbeigeredet. Wie man an diesem Beispiel unschwer erkennen kann, profitieren beide Seiten von dieser Konstellation, da die Klitschkos als prominente Protagonisten des sauberen Boxens, das für sich genommen allzu langweilig geriete, eine Bestrafung des Briten für seine Frechheiten im Munde führen konnten.

Für einen öffentlich-rechtlichen Sender wie die ARD, in dem eine nicht zu unterschätzende Fraktion den Boxsport für unvereinbar mit den Prinzipien der Sendeanstalten hält und bei der Vertragsverlängerung mit Sauerland Event eine Reduzierung der ursprünglich vereinbarten Konditionen hinsichtlich der Laufzeit und Dotierung erzwang, dürfte der Druck zu groß geworden sein. Daß mit Begriffen wie "Haßduell" für den Kampf zwischen Haye und Chisora geworben wird, mußte die Verantwortlichen fürchten lassen, im Falle einer Übertragung kräftigen Gegenwind auch im eigenen Hause zu entfachen. Man kann nur vermuten, daß es möglicherweise bereits interne Einwände gab, da der Londoner Kampf zunächst auch von seiten der ARD angekündigt wurde, worauf dann einige Tage später der Rückzieher folgte.

Nach dem Verzicht der ARD auf die Fernsehrechte an dem Aufeinandertreffen der beiden Briten stand zwangsläufig die Frage im Raum, ob der zweite Schwergewichtskampf des Abends in London nicht besser nach Deutschland verlegt werden sollte. Zwar ist die Titelverteidigung Alexander Powetkins gegen Hasim Rahman unter formalen und möglicherweise auch sportlichen Gesichtspunkten hochwertiger, doch für die Zuschauer vor Ort zweifellos nachrangig gegenüber dem erwarteten Spektakel der tatsächlichen oder vorgegaukelten Intimfeinde Haye und Chisora.

Jüngsten Informationen zufolge soll der Kampf um die reguläre Weltmeisterschaft der WBA jedoch auf der von den Promotern Frank Warren und Sauerland Event gemeinsam organisierten Veranstaltung im Londoner East End verbleiben. Die Übertragung nach Deutschland würde in diesem Fall kurzerhand vor dem Hauptkampf des Abends beendet, so daß bei der ARD lediglich Powetkin und Rahman zu sehen sind.

14.‍ ‍Mai 2012