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MELDUNG/873: Warum man Manuel Charr fest die Daumen drückt (SB)




Vitali Klitschko sportlich und finanziell auf Schnäppchenjagd

Zwei Meter groß und mit tief ins Gesicht hängender Kapuze, die die grimmige Miene halbwegs verbarg, betrat ein Boxer zu den Klängen von Vitali Klitschkos Einmarschmusik das Kölner Fußballstadion. Es handelte sich jedoch nicht um den Ukrainer, sondern lediglich ein Double, das Manuel Charr mangels Anwesenheit des Champions für die Pressekonferenz engagiert hatte. In der Rolle des Alleinunterhalters eröffnete der 27jährige Kölner seinen Plan, wie er den haushohen Favoriten in die Knie zu zwingen gedenkt. "Mit Willen, Stärke und Kämpferherz" werde er sich wie ein Pitbull auf den Titelverteidiger stürzen, da Angriff die beste Verteidigung sei.

Ihn selbst habe noch keiner niedergeschlagen, übt sich Charr in Zuversicht, auch nach seinem 22. Profikampf den Ring als Sieger verlassen zu können. Dem pflichtet sein Trainer Vardan Zarkajan bei, der seinem 1,92 m großen Schützling eine erstklassige körperliche Verfassung attestiert und eine Überraschung ankündigt. Frei nach dem gerade im Boxsport eher unzutreffenden Motto, daß doppelt genäht besser halte, wird der Kölner zusätzlich von Valeri Below betreut, der früher den Russen Alexander Powetkin unter seinen Fittichen hatte, den Teddy Atlas später zur Weltmeisterschaft bei der WBA führte.

Daß ihm kaum jemand realistische Chancen einräumt und er als leichtestmöglicher Gegner Vitali Klitschkos gilt, ficht den Kölner angeblich nicht an: "Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie dich aus, dann bekämpfen sie dich, und am Schluß gewinnst du", zitiert er Mahatma Ghandi, ohne sich freilich dessen Philosophie des gewaltlosen Widerstands zu eigen zu machen. Solcher geringfügigen Unstimmigkeiten ungeachtet darf man heutzutage schon zufrieden sein, ausnahmsweise nicht nur mit einem auf abgestandene Plattitüden reduzierten verbalen Schlagabtausch traktiert zu werden.

Damit man ihn nicht für hochgestochen hält, erzählt Manuel Charr ganz bodenständig vom Traum seiner Mutter, den er ihr erfüllen wolle. Sie zog nach der Flucht aus dem Libanon in Deutschland sechs Kinder groß und wünscht sich eine Einbauküche, die sie auch bekommen soll. Warum der Kölner dafür, wie er sagt, den Kampf gewinnen muß, ist zwar angesichts seiner Börse nicht recht nachvollziehbar, dürfte aber der Boulevardpresse als Vorlage für eine Schlagzeile gefallen. Zwar munkelt man, daß die Klitschkos in Selbstvermarktung die Gagen ihrer Gegner mindestens so gnadenlos in den Keller drücken, wie die mit allen Wassern gewaschenen Promoter, doch dürfte Charr immerhin soviel kassieren, daß er den Wunsch seiner Mutter problemlos erfüllen kann.

Wieviel die Ukrainer springen lassen, mutet mitunter wie ein Staatsgeheimnis an und wird nur selten publik. Der Kölner, heißt es, habe eine erste Offerte von 200.000 Euro ausgeschlagen, worauf das Management des Weltmeisters die Gage verdoppelte. Offiziell bestätigt ist das nicht, doch klingt es zumindest plausibel. Manuel Charr verdient mehr als je zuvor, wobei die Unkosten seiner Vorbereitung einen erheblichen Teil dieser Einkünfte verschlingen dürften. Für Vitali Klitschko hingegen ist er vergleichsweise spottbillig, so daß es sportlich wie finanziell nach einem Schnäppchen für den Ukrainer aussieht. Warum man Manuel Charr unter diesen Umständen besonders fest die Daumen drückt, dürfte auf der Hand liegen.

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Flinker Riese Deontay Wilder

Von der Leine lassen will Promoter Oscar de la Hoya seinen in 24 Kämpfen ungeschlagenen Boxer Deontay Wilder, der zumindest bislang als eine unverbrauchte neue Hoffnung des US-amerikanischen Schwergewichts gehandelt wird. Obgleich Wilder erst als 20jähriger und damit ungewöhnlich spät zu boxen begann, gewann er nur drei Jahre später bei den Olympischen Spielen 2008 eine Bronzemedaille. Nach dem Wechsel ins Profilager wurde der 2,01 m große Hüne dreieinhalb Jahre lang behutsam aufgebaut, sprich von namhaften Gegnern ferngehalten, die seiner sorgsam gezimmerten Karriere abträglich gewesen wären.

Bei seinem letzten Auftritt machte der Riese mit Kertson Manswell aus Trinidad & Tobago kurzen Prozeß, der sich nicht etwa nur der massiven Wucht, sondern auch der Beweglichkeit Wilders frühzeitig beugen mußte. Oscar de la Hoya, dessen phänomenales Vermarktungsgeschick die Golden Boy Promotions zum Marktführer gemacht hat, woran indessen auch deren Geschäftsführer Richard Schaefer maßgeblich beteiligt war, lobt Deontay Wilder über den grünen Klee. Dieser erinnere ihn an eine Schwergewichtsversion des legendären Tommy Hearns. Er bringe die Führhand fast so schnell wie ein Leichtgewicht, doch wenn er mit der Rechten treffe, sei alles vorbei.

Wilder sei unglaublich und eine Gefahr für die gesamte Szene, schwärmt De la Hoya. Nun sei der richtige Zeitpunkt gekommen, ihn mit stärkeren Gegnern zusammenzuführen, um ihn bei HBO oder Showtime auf die große Bühne zu bringen. Fortan könne man diesen Boxer von der Leine lassen und das Schwergewicht damit in Aufruhr versetzen.

19. August 2012