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MELDUNG/1266: Ein Schwergewicht auch in der politischen Arena? (SB)




Vitali Klitschko hat als prowestliches Aushängeschild Fuß gefaßt

Der "Tag der Abrechnung", den die prowestliche Opposition in der Ukraine nach massiven Straßenprotesten mit der Abstimmung über ein Mißtrauensvotum im Parlament heraufziehen sah, ist ins Wasser gefallen. Zuvor hatte Vitali Klitschko von einem Lautsprecherwagen zu der Menschenmenge gesprochen, die das Parlamentsgebäude zu Tausenden einkesselte: "Heute muß die Regierung dafür bezahlen, daß sie unseren Traum von Europa gestohlen hat", rief der Schwergewichtsweltmeister unter tosendem Beifall den Demonstranten zu, aus deren Reihen Rufe wie "Schande" und "Revolution" erklangen. Gemeinsam sang man die Nationalhymne: "Noch ist die Ukraine nicht gestorben." Für den strategischen Übergriff von Europäischer Union und NATO, möchte man hinzufügen, versuchen die westlichen Mächte doch massiver denn je, das Land vom Einfluß Rußlands abzukoppeln, um es ihrer eigennützigen Verwertung seiner geostrategischen Lage, Ressourcen und Arbeitskräfte zuzuführen.

"Ich fordere Sie auf, politische Verantwortung zu übernehmen", setzte Klitschko wenig später im Plenarsaal der Obersten Rada dem amtierenden Regierungschef Nikolai Asarow zu, den die Opposition neben Präsident Viktor Janukowitsch dafür verantwortlich macht, daß die ehemalige Sowjetrepublik ein ausgehandeltes Partnerschaftsabkommen mit der EU nicht unterzeichnet hat. "Treten Sie zurück, Herr Janukowitsch, das ist die einzige Lösung der Situation", forderte der Oppositionsführer und Fraktionsvorsitzende der "Ukrainischen Demokratischen Allianz für Reformen" (UDAR) vorgezogene Präsidentenwahlen, bei denen er selbst kandidieren will.

Nachdem vor der Abstimmung noch über zahlreiche Abweichler aus Asarows "Partei der Regionen" spekuliert worden war, scheiterte das Ansinnen der Opposition dann kläglich. Mindestens 226 Stimmen wären zur Abwahl der Regierung erforderlich gewesen, der Antrag der Regierungsgegner konnte jedoch lediglich 186 Stimmen auf sich vereinigen. Den prowestlichen Parlamentariern war es nicht gelungen, die Kommunisten auf ihre Seite zu ziehen, deren Votum den Ausschlag zugunsten der Regierung gab. Diese verbuchte mit dem Scheitern des Mißtrauensvotums einen Etappensieg, der ihren Gegnern vorerst den Wind aus den Segeln genommen haben dürfte. [1]

Vitali Klitschko war bei den Massendemonstrationen der sogenannten Orangenen Revolution Ende 2004 erstmals politisch in Erscheinung getreten. Als er sich im März 2006 selbst zur Wahl stellte, scheiterte er zweimal: Bei der Parlamentswahl blieb seine Partei deutlich unter der Drei-Prozent-Hürde, bei der Bürgermeisterwahl in Kiew errang er mit 23 Prozent der Stimmen immerhin den zweiten Platz. Im Herbst 2012 rückte er in die erste Reihe der ukrainischen Politik auf, als seine Partei UDAR als drittstärkste Kraft aus der Parlamentswahl hervorging. Ende Oktober setzte die Regierung von Präsident Janukowitsch eine Änderung des Steuergesetzes durch, die Klitschko die Teilnahme an der kommenden Präsidentenwahl im März 2014 verwehren könnte. Danach gilt nicht als Bewohner der Ukraine, wer in einem anderen Staat eine Aufenthaltserlaubnis hat und dort Steuern zahlt - was der ukrainische Staatsbürger Vitali Klitschko seit Mitte der neunziger Jahre in Deutschland tut. Klitschko verkündete daraufhin offiziell, daß er sich dennoch um das höchste Staatsamt bewerben will. [2]

Eine Fortsetzung seiner sportlichen Laufbahn wird folglich immer unwahrscheinlicher. Wie Manager Bernd Bönte erklärte, könne man jetzt noch keine Aussage über die Zukunft machen und müsse die Entwicklung der nächsten Tage in der Ukraine abwarten. Vitali werde sich selber rechtzeitig dazu äußern. Bönte macht sich eigenen Angaben zufolge derzeit vor allem Sorgen um das Wohlergehen Klitschkos, da angesichts der angespannten Lage Zwischenfälle und Übergriffe nicht auszuschließen seien.

Der ältere Klitschko ist seit 2008 zum dritten Mal in seiner Karriere Schwergewichtsweltmeister, was vor ihm nur Muhammad Ali, Evander Holyfield und Lennox Lewis gelungen war. Seinen letzten Kampf bestritt er Anfang September 2012 in Moskau, wo er Manuel Charr durch technischen K.o. besiegte. Die Pflichtverteidigung gegen den kanadischen Herausforderer Bermane Stiverne hat Klitschko bereits mehrfach verschoben, wobei er zunächst wegen einer Handverletzung absagte und dann beim WBC einen Aufschub bis Mitte Dezember erwirkte, da Stiverne inzwischen juristisch gegen seinen Promoter Don King zu Felde zieht. Nun hat der Verband Vitali Klitschko noch einmal aufgefordert, definitiv zu seinen Zukunftsplänen Stellung zu nehmen. Der 42jährige Champion ist gehalten, einen Termin für seine Rückkehr in den Ring zu nennen oder den Gürtel zurückzugeben. Wie WBC-Geschäftsführer Mauricio Sulaiman mitteilte, habe der Rat des Verbands einen Aufschub bis zum 15. Dezember akzeptiert. [3]

Solange Klitschkos politische Perspektive ungewiß schien, bot es sich für ihn an, doppelgleisig zu fahren und seine sportliche Reputation zu nähren, die ihn aller Her- und Hinkünfte zum Trotz zu einer Art Volksheld in der Ukraine gemacht hat. Inzwischen hat er sich den geopolitischen Interessen des Westens jedoch so nachhaltig als Sachwalter empfohlen, daß er getrost die Boxhandschuhe an den Nagel hängen kann. Vor wenigen Tagen traf er am Rande des EU-Gipfels in Vilnius mit wichtigen Vertretern der Europäischen Union wie Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso, Erweiterungskommissar Stefan Füle sowie Elmar Brok (CDU), dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, zusammen. Klitschko sei ein "außerordentlich kluger und zunehmend auch politisch erfahrener Gesprächspartner, der eindeutig den westlichen Werten zugeneigt ist und der von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als Bedingung für wirtschaftlichen Erfolg spricht", lobte Brok den promovierten Sportwissenschaftler. Deswegen sei Vitali Klitschko ein sehr vertrauenswürdiger Gesprächspartner.


Fußnoten:

[1] http://www.zeit.de/news/2013-12/03/eu-analyse-klitschko-ruestet-opposition-fuer-neue-proteste-03170405

[2] http://www.faz.net/aktuell/politik/vitali-klitschko-nicht-nur-ein-mann-der-faust-12691463.html

[3] http://www.boxen.de/news/neue-deadline-klitschko-muss-bis-zum-15-dezember-ueber-boxerische-zukunft-entscheiden-30327

4. Dezember 2013