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MELDUNG/1678: Vor dem Kampf darf jeder träumen (SB)



James DeGale denkt weit über den Tag hinaus

Statt sich uneingeschränkt auf seinen bevorstehenden Kampf zu konzentrieren, was er bitter nötig hätte, denkt James DeGale weit über den Tag hinaus. Der Brite legt in aller Öffentlichkeit dar, was er nach seinem Sieg über Andre Dirrell am 23. Mai vorhat, um sich endgültig an die Spitze des Supermittelgewichts zu setzen. DeGale, der mit einer Bilanz von 20 Siegen und einer Niederlage die IBF-Rangliste anführt, kämpft in Boston gegen den zweitplazieren Dirrell, der 24 Gegnern das Nachsehen gegeben und einmal den kürzeren gezogen hat, um den vakanten Titel dieses Verbands.

Sei man erst einmal Weltmeister geworden, gehe es darum, die Titel mehrerer Verbände zu vereinigen und die bedeutendsten Kämpfe auszutragen, die in dieser Gewichtsklasse möglich sind, so der Brite. Das habe er vor, wobei er natürlich zunächst Dirrell in die Schranken weisen müsse, was eine schwere Aufgabe sei. Er zweifle jedoch nicht daran, diese Hürde nehmen zu können und in der Folge eine führende Position in diesem Limit zu erlangen. Als Wunschgegner erwähnte DeGale seinen Landsmann George Groves, wobei er einräumte, daß dieser wohl erst gegen Ende des Jahres mit dem WBC-Weltmeister Anthony Dirrell in den Ring steigen wird. Ein Duell zweier britischer Weltmeister im Supermittelgewicht zur Vereinigung ihrer Titel - was wäre das für ein großartiger Kampf, schwärmt James DeGale von einer Konstellation, die nie eintreten wird.

Was ihn selbst betrifft, müßte er zuvor den älteren der Brüder Dirrell besiegen, worauf George Groves den jüngeren in die Schranken weist. Wenngleich der Boxsport für manche Überraschung gut ist, grenzten Siege der beiden Briten in diesen Titelkämpfen doch an ein Wunder. Nach Lage der Dinge können sie froh sein, zumindest den Schlußgong aufrecht stehend zu hören und lediglich nach Punkten zu verlieren.

Andre Dirrell bewegt sich flüssiger, schlägt schneller und trifft härter als James DeGale, der aller Voraussicht nach regelrecht vorgeführt wird. Der US-Amerikaner wirkt seit seiner Rückkehr nach einer längeren Pause gereift und in jeder Hinsicht noch besser als zuvor, so daß ihn einige Kommentatoren inzwischen für den führenden Akteur im Supermittelgewicht halten, da er selbst Andre Ward den Rang abgelaufen habe. Manche sehen bei ihm Qualitäten, wie sie Floyd Mayweather auszeichnen, andere setzen seine Trefferwirkung mit jener des Briten Carl Froch gleich, der jedoch langsamer schlägt.

Für George Groves ist es gegen Anthony Dirrell um keinen Deut besser bestellt, da ihm der Weltmeister in allen Belangen überlegen sein dürfte. Auch der jüngere Dirrell boxt sehr beweglich, druckvoll und mit erheblicher Schlagwirkung, so daß nicht abzusehen ist, wie sich der Brite aus der Affäre ziehen sollte. Zudem wirkte Groves nach den beiden vorzeitigen Niederlagen gegen Carl Froch nur noch wie ein Schatten besserer Tage, weshalb ihm womöglich selbst der Kampfgeist fehlen könnte, sich mit aller Entschiedenheit auf diesen Gegner zu stürzen, um womöglich dessen technische Vorteile wettzumachen.

James DeGale hat vor einigen Jahren gegen George Groves verloren und möchte diese alte Scharte gerne auswetzen. Eine Revanche würde jedoch nur dann Sinn machen, wenn beide ihren nächsten Kampf gewonnen haben und damit Weltmeister geworden sind. Verlieren sie gegen die Dirrells, womit zu rechnen ist, ließe sich ein solches Duell selbst in England kaum noch vermarkten. Groves hat bereits zwei seiner letzten vier Kämpfe verloren, DeGale wird von den britischen Medien höher gehandelt, als er bei nüchterner Bewertung einzuschätzen ist. Wahrscheinlich werden die beiden Briten geraume Zeit brauchen, um ihre Karriere nach der bevorstehenden Niederlage wieder in Schwung zu bringen.

Davon abgesehen, daß James DeGale den IBF-Titel nicht gewinnen wird, wäre die Zusammenführung aller Gürtel in dieser Gewichtsklasse derzeit ohnehin nicht möglich. Arthur Abraham, der den Gürtel der WBO in seinem Besitz hat, kämpft auf Anordnung des Verbands bereits zum vierten Mal gegen seinen Vorgänger Robert Stieglitz. Sollte der Berliner gewinnen, wäre wahrscheinlich Felix Sturm an der Reihe, der endgültig ins Supermittelgewicht aufgestiegen ist. Zwischen diesen drei deutschen Akteuren wird die Trophäe der WBO noch auf Jahre herumwandern, sofern sie nicht zwischenzeitlich irgendein unterschätzter Kandidat im Zuge einer freiwilligen Titelverteidigung ins Ausland entführt.

Natürlich könnte James DeGale, wenn er denn Weltmeister wäre, auch gegen Andre Ward antreten, den Superchampion der WBA. Der Brite würde einen solchen Kampf jedoch eindeutig verlieren, da der ungeschlagene Kalifornier schon diversen stärker einzuschätzenden Kontrahenten das Nachsehen gegeben hat. Sollte Froch den regulären Titel der WBA am grünen Tisch verlieren, würden Felix Sturm und Fedor Tschudinow um den vakanten Gürtel kämpfen. Gelänge Sturm in den Besitz der Trophäe, verhielte es sich bei ihm ähnlich wie bei Arthur Abraham, so daß James DeGale kaum eine Chance hätte, an den WBA-Titel heranzukommen. All diese Erwägungen sind jedoch lediglich theoretischer Natur, da der Brite bereits im ersten Schritt an Andre Dirrell scheitern wird. [1]


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/04/degale-wants-groves-fight-after-dirrell/#more-190419

10. April 2015


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